Sakrale Veranstaltungen

[rodger]

Mein lieber Sohn,
Du schreibst mir, daß du eine Madonna mahlst, und daß dein Gefühl dir, für die Vollendung dieses Werks, so unrein und körperlich dünkt, daß du jedesmal, bevor du zum Pinsel greifst, das Abendmahl nehmen mögtest, um es zu heiligen. Laß dir von deinem alten Vater sagen, daß dies eine falsche, dir von der Schule, aus der du herstammst, anklebende Begeisterung ist, und daß es, nach Anleitung unserer würdigen alten Meister, mit einer gemeinen, aber übrigens rechtschaffenen Lust an dem Spiel, deine Einbildungen auf die Leinwand zu bringen, völlig abgemacht ist. Die Welt ist eine wunderliche Einrichtung; und die göttlichsten Wirkungen, mein lieber Sohn, gehen aus den niedrigsten und unscheinbarsten Ursachen hervor.Der Mensch, um dir ein Beispiel zu geben, das in die Augen springt, gewiß, er ist ein erhabenes Geschöpf; und gleichwohl; in dem Augenblick, da man ihn macht, ist es nicht nöthig, daß man dies, mit vieler Heiligkeit, bedenke. Ja, derjenige, der das Abendmahl darauf nähme, und mit dem bloßen Vorsatz ans Werk gienge, seinen Begriff davon in der Sinnenwelt zu construieren, würde ohnfehlbar ein ärmliches und gebrechliches Wesen hervorbringen; dagegen derjenige, der, in einer heitern Sommernacht, ein Mädchen, ohne weiteren Gedanken, küßt, zweifelsohne einen Jungen zur Welt bringt, der nachher, auf rüstige Weise, zwischen Erde und Himmel herumklettert, und den Philosophen zu schaffen giebt. Und hiermit Gott befohlen.

(Heinrich von Kleist, Brief eines Malers an seinen Sohn)

[marlies]

schnip>>>Wenn der Mann mit dem Autor die Sache durchspricht und der dann entscheidet welche "Schludrigkeiten" er beibehalten will und welche nicht dann ist das in Ordnung, sonst nicht. <<<schnap ... heyjaaaaa, natuerlich, anders arbeite ich persoenlich nicht. Da gehts tagelang /wochenlang hin und her zwischen 'editor' und mir (mit meinen Kinderbuechern, so wars mit meinem Berner Sennenhundbuch [das brauchte 10 Jahre], und so ists mit meinen KM translations) ... bis alle Schludrigkeiten ausgetratscht sind, das geht manchmal ganz schoen hitzig zu und her - ueber einfache Sachen wie ein Komma .... ECHT WAR!! - und so solls auch sein - und so wars NICHT (immer) in May's Zeiten - siehe anderer thread mit der Flucht nach Sibirien ... und sakral ist das ueberhaupt nicht - im Gegenteil, das Buecherschreiben an und fuer sich koennte als eine sakrale Beschaeftigung gelten (mir ists jedenfalls heilig [schon wieder, muss am Wetter liegen, scheint ein Schlagwort meinerseits zu sein heute]) aber was dann kommt - das kann manchmal sogar als 'mini-Blitzkrieg' beschrieben werden - die publishing industry (so hat mir jemand gesagt vor ein paar Jahren - damals glaubte ich es noch nicht - heute gib ich dem Frenchman recht) ist 'the most disorganised industry on the Planet' also 'die desorganisierteste Industrie der Welt'.


May's Streben hatte einen sakralen Hintergrund (oder vielleicht 'Anfaerbung'), ganz sicher, aber seine Arbeit war so grundsaetzlich verwurzelt im 'Leben' - mit seiner 'Menschheitsfrage' sogar sehr deutlich - und seinem Suchen nach einer Antwort zu der Frage (wie wir alle suchen), dass es geradezu blasphemisch ist 'ihn' als sakral hinter Glass einzuschliessen.
Und wie ich lese hat's Kleist auch so gesehen!
[that's deep]

[rodger]

anders arbeite ich persoenlich nicht.

Ich auch nicht mehr. Und wenn ich gar nichts mehr schreibe. "Dann schreibe ich eben nur noch Kolportage" hat Robert Kraft gesagt, und das gefällt mir. Ich schreibe halt möglicherweise nur noch Forenbeiträge.

ueber einfache Sachen wie ein Komma .... ECHT WAR!! - und so solls auch sein -

Keine Frage. Ich ärgere mich noch heute über ein fehlendes Komma in einem Artikel für eine Vereinszeitschrift vor einundzwanzig Jahren. Auch das ist kein Scherz, es ist mir eben beim Frühstück wieder eingefallen. Ich habe auch keine Unterlagen mehr aber das kann ich glaube ich noch wörtlich aus der Erinnerung zitieren, "einen neuen, interessanten Verein, in Gerresheim", so oder ganz ähnlich hieß es da. Und da haben sie mir OHNE NACHZUFRAGEN das Komma vor "in Gerresheim" rausgenommen, dabei sollte das halt Bestandteil einer Aufzählung sein und Begeisterung herüberbringen, Dies, UND dies, UND dies. Aber wenn man stur nach Rechtschreibregeln geht macht man atmosphärische Dinge halt auch schon mal kaputt. Und so wie es dann ohne Komma da stand klang es nüchtern und dröge als ginge es um die Kreis- oder Heimatzeitung, und genau das sollte halt eben nicht sein ... Auch wenn solche Feinheiten vielleicht eh kaum jemand mitkriegt, egal, ich laß' mir wohlüberlegte Texte nicht auf Nullachtfuffzehn verhunzen ...

(Apropos Heimatzeitung. Da fällt mir der "Vorsitzende" wieder ein. Der Vorsitzende ist der Vorsitzende ist der Vorsitzende, eine ganze Welt liegt hier begraben (sozusagen), wie unter jedem Grabstein bei Büchner, und keineswegs der "Vorsitzende des Vereins, der die Bühne betreibt". Denn das ist wieder Kreis- und Heimatzeitung.)



(Oh mein Gedächtnis[sen] ...)

[rodger]

Noch'n Beispiel gefällig ?

die Kinder "niedlich und friedlich"

statt "schiedlich und friedlich"

(so weit ist es denn allerdings doch nicht gekommen, der mehrseitige Protestschrei kam noch rechtzeitig ...)

*

(beißt eingedenk des "niedlich" innerlich in die Tastatur, spürt Magen, Gedärm & Herzschlag ...)

[Helmut]

Dem konnte ich nur zustimmen und bin selbst immer wieder verwundert, wie sakral und bierernst die Karl-May-Szene ist, von Ausnahmen wie z.B. Marlies und Rüdiger mal abgesehen.


Viele Grüße
Kurt

Entschuldigung, das passt jetzt eigentlich nicht mehr hierher, aber trotzdem.

Wie ich solche Sätze doch liebe!
Da wird einfach eine Behauptung in den "Raum gestellt", mit 2 oder 3 Beispiele "belegt" (oder auch nicht) und die vielen, vielen Gegenbeispiele einach ignoriert.
Aber offensichtlich lebt davon ein Gutteil der Publizistik (auch der von "Foren")

Helmut

[marlies]

he? >>die vielen, vielen Gegenbeispiele einach ignoriert<<< wa?

<kratz hinter dem Ohr>

Hi Helmut - koenntest du sie bitteschoen bringen fuer mein 'benefit'? (ich leide auch davon dass ich immer denke andere Leute muessten eigentlich meine Gedanken lesen koennen - nein koennen die nicht - ich kann anderer Leute Gedanken auch nicht lesen).

schiedlich, schiedlich (musste ich doch tatsaechlich nachschlagen )

[Kurt Altherr]

Nein, Helmut, das ist keine Behauptung sondern die Erfahrung von 12 Jahren besuchter Karl-May-Veranstaltungen.

Dirk Maverick hat es "in den Raum" gestellt und ich - teilweise auch Herr Mischnick - haben es nur bestätigt.

[rodger]

schiedlich, schiedlich (musste ich doch tatsaechlich nachschlagen

Die Kinder schiedlich und friedlich heißt (bzw. hieß) in etwa im Subtext: sonst pflegen sie schier unerträglich zu sein, hier aber ging es, die gute Schwingung des Ortes übertrug sich offenbar auch auf sie.

[marlies]

mein 'instinkt' hat mir da so ungefaehr genau die von dir beschriebenen 'vibes' gegeben. Niedlich haette da GANZ SICHER nicht hingepasst das waere fatal und nicht sakral gewesen

[Helmut]

Hallo Kurt,

dann kann es nur sein, dass wir was anderes meinen.
Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass fast alle Treffen und Veranstaltungen in der Karl-May-Szene, bei denen ich war, alles andere als "sakral" waren, wobei ich - zugegebenermaßen - nicht unbedingt den jeweils "offiziellen" Teil meine.

Helmut

[Helmut]

oder mit anderen Worten:
der Vorwurf beschränkt sich darauf, dass hierzulande sich "wissenschaftlich Beschäftigung mit ..." und "Humor" gegenseitig auszuschliessen scheinen. Das hat aber dann eben nicht mehr sonderlich viel mit Karl May und seiner "Szene" zu tun.

[H. Mischnick]

Zum Glück preßt man heute nicht mehr alles, womit Zuhörer angeödet werden, zwischen Buchdeckel. Ein kleines Broschürchen in der horrenden Auflage von 25 Stück unter dem Titel "Die medizinhistorischen Schriften des Professors X" genügt schon, um den ungeneigten Leser feststellen zu lassen, daß nur hartgesottene Sammler und Verehrer des Herrn Professors dieses weltbedeutende Werk kaufen werden, das eigentlich in jeder Buchhandlung fehlen darf. Dieselbe Auflage wird wohl das bahnbrechende und hochwichtige Grundlagenwerk "Die Verwendung des Buchstaben y in den Erzählungen Karl Mays" aus der Feder von Prof. Dr. B. S. Erweiß haben, Verfasser des berühmten Materialienbandes "Die geleugnete Australienreise Karl Mays 1878" (Gibsni-Verlag 2001, 816 + XXIV Seiten, 1628 Fußnoten, Preis 8.50 Goldgulden).

[marlies]

darf ich mich einmischen? ich mische mich sowieso ueberall wo ich nicht hingehoere, ein ... ich wuerde anstatt 'Vorwurf' das Wort 'Beobachtung' anwenden (aber das bin eben ich) ... ansonsten ... ab und zu blinzelt mir der alte May mal zu wenn meine humorvollen wissenschaftlichen Beschaeftigungen ihn amuesieren ... grad wie mit dem Mori ... da kann er sich vor lachen nicht erholen --- dass ihm sein Lebenswerk heilig war ist ja klar (wenigstens mir) aber das Leben ist viel zu kurz um alles Todernst zu nehmen - das hat auch er erkannt ... denk ich ... oder?

[marlies]

@ Harald ... X-Files ... Australien-Reise ... ? das sieht verdaechtig aus ... Flucht nach Australien vielleicht? Nein - so einfach koennte es denn doch nicht sein ?

[Helmut]

darf ich mich einmischen? ich mische mich sowieso ueberall wo ich nicht hingehoere, ein ... ich wuerde anstatt 'Vorwurf' das Wort 'Beobachtung' anwenden (aber das bin eben ich) ... ansonsten ... ab und zu blinzelt mir der alte May mal zu wenn meine humorvollen wissenschaftlichen Beschaeftigungen ihn amuesieren ... grad wie mit dem Mori ... da kann er sich vor lachen nicht erholen --- dass ihm sein Lebenswerk heilig war ist ja klar (wenigstens mir) aber das Leben ist viel zu kurz um alles Todernst zu nehmen - das hat auch er erkannt ... denk ich ... oder?

Hallo Marlies,
von mir aus, darfst Du Dich natürlich gerne einmischen, allerdings ist da Vorwurf schon richtig, wobei dies aber natürlich hauptsächlich mit mir zu tun hat.
Ich, Naturwissenschaftler (genauer Mathematik) aus der "Unterschicht" stammend, selbst hoch gearbeitet, und aus diesen Gründen nie ganz ernst genommen von jener Sorte Wissenschaftler, die sich selbst Geisteswissenschaftler nennen (, wobei die Bezeichnung "Mundeswissenschaftler", wegen der hauptsächlichen Art ihrer Beschäftigung, treffender wäre,) habe mit Ihnen noch das eine oder andere Hühnchen zu rupfen.

Helmut

PS.: Muss man natürlich nicht so ernst nehmen, aber wir sind ja hier im Saloon