Karl May, Mormonen und Genealogie

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rodger
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Beitrag von rodger »

ich hatte nichts, gar nichts sagen und die Gefahr, in welcher der Knabe schwebte, zu nichts ausnützen wollen; aber Muhammed anrufen und als groß preisen lassen, das fiel mir auch nicht ein; darum wendete ich mich, als die Tuareg nun schwiegen, mit lauter Stimme, so daß alle es hörten, zu dem Scheik:

»Muhammed kebir? Er ist groß? So bin ich also umsonst herbeigekommen? Wohlan, so wollen wir warten und zusehen, wie Muhammed deinen Knaben herüberholen wird!«

Ich setzte mich, als ob uns gar nichts dränge, gemächlich wieder in den weichen, tiefen Sand. Da ergriff er mich bei der Schulter, um mich aufzuziehen und schrie:

»Ne' uhzu billa! Um Gottes willen, was thust du da! Du setzest dich nieder und hast doch vorhin selbst gesagt, daß kein Augenblick zu verlieren sei!«

»Das ist auch jetzt noch meine Meinung, und ich hoffe, daß Muhammed, dessen Hilfe ihr angerufen habt, nicht anders denkt; er mag sich beeilen, sonst ist dein Sohn verloren! Was ich vermag, daß vermag ich nur als Werkzeug eines Höhern, und dieser Höhere heißt nicht Muhammed, sondern Isa Ben Marryam.«

»So sei barmherzig, und rette meinen Sohn im Namen dieses deines Isa Ben Marryam!«

»Nachdem ihr Muhammed angerufen habt? Nein! Soll en Nisr (* Adler.) sich herniedersenken, wenn el Aßfur (* Sperling.) gerufen worden ist? Da draußen schwebt ein junger Anhänger Muhammeds über dem Rachen des Todes, und hier stehen achtzig Muminin (* Gläubige.), denen kein Prophet die Kraft und den Mut giebt, ihn zu retten, während ein einzelner Christ im Vertrauen auf Isa Ben Marryam das grauenvolle Werk wagen will. Und da fragst du noch, wer mächtiger und größer sei, Isa oder Muhammed? Du scheinst die Lehren euers Propheten nicht zu kennen. Hat er nicht gesagt, daß Isa Ben Marryam am Ende der Tage herniederkommen werde auf die Moschee der Ommajaden in Damaskus, um zu richten alle Lebendigen und alle Toten? Ist da nicht Seligkeit und Verdammnis in die Hand meines Isa gelegt? Nenne mir dagegen die Macht, die euerm Muhammed gegeben ist! Keine!«

»Sihdi, wie quälst du mich! Du streitest über den Glauben und dort schwebt mein Sohn - - oh Allah, Allah, Allah! Siehst du nicht, daß der Tachtirwan wankt, daß er umstürzen und versinken wird!«

Er rief diese Worte nicht, sondern er brüllte sie in der größten Angst. Der Knabe sah, daß ich mich niedergesetzt hatte; er schrie lauter als vorher um Hilfe und bog sich dabei so weit aus der Sänfte heraus, daß sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Die Tuareg fielen alle in den Schreckensruf des Vaters ein, welcher mich jetzt bei den Schultern nahm und mich anflehte:

»Steh auf; steh auf, und hilf, Sihdi! Wenn du den Sohn unseres Stammes rettest, werden wir Isa Ben Marryam die Ehre geben!«

»Ruft ihn an, so wird er helfen!«

»Wie sollen wir rufen?«

»Habt ihr vorhin gesagt: Muhammed kebir (* Ist groß.), so ruft jetzt dreimal: Isa Ben Marryam akbar! (* Ist größer.)«

Da wendete er sich an seine Leute:

»Ihr habt gehört, was dieser Sihdi von uns fordert. Muhammed hat selbst gesagt, daß Isa Ben Marryam alle Lebendigen und alle Toten richten werde; er ist also der Herr des Gerichtes und des ewigen Lebens. Stimmt mit mir dreimal ein in den Ruf. Isa Ben Marryam akbar!«

Ich hatte viel, ja mehr als zu viel verlangt; aber die Angst um den Knaben erfüllte alle Anwesenden, und so erhoben sie wie vorhin die Hände, und es erklang dreimal der Ruf im Chore, der noch bei keinem von ihnen über die Lippen gekommen war. Nun erst stand ich auf


:!:
marlies

Beitrag von marlies »

ja, ja, ja, Religion tut mir das so an ... wie das mit dem Kind absaufen lassen ... ist ja eh gleich ein Spiegel den er der Religion hochhaelt ... der Solomon haette ein Kind in 2 geschnitten ... was uns die Religion so androht ... ? ... im Namen von dem der doch eigentlich nur 'Liebe' sein soll ... wenn's nicht betet tu ich euren kindern was an ... geez (schon im alten Egypten irgendwo - jeder Erstgeborene) ... ich werde mir meine eigene Meinung bilden ueber die Mariengeschichten ... jetzt hast mich neugierig gemacht.

Ach, schoene quote ... er haette einen guten und effektiven Missionar gemacht (hat er in der Gobi da auch schon selbst gesagt) - das hat die Marienkalender Leser aber gefreut - viele Seelen geretted mit einem Schlag <shake of head>. Ob er da einen Bonus bekommen hatte? Das schrieb er so ueberzeugend als ober wirklich auch daran glaubte. Wie gesagt, er wusste auf welcher Seite sein Brot gebuttert wurde und hat dick aufgetragen.
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Helmut
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Beitrag von Helmut »

Diese Geschichte ist ein "extremes" Beispiel für die Geschichten, die KM für die "Marienkalender" schrieb.
Offenbar fanden deren Leser daran Gefallen und haben wohl auch solches erwartet, so schwer es einem haute auch fällt sich dies vorzustellen.

Helmut
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Altkatholiken wissen diese Marienkalender noch in dieser Zeit in ihrem Ausagewert - auch die Erzählungen Karl Mays - durchaus zu schätzen.

Der gewöhnliche Leser vermag mit diesen Erzählungen Mays nichts mehr anzufangen, doch ist dies eher in dem Werte- und Glaubensverfall in der westlichen Wertegemeinschaft zu sehen.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Zum gleichen Themenkreis (bezieht sich auf den vorletzten Beitrag und die davor, nicht auf den seltsamen letzten) erlaube ich mir auch noch, auf das zu verweisen ...

http://141.30.89.80/~thomas/maybuecher/ ... 50&_sort=A

(das ist mal eine der Marienkalendergeschichten "mit allem", Schönem und nicht so Schönem ...)
marlies

Beitrag von marlies »

schnip>>>so schwer es einem haute auch fällt sich dies vorzustellen<<<<schnap
ich bin alt genug mich meiner Grossmutter und Urgrossmutter zu erinnern die GENAU in dem Schlag waren --- wie sagte er so schoen im Brodnick das herausgenommen wurde? (zitiert woanders - verwandte Herzen glaub ich) --- und der fallout des Schadens der DAMIT angerichtet wurde resoniert noch Generation weiter ... auch Bloedsinn wird schlussendlich ein Bestandteil unseres 'universalen Gemeingutes' ...
... 'Schaeflein, hoer auf zu denken!' ...

***

wusste gar nicht dass es verschiedene Sorten von Lesern gibt (ausser der Unterschied zwischen denen die koennen und denen die nicht koennen) - was ist der Unterschied zwischen einem gewoehnlichen und einem ungewoehnlichen Leser?
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

Mehr noch, Marlies, es gibt noch analytisch gesehen, den gemeinen Leser.

:wink:
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rodger
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Beitrag von rodger »

Wenn es einem mit dem Marienkalender-May zuviel wird, mag man sich gerne an die "Juweleninsel" erinnern, wo das hingebungsvolle Treiben der Brüder und Schwestern nicht immer gar so primär fromm ist, oder an August Seidelmann, mit dem habe ich es derzeit gerade wieder zu tun bei der Lektüre vom Verlornen Sohn in der HKA; das Figurenlexikon informiert:

ehemal. Schuster; Vorsteher der Schwestern- und Brüdergemeinde ›Die Seligkeit‹; Chorleiter, Verfasser von religiösen Traktaten; er spricht fast nur in Bibelzitaten (»in salbungsvollem Tone«), die er in zynischer und blasphemischer Weise gebraucht; so sagt er zu einem Kranken: »Wen Gott lieb hat, den züchtigt er ... Wenn Sie wirklich Noth leiden, so ist diese Ermahnung zur Buße ein Zeichen, daß der Allbarmherzige Euch vergeben will« (114); seinem Bruder antwortet er, als dieser erklärt, wie er die Weber betrügt: »Ein Jeder wuchre mit dem Pfunde, das ihm verliehen ist! Wohl dem, der die Bedeutung der Schriftworte so klar erkennt, daß sie ihm Nutzen bringen!« (530). Man nennt ihn meist »den frommen Seidelmann«. Unter diesem Deckmantel betreibt er einen erfolgreichen Menschenhandel: er verkauft den kleinen Jungen SCHUBERTs an einen Zirkus; über seine Komplizin ADELHEID GROH verschachert er Mädchen (MARIE BERTRAM, VALESKA PETERMANN) in das Bordell PAULI. Er wird verhaftet und zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt.
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rodger
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Beitrag von rodger »

es gibt noch analytisch gesehen, den gemeinen Leser.
Das ist wie beim Schach mit den Bauern, da gibt es (in alphabetischer Reihenfolge) Damenbauern, Doppelbauern, Freibauern, hängende, isolierte, [ups, jetzt hätt’ ich fast was gesagt, aber das ist ein anderes Spiel und außerdem gefällt mir der Ausdruck gar nicht], Königsbauern, Läuferbauern, Mehrbauern, rückständige, Springerbauern, Turmbauern, verbundene, vergiftete, Tripelbauern. Ich hoffe ich habe nichts vergessen.

Ebenso kompliziert ist das mit den Lesern, mindestens.

:wink:
marlies

Beitrag von marlies »

sublime: schnip>>>was auf mich regelrecht albern und kindisch wirkt, als stritten sich dem Sandkasten gerade entwachsene<<<schnap

eigentlich moechte ich sagen: 'als stritten sich Erwachsene im Sandkasten ... darum wessen Gott groessere Strafen austeilen kann ...' --- ebenso : schnip>>>»Wen Gott lieb hat, den züchtigt er<<<schnap

... und Solomon wieder: schnip>>>„Ich richtete den Lauf auf eins der Kinder, da rief die Frau:»Halt, schieß nicht! Wir gehorchen!«“<<<schnap

und was noch sublimer ist -- neben der Rezension ist eine Reihe von 'Auf Fremden Pfaden' Ausgaben wo der dunkle Wilde mit erhobenem Knuettel drohend irgendjemand nachrennt - ob er wohl einen Christlichen Weissen zu seiner Religion ueberreden will? Je mehr man scrollt desto grimmer wird er ... bis es weiter unten sich dann aendert und das zweit unterste Bild zeigt jemand der sitzt und denkt und ein zweiter steht ueber ihm und ist anscheinend daran ihm mit einem Stein ueber den Kopf zu klobbern... (ein Mormone ist es nicht, er traegt die falschen Kleider dazu).
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rodger
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Beitrag von rodger »

Der mit dem Stein, das ist ein gewisser Abd el Birr (nicht etwa Abd el Kahir, auch so ein Scheich, für den gibt sich aber Abd el Birr nur aus) aus "Blutrache". Der andere soll, Du magst wollen oder nicht, Hadschi Halef Omar sein (auch wenn die Physiognomie eher nach einem der bei Karl May im Orient so zahlreich vertretenen vierten Soldaten von links aussieht).

("da sah ich, daß er einen Stein vom Boden aufhob und, ihn zum Schlage hochhaltend, schnell hinter Halef trat." - Weltbild-Band S. 245)
H. Mischnick
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Beitrag von H. Mischnick »

Wes Brot ich eß ... Den Marienkalender-Geschichten merkt man an, was sie sind: Auftragsarbeiten für einen Verlag in Ultramontankatholistan, bei denen sich May nicht so recht wohl gefühlt zu haben scheint (siehe später, im Silberlöwen, die Ultra-Taki). Das Eichsfeld ist auch über die roten Jahrzehnte hinweg mehrheitlich streng katholisch geblieben, und dessen seinerzeitige Seelenhirten und Verlagsleiter können nicht weniger ultra gewesen sein. Außerdem wollte May damals gern als Katholik gelten (Die Kirche in den schönburgischen Receßherrschaften war eine konservative evangelische, im Kirchenliedgut teilweise katholizismusnahe). Wir dürfen nicht vergessen, daß in jenen Zeiten die Religion im öffentlichen Leben eine erheblich größere Rolle spielte als heute.

Mormonische Schurken waren für Amerika-Erzählungen vorgesehen, denn in den USA breitete sich diese Glaubensgemeinschaft stark aus, hingegen kam sie im Orient kaum zum Tragen. Karl May scheint einiges von deren Glauben gewußt zu haben, genug, um sich davon gründlich zu distanzieren.
Kurt Altherr
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Beitrag von Kurt Altherr »

......und im Orient waren es die Armenier, was eigentlich noch schlimmer ist.

Auch hier die Frage. Was wußte Karl May von den Masakern an den Armeniern durch die Osmanen, die es ja schon vor den Ereignissen 1914/15, z.B. im Jahre 1896 gab?

Sehr gut das Buch von Franz Werfel "Die 40 Tage des Musa Dagh".
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