Leseeindrücke (Fortsetzung / Schluß)
Daß es eigenmächtige redaktionelle Änderungen schon zu Mays Lebzeiten gab, war uns schon anlässlich „Ardistan und Dschinnistan“ aufs Unerfreulichste ins Gesicht gesprungen, auf S. 216 begegnen wir dieser betrüblichen bis skandalösen Tatsache auch in Zusammenhang mit „Durch das Land der Skipetaren“.
Die auf S. 254 seitens der Autoren angegebene Motivation von „Am Jenseits“ – m.E. viel zu sehr auf seinerzeitige tagespolitische Nebenumstände reduziert.
Das Bild S. 285 unten rechts erinnert mich immer wieder an einen Zeitgenossen, und auf S. 296 erinnert Old Shatterhand in Gesicht und Haltung mit unverkennbaren May-Kostümfoto-Anklängen wirklich stark an, wer war’s noch gleich, eine Zeichentrick-Figur, und der Wald stimmt in dem Zusammenhang auch.
Auf S. 337 (Bilder) scheint denn doch das eine oder andere Glas zuviel getrunken worden zu sein …
Nicht alle Bilder wirken allzu sympathisch … (S. 340)
Das „Am Jenseits“ – Titelbild von S. 350 begegnet uns noch heutzutage auf dem Weltbild-Band wieder, wobei man aber dort den Engel abstruserweise durch eine Art durchgestyltes Hollywood-Modell ersetzt hat.
„Mit meinem Blute aus den Wunden geflossen“ bezüglich der eigenen Werke (S. 353), „man kann das wörtlich nehmen“, auch nicht übel.
„Aschaffenburger Intelligenzblatt“ (S. 357), es klingt wirklich zu schön, immer wieder.
Beim Foto meines alten Freundes Mamroth (S. 359) meine ich wieder zweierlei zu bemerken: nicht unsympathisch, klug, einfühlsam, feinfühlig und wachen Sinnes auf der einen, eine gewisse schulmeisterlich (meinetwegen freiwillig und wider besseres Wissen, wir sind ja gar nicht so) sich beschränkende Sicht der Dinge auf der anderen Seite. (Sympathie und Beschränkung wahrnehmen, Mamroth ging es ja mit May offenbar vergleichsweise ähnlich.)
Die Orientreise als „lange, große Reise ins Innere“, schön gesagt (S. 364). Ihr ist denn auch beträchtlicher Raum gewidmet (70 Seiten).
„Nächste Woche bin ich nicht mehr da“ (S. 365), auch nicht schlecht. Vgl. Hape Kerkeling („Ich bin dann mal weg“).
„Ich habe an derselben Stelle gestanden, bis nach 2 Stunden das Land ganz verschwunden war“ (S. 366), Abschiednehmende am Flughafen machen ähnliche Erfahrung heutzutage in deutlich kürzerer Zeit, schwupps, wird der graue Punkt da oben in den Wolken immer kleiner, und nach ein paar Sekunden ist er weg …
„Ich möchte, dass sie und Emma sich ganz gleich kleiden“ (S. 372), geschmacklos finde ich so etwas, schon in Hitchcocks „Vertigo“. Ich wüsste ja mal gern, wieweit die haremsähnlichen Zustände in Sachen „Harem“ wirklich gingen (S. 373)
„der sich auch als Orientkenner und Archäologe hervorgetan hatte, was für May offenbar entscheidend dafür war, sich dieser gastlichen Geste nicht zu verschließen“ (S. 376), das erinnert mich an Thomas Mann und sein Sich-umgeben-mit-Musikern für „Doktor Faustus“, wir hatten es neulich von so etwas in einem Forum, da fiel in durchaus ähnlichem Zusammenhang das Wort Verwertbarkeit.
Die sattsam bekannte „große Ceremonie“ (S. 394), (mit der der „frühere Karl“ ins „rothe Meer versenkt“ wurde), Karl May neigte zur Pathetik, und wenn schon umdenken in Richtung neue Bescheidenheit, dann bitte doch wieder mit großem Getöse.
Was er auf S. 396 über das Hotel schreibt, gefällt mir in seiner Differenziertheit oder auch scheinbaren Widersprüchlichkeit; wenigstens ist es ihm bewusst, dass sein Genuß auf Kosten anderer geht, bei heutigen Freunden des Lebens im Hochglanze scheint mir des öfteren selbst dieses Bewusstsein zu fehlen … (und die würden bei ihren an entsprechenden Orten in „würdigem Rahmen“ abgehaltenen Festivitäten eine solche Anmerkung wie die Mays vermutlich in etwa unter „So etwas sagt man doch nicht“ o.ä. verbuchen, immer hübsch alles unter den Teppich kehrend, was die recht einfältig wirkende allgemeine Friedefreudeeierküchelei auch nur ansatzweise stören könnte)
Was mag er da wieder angestellt haben in Konstantinopel (S. 430) und schon vorher in Padang (S. 400), „Nachts an einem Ort, wo zur damaligen Zeit noch im Verborgenen der Mädchenhandel betrieben wurde“, und wo die „dort verkehrenden Menschen“ einen „derartigen Eindruck“ auf ihn gemacht haben … (Zitate: Klara May)
Interessant ist, dass die beiden Titel „Karl May als Erzieher“ und „Die Wahrheit über Karl May“ urspünglich „negativ besetzt“ waren, gegen ihn benutzt wurden, und er sie dann in umgekehrtem Sinne verwendete (S. 461).
Der Herr Klencke-Mannhart hätte mir gefallen, nach dem, was da über ihn zu lesen steht … (S. 485)
Die Charakterisierung eines mayfeindlichen Artikels der Marie Elise Silling ist sehr gelungen, die damalige wirklich unerfreuliche Angelegenheit in wenigen Worten treffend auf den Punkt gebracht (S. 486).
Das Bild auf S. 511 zeigt noch keinen gebrochenen May, der, der da zu sehen ist, hat es auch 1904 noch faustdick hinter den Ohren.
Bei Leopold Gheri auf S. 524 fehlt mir zwischen „gehörte“ und „zu den treuesten“ ein „scheinbar“, nach dem, was Gheri nach Mays Ableben so von sich gegeben hat … (nachzulesen im „Roten Adler“.)
„Journalist und Erpresser“ (über Lebius, S. 523) geht mir sprachlich (nicht moralisch) zu weit, da könnte man ja z.B. eine Bildunterschrift zu Karl May auch mit „Schriftsteller und Krimineller“ formulieren, und von „faselten“ muß man auch nicht sprechen, wenn einem eine Ansicht nicht gefällt (S. 535) …
Das Bild links im Briefkopf (S. 561 Mitte links) habe ich immer für eine nach Mays Tod im Sinne gefälliger Vermarktung genehme retuschierte Fälschung gehalten, und nun muß ich sehen, dass Karl May damit eigene Briefe versehen hat … (oder sah es in den frühen Ueberreuter-Bänden noch eine Portion kernig-gesünder aus ?)
Die Sache mit dem „geborenen Verbrecher“ gibt mir ja zu denken … Warum darf denn Lebius, wenn es sich um einen privaten Brief handelte, nicht seine Meinung sagen ? Da muß ich ja aufpassen was ich in privaten Mails schreibe. Ich war immer der Meinung in einer privaten Mail dürfe ich z.B. etwas von wegen „Knalltüte“ o.ä. schreiben, solange ich das öffentlich nur allenfalls äußerst kryptisch andeute, jetzt bin ich mir gar nicht mehr so sicher. Nicht dass einen einer mal verpfeift …
Die Zeichnung auf S. 570 an die Wand sich zu hängen, wäre eine Überlegung wert (wenn die dummen Gesichter und dieses etwas störende „wir“ nicht wären) …
Georg Heym, auch so einer, von dem mehr als nur den Namen kennen sich offenbar möglicherweise lohnt. Jedenfalls ist die Kostprobe auf S. 572 inhaltlich und stilistisch durchaus eine Empfehlung. Berthold Viertel („relativ ganz ausgezeichnet“, „irgendwie auch ist“ beherrscht die Kunst der lavierend-flexiblen Formulierung. Eine Zeitschrift „Kain – Zeitschrift für Menschlichkeit“ zu nennen, machte den Berichterstatter wiederum auf Erich Mühsam aufmerksam, und erste ergoogelte Leseeindrücke aus dem Internet verheißen in der Tat Lesenswertes. (S. 572)
Traurig die Bilder auf S. 574/75. Da ist es vorbei mit der Lebenskraft, ein Ende absehbar.
Dementsprechend wirkt das Bild auf S. 576 unten rechts wie ein Abschiedsbild, aber nicht wie beim Lied des Türmers, der Abgebildete schaut ja auch in die andere Richtung …
Auf S. 579 ist jener Robert Müller zu sehen, der nicht nur beim Zustandekommen von Mays Wiener Vortrag eine größere Rolle gespielt hat, sondern (neben noch ein paar anderen, wie z.B. Wollschläger und Wohlgschaft) auch die klügsten Dinge über Karl May geschrieben hat, derer man überhaupt ansichtig werden kann („Nachruf auf Karl May“), und diesen, im Gegensatz zu so vielen anderen, offenbar tatsächlich verstanden hat. Es ist wohltuend, auch mal einem interessanten Menschen zu begegnen, und sei es nur auf einem Foto.
„Er wird jubelnd begrüßt, und da er sich linkisch, unbeholfen, sichtlich überrascht bedankt, wird der Beifall zehnfach stärker“, ich weiß nicht wie oft ich das schon gelesen habe, aber die Stelle erwischt mich sozusagen jedes Mal aufs Neue, ich kann es mir halt, wie heißt es so schön, „lebhaft vorstellen“, bzw., sehe es vor mir. (S. 580)
Die zunächst ganz ähnlich wirkende Anzeige (S. 582), Old Shatterhand mit Kreuzzeichen dahinter, ruft einen dann schnell wieder zu gebührender Nüchternheit zurück: Von "sämtlichen Bänden in beliebiger Anzahl in Kommission", "in Umschlag geheftet M.3.-", "roter Bestellzettel anbei" u.ä. ist schon wenige Zeilen später die Rede, innerhalb der gleichen Anzeige. – So ist das, des einen Tod des anderen Brot, oder, wie schon Fußball-Philosoph Stepanovic durchaus richtig sagte, „Lebbe geht weider“.