So soll's sein ...
Verfasst: 17.9.2010, 15:45
(aus dem "Mannheimer Morgen")"Sprache, Rhythmus, Wohlklang" seien allein dazu da, damit "der Geist unmittelbar daraus hervortritt", schrieb Heinrich von Kleist in seinem Prosastück "Brief eines Dichters an einen anderen". Das meint nun nicht, dass stilistische Besonderheiten, angefangen bei seiner ungewöhnlichen Zeichensetzung, unwichtig wären. Vielmehr werden sie hier zum Bedeutungsträger. Und richtig zu verstehen ist Kleist nur, wenn man ihn so zu lesen bekommt, wie er tatsächlich geschrieben hat.
Das war das Grundverständnis der Heidelberger Germanisten Roland Reuß und Peter Staengle, als sie begannen, eine historisch-kritische Werkausgabe des Dichters herauszugeben.
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Die früher gängige Komplettierung unvollständiger Verse durch Füllwörter wie "Potz" oder "Ei" findet sich in beiden nicht mehr - weil es guten Grund hat, wenn ein Dichter, der von Erschütterungen und Zerwürfnissen handelt, solche durch die Sprachform belegt. "Verbessert" wurde etwa auch dieses vermeintliche Versehen nicht mehr: Der viel von der Fragwürdigkeit persönlicher Identität schreibende Kleist nennt in der "Verlobung in St. Domingo" die Figur des Gustav, die Silben vertauschend, mehrmals "August".
Man kann den unglücklichen Kleist, der sich 1811 das Leben nahm, jetzt erst richtig lesen und verstehen, ihm "grade wie im Gespräch" mit dem eigenen "Geiste entgegentreten", wie er im "Brief eines Dichters (...)" schrieb. Für Kleist ist das nicht weniger als der Kern der Literatur überhaupt.