"Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zu mugwort, aber natürlich auch zu Rüdiger: Wenn ich eine "Präexistenz" der menschlichen Seele bezweifle (so ganz sicher bin ich mir freilich nicht), so muss dies keineswegs bedeuten, dass wir nicht "von Gott kommen". Aus christlicher Sicht sind wir keine Kinder des Zufalls, sondern des göttlichen Schöpfungswillens. Die christliche Dogmatik (die ich aber nicht für "unfehlbar" halte) sagt, dass unsere konkrete Existenz zwar einen Anfang (nämlich die Zeugung durch die Eltern) hat, aber kein Ende - weil wir zum "ewigen Leben" in der Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind.

Greift nun Gott bei der Zeugung jedes Kindes unmittelbar ein? Wohl kaum. Ich denke viel eher, dass der Schöpfergott die Evolution SO initiiert hat, dass die Entstehung von individuellen Personen (also Geschöpfen mit Selbstbewusstsein und Ich-Perspektive) von Anfang an gewollt war. In jedem Fall ist es aus christlicher Sicht richtig und wahr, wenn eine Mutter zu ihren Kindern sagt: Ihr kommt von Gott und werdet zu Gott zurückkehren, denn ihr seid unendlich geliebt von einer Liebe, die nie aufhört.

Ist das "Ich" eine "Illusion"? Ich weiß, dass diese Meinung von vielen Denkern vertreten wird, bin selbst aber anderer Meinung. Im 3. Band der "Unsterblichen Paare" gehe ich auf diese, gewiss schwierige, Frage näher ein.
mugwort
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von mugwort »

rodger hat geschrieben:
mugwort hat geschrieben: möchte ich doch als Mutter zweier Jugend von heute ENERGISCH widersprechen.
Mutter & energisch. (Und gar noch "ENERGISCH" ...) Oh Gott ... :mrgreen:

(das soll nicht heißen daß es nicht passe, dochdoch, aber es macht mir sozusagen Angst ... :mrgreen: )

(wir hatten schon mal so eine hier, Waukel genannt, die älteren werden sich erinnern, da hatte ich manchmal die Assoziation vom Scheuerlappen, mit dem energisch auf unbotmäßige Buben losgegangen wird ...) :mrgreen:
Ich sag nur: Krakeline (bin gerade Auf der See gefangen...) :mrgreen:

Aber nönönö - energisch kann ich durchaus (ein gewisses impulsives Temperament ist mir durchaus zu eigen), aber Scheuerlappen und unbotmäßige Buben? Das ist im Minimum zwei Generationen über mir :mrgreen:

P.S.: Der geneigte Leser der KMG-Mailing-List kennt meinen Namen, ich bin also vollumfänglich googelbar, sollten Vorurteile abgebaut werden sollen....
mugwort
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von mugwort »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Zu mugwort, aber natürlich auch zu Rüdiger: Wenn ich eine "Präexistenz" der menschlichen Seele bezweifle (so ganz sicher bin ich mir freilich nicht), so muss dies keineswegs bedeuten, dass wir nicht "von Gott kommen". Aus christlicher Sicht sind wir keine Kinder des Zufalls, sondern des göttlichen Schöpfungswillens. Die christliche Dogmatik (die ich aber nicht für "unfehlbar" halte) sagt, dass unsere konkrete Existenz zwar einen Anfang (nämlich die Zeugung durch die Eltern) hat, aber kein Ende - weil wir zum "ewigen Leben" in der Gemeinschaft mit Gott bestimmt sind.

Greift nun Gott bei der Zeugung jedes Kindes unmittelbar ein? Wohl kaum. Ich denke viel eher, dass der Schöpfergott die Evolution SO initiiert hat, dass die Entstehung von individuellen Personen (also Geschöpfen mit Selbstbewusstsein und Ich-Perspektive) von Anfang an gewollt war. In jedem Fall ist es aus christlicher Sicht richtig und wahr, wenn eine Mutter zu ihren Kindern sagt: Ihr kommt von Gott und werdet zu Gott zurückkehren, denn ihr seid unendlich geliebt von einer Liebe, die nie aufhört.
Die philosophische Frage (die meine eher praktisch veranlagte Wenigkeit sicher nicht lösen wird und schon gar nicht heute, immerhin soll hier vor dem Fußball noch zu Abend gegessen werden :) ), geht in die Richtung: Was passiert gedankenlogisch, wenn man die Zeitdimension des gestern-heute-morgen, der Gott nicht unterliegt, auflöst. Mir gefällt der - zugegebenermaßen hochspekulative - Gedanke, dass alles Leben zeitgleich geschaffen worden sein könnte (nicht sukzessive), auch wenn es sich auf Erden in der Dimension der Zeit abspielt. So eine Art "göttlicher Urknall der Schöpfung". Dann wäre mein ICH kein isolierter Schöpfungsakt, sondern von Anbeginn im Kontext meiner Vor- und Nachfahren gedacht und genau so gewollt. Das hat was.
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

O ja, dieser Gedanke hat was! Er gefällt mir spontan. Übrigens vertritt der von mir schon zitierte katholische Theologe Hans Kessler eine Auffassung, die ganz in diese Richtung geht.

Jetzt aber geht's los mit Fußball, gleich sitz ich vor der Glotze.
Rene Grießbach
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Rene Grießbach »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: Zuletzt noch eine sehr persönliche Bemerkung: WARUM ist mir eine Ewigkeitsperspektive für die individuelle Person so wichtig? Es sind im Wesentlichen drei Gründe.

Erstens: Wenn der Tod das absolute Ende der Person wäre, dann wäre am Ende alles vergeblich und das Leben wäre – aus meiner Sicht – sinnlos, weil der Tod dann „eine rückwirkend entwertende Kraft“ (Ernst Bloch) hätte. Auch das „Weiterleben“ in meinen Werken und in meinen (in meinem speziellen Fall nicht vorhandenen) Nachkommen ist für mich kein wirklicher Trost, weil früher oder später auch alle meine Werke und alle meine Nachkommen (selbst wenn es sie gäbe) vergessen sein werden.

Zweitens: Die Hoffnung auf ein personal verstandenes „ewiges Leben“ in der ganz anderen (für uns Irdische nur höchst unzureichend vorstellbaren) Seinsdimension Gottes entspricht dem Wesen der LIEBE. „Einen Menschen lieben heißt ihm sagen: Du wirst nicht sterben.“ (Gabriel Marcel) Wer liebt, möchte, dass das geliebte Du (durch Wandlungen, durch Läuterungs- und Reifungsprozesse hindurch) für immer Bestand hat. Ja, es gibt mehrere Menschen, die ich so sehr liebe, dass ich sie im „Himmel“ (in der Ewigkeit Gottes) in einer neuen Weise (die ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann) wiederfinden möchte.

Drittens: Wenn es keine individuelle „Unsterblichkeit“ (bzw. keine „Auferstehung der Toten“) gibt, dann werden die Opfer der Weltgeschichte (die grausam Ermordeten, die brutal Gefolterten, die elend Verreckten, die rücksichtslos Ausgebeuteten, die schon im Mutterleib oder im Alter von nur wenigen Jahren Verstorbenen) nie wirklich getröstet und nie wirklich aufgerichtet werden. Und die Täter werden sich nie verantworten müssen, weder vor Gott noch vor ihren Opfern. Gegen eine solche Vorstellung wehrt sich alles in mir.
Diese sehr persönlichen Ausführungen von Hermann Wohlgschaft haben mich beim Lesen ausgesprochen stark berührt. Weil sie einen Einblick in sein Seelenleben bieten, wie es in dieser Intensität nicht sehr oft passiert. Und weil sie auch mit meinen eigenen Ansichten weitgehend
übereinstimmen. Insbesondere das unter "Drittens" geschriebene.

Und dann ist da noch eine Passage, nämlich unter Erstens.
Eine Passage, die mich an mich selbst erinnerte, an eine Zeit, wo ich mich sehr intensiv mit dem Thema Sterben und Tod auseinanderzusetzen hatte. Und wo ich gegenüber meiner Psychoonkologin fast die selben Worte gebrauchte, wie sie hier bei Hermann Wohlgschaft unter Erstens zu finden sind. Nämlich:
(...) weil früher oder später auch alle meine Werke und alle meine Nachkommen (selbst wenn es sie gäbe) vergessen sein werden.
Meine Psychoonkologin fragte mich daraufhin:
"Warum glauben Sie, dass alle Ihre Werke vergessen sein werden? Und wenn Sie das glauben, warum schreiben Sie dann Ihre Werke?" (Ich hatte ihr erzählt, dass ich auch das eine oder andere schreibe und veröffentliche)

Nun, ich konnte diese Frage nicht beantworten. Weil, das habe ich dann ganz schnell gemerkt, diese Frage, insbesondere die erstere, nicht beantwortbar ist.
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Vielleicht entstehen menschliche (literarische, musikalische, künstlerische oder sonstige) Werke eben deshalb, weil ihre Schöpfer/innen insgeheim glauben oder hoffen, dass ihre Werke letztlich NICHT vergessen, sondern von einer höheren - unvergänglichen - Instanz registriert und womöglich vollendet werden. Ich denke, unter anderem, an die Inschrift auf dem Grabmal Karl Mays.
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Nochmals zu René bzw. zu Rüdiger und mugwort: Ich nehme an, es gibt ein universales Gedächtnis, in dem alles verzeichnet ist. Aber dieses – göttliche – Gedächtnis „bewahrt“ nicht nur, es ist zugleich schöpferisch. Anders gesagt: Gott zeichnet meine persönliche Lebens-, Freiheits- und Liebesgeschichte (zu der ja besonders auch meine „Werke“ gehören) nicht einfach bloß auf, er macht noch etwas daraus; er führt die Essenz meines Lebens zu einem, wie ich hoffe, guten Resultat.

Ich setze (als Axiom) voraus, dass das Leben bzw. die Evolution einen letzten Sinn und ein letztes Ziel hat. Dass das so ist, kann ich nicht beweisen. Aber auch das Gegenteil kann man nicht beweisen. Weil ich es für vernünftig halte, entscheide ich mich für die Sinn-Option.

Mit der Sinn-Option wird zugleich aber vorausgesetzt, dass das menschliche Ich eine Realität und keine „Illusion“ (auch keine „Abstraktion“ wie die Donau oder der Rhein) ist. Andernfalls wäre ich für nichts wirklich verantwortlich, weder vor mir selbst noch vor Gott und der Kreatur.

Selbst wenn ich es wollte, meiner Identität kann ich nicht entkommen. Niemand kann es. Mein „Ich“ ist allerdings nichts Statisches, sondern etwas Dynamisches. Mein „Ich“ ist (solange ich auf Erden bin und den Bedingungen von Zeit und Raum unterliege) im WERDEN. Die „Ego-Zertrümmerung“ (Rüdiger) ist in diesem Werdeprozess eine Vorstufe zur eigentlichen Selbstwerdung. Ich entwickle mich, ich werde – hoffentlich – mehr und mehr zu dem wahren „Selbst“, das Gott in mich hineingelegt hat. Diese Selbstwerdung ereignet sich m.E. primär in der personalen Begegnung mit anderen Personen. Sie ereignet sich in der Liebe von Ich zu Du und – weit darüber hinaus – im lebendigen Gegenüber zu einer transzendenten, umfassenden Liebe, die alles trägt und die im religiösen Sprachspiel „Gott“ genannt wird.

Wie Gott ist, kann man nicht wissen. Gott ist unendlich größer als alles, was wir über ihn sagen und denken. Aber wenn die Chiffre „Gott“ überhaupt einen Sinn haben soll, dann kann Gott auf keinen Fall WENIGER sein als „personal“. Gott ist keine „Person“ im uns bekannten Sinne (sonst wäre er/sie/es nicht Gott, d.h. nicht der tragende Urgrund allen Seins). Aber er/sie/es kann NICHT WENIGER sein als „Person“, sonst stünde er/sie/es unterhalb des menschlichen Seins.

Und was hat dies alles mit der „Kulturgeschichte der Liebe“ bzw. den „Unsterblichen Paaren“ zu tun? Mir geht es natürlich in den neuen drei Bänden (wie in allen meinen übrigen Schriften einschließlich der May-Biographie) nicht nur um „Paare“, sondern überhaupt um die LIEBE. Menschliche Begegnung und somit die Selbstwerdung der individuellen Person kann nur gelingen, wo Menschen sich lieben. Dies an vielen Beispielen „narrativ“ (erzählerisch) aufzuzeigen, ist mein ureigenstes Anliegen – als Prediger in der Kirche, als Religionslehrer in der Schule, als Schreiber von Büchern. Ich denke, bei Karl May (dem gelernten Katecheten und „geographischen Prediger“) war das im Prinzip nicht anders.
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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: Mit der Sinn-Option wird zugleich aber vorausgesetzt, dass das menschliche Ich eine Realität und keine „Illusion“ (auch keine „Abstraktion“ wie die Donau oder der Rhein) ist. Andernfalls wäre ich für nichts wirklich verantwortlich, weder vor mir selbst noch vor Gott und der Kreatur.
Ich sehe da keinen Zusammenhang. Wir sind, wir mögen wollen oder nicht, unser Vater und unsere Mutter, und noch allerhand mehr ... (Geschichte, Einflüsse, Gene ... sowie die Materialien, aus denen wir alle sind ... wir sind: Konglomerate ...) Und innerhalb dieser eben nicht abgesonderten, nicht für sich stehenden Ichs, dieser mit dem sogenannten Außen verwobenen Konglomerate, gibt es jeweils noch ein (abstraktes, Bewußtseins-) Ich, das sehr wohl (teilweise ...) verantwortlich ist ...
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Ich bin nicht mein Vater. Zur Zeit lese ich das Kriegstagebuch meines Vaters (22.6.1941 bis 22.6.1942). Er war damals Frontoffizier in einer Panzerjäger-Abteilung im Kaukasus, schoss russische Panzer ab und fragte nicht nach dem Sinn. (Mit welchem Recht marschiert die deutsche "Wehrmacht" in Russland ein?) Mein Vater war ein "Macher", ein "Techniker", ein "Realist". Ich - als eher philosophischer Typ - fühlte mich von meinem Vater teilweise abgelehnt. Damit will ich nicht sagen, dass ich mit meinem Vater nichts zu tun habe. O doch, da gibt es schon etliche Gemeinsamkeiten aufgrund der Gene. Ich schieße zwar keine Panzer ab, dafür aber, wer weiß, irgend etwas anderes. :roll: Natürlich bin ich auch von meinem Vater beeinflusst (ebenso von meiner Mutter und unzähligen anderen Personen), natürlich auch von meinen Erlebnissen, von meiner Lektüre und von unzähligen anderen Dingen. Diese anderen Personen oder Dinge betrachte ich aber nicht als Teile meines Ich und nicht als Ich-Derivate. Sie haben mich geprägt und prägen mich, gewiss, aber mein wirkliches "Ich" ist doch mein "Bewusstseins-Ich". Mit diesem Ich bleibe ich, durch alle Wandlungen und alle "Ego-Zertrümmerungen" hindurch, identisch.

In UP 3 setze ich mich u.a. mit Max Frisch auseinander, mit seinem Bühnenstück "Biografie", seinen Romanen "Stiller" und "Mein Name sei Gantenbein". In diesem Zusammenhang stehen dann auch meine Erörterungen zum Themenkreis "Ich, Identität, Wandlungsprozesse, Selbstwerdung, Liebe, Auferstehung der Toten".
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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

Zur "Illusion des Ich" las ich dieser Tage von Wilhelm Busch (aus einem Brief): "Ich sehe die Glieder der Kette in Eins: Kinder, Eltern, Völker, Tiere, Pflanzen und Steine. Und alle sehe ich sie von einer Kraft erfüllt. Sind Berge, Wellen, Lüfte nicht ein Stück von mir ?"

Wenn wir erkennen, daß wir auch das sind, was wir nicht mögen (z.B. [anteilig] Mutter, Vater, Lebius ...), sind wir schon mal einen Schritt weiter ...
Es dehnt sich da ein weites Land
Oft abgrundstief, oft steil empor.
Es dürstet da der Wüste Sand,
Es spritzt der Sumpf, es weint das Moor.
Mit diesem Ich bleibe ich, durch alle Wandlungen und alle "Ego-Zertrümmerungen" hindurch, identisch.
Dazu fiel mir unbotmäßigerweise spontan "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß" ein ... (nur mal so spontan assoziiert ...)

:D
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Es stimmt: Mein Ich erschöpft sich nicht in meinem Bewusstseins-Ich. Was meine ich eigentlich, wenn ich "Ich" sage? Mein Bewusstsein? Meinen Personkern? Meine Person in Verbindung mit ihrem Beziehungsgeflecht? Das definitive Ergebnis meiner Lebens- und Liebesgeschichte?

Ich meine dies alles zugleich und darüber hinaus noch etwas Anderes. Dieses Andere drückt der bekannte Benediktinermönch Anselm Grün so aus: Mein innerstes Wesen besteht "in dem Wort, das Gott nur in mir spricht und das nur in mir und nur durch mich in dieser Welt vernehmbar werden kann".

Die durch alle Wandlungsprozesse hindurch gegebene Ich-Kontinuität (auch die Kontinuität des irdischen Ich mit dem postmortalen Ich) wäre demnach durch die Schöpfertreue Gottes gewährleistet: Weil ich – wie auch jeder Andere – von Gott angesprochen und geliebt bin, habe ich meine einmalige Bestimmung und meine spezifische Aufgabe. Ich muss mich also nicht selbst erfinden, nicht selbst entwerfen. Denn mein wahres Selbst, mein innerstes Wesen, ist mir immer schon ins Herz geschrieben. Und dieses wahre Selbst kommt, wie ich sehnsüchtig hoffe, jenseits des Todes zur unverlierbaren Erfüllung: in einer Liebe, die niemanden ausschließt und die ganze Schöpfung mit einschließt.
mugwort
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von mugwort »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Es stimmt: Mein Ich erschöpft sich nicht in meinem Bewusstseins-Ich. Was meine ich eigentlich, wenn ich "Ich" sage? Mein Bewusstsein? Meinen Personkern? Meine Person in Verbindung mit ihrem Beziehungsgeflecht? Das definitive Ergebnis meiner Lebens- und Liebesgeschichte?

Ich meine dies alles zugleich und darüber hinaus noch etwas Anderes. Dieses Andere drückt der bekannte Benediktinermönch Anselm Grün so aus: Mein innerstes Wesen besteht "in dem Wort, das Gott nur in mir spricht und das nur in mir und nur durch mich in dieser Welt vernehmbar werden kann".

Die durch alle Wandlungsprozesse hindurch gegebene Ich-Kontinuität (auch die Kontinuität des irdischen Ich mit dem postmortalen Ich) wäre demnach durch die Schöpfertreue Gottes gewährleistet: Weil ich – wie auch jeder Andere – von Gott angesprochen und geliebt bin, habe ich meine einmalige Bestimmung und meine spezifische Aufgabe. Ich muss mich also nicht selbst erfinden, nicht selbst entwerfen. Denn mein wahres Selbst, mein innerstes Wesen, ist mir immer schon ins Herz geschrieben. Und dieses wahre Selbst kommt, wie ich sehnsüchtig hoffe, jenseits des Todes zur unverlierbaren Erfüllung: in einer Liebe, die niemanden ausschließt und die ganze Schöpfung mit einschließt.
Danke.

Auf der Suche nach meinem ICH - nicht erfinden, sondern finden. Ist hierfür nicht Karl Mays Vita ein (exzessives) Beispiel? Hat er sich nicht in geradezu verzweifelter Weise immer und immer wieder neu selbst erfunden, letztendlich vergeblich? Und am Ende gefunden in der Erkenntnis, dass es keiner Selbsterfindung (mehr) bedarf? Ist es nicht das, was in Heimkehr zwischen den Zeilen unausgesprochen mitschwingt und diesem Gedicht seinen so nachdrücklichen und anrührenden Duktus verleiht?

Viele Grüße
mugwort
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Mays (während der Orientreise am 13. August 1899 in Jerusalem verfasstes) Gedicht 'Heimkehr' ist ein Gebet, ein religiöses Bekenntnis. Dieser Text sollte also nicht nur nach formalen, literarästhetischen Gesichtspunkten bewertet werden. Auch nicht, jedenfalls nicht primär, nach psychoanalytischen Kriterien (als Ausdruck einer "regressiven" Gemütsverfassung).

mugwort stimme ich gerne zu: 'Heimkehr' bezeugt eine tiefe religiöse Einsicht, ja geradezu eine mystische Erfahrung, ein großes Bekehrungserlebnis des Verfassers. Karl May spürt zu Beginn seiner Pilgerreise: Was zählt in den Augen Gottes, sind nicht meine Werke, nicht meine Leistung, nicht mein literarisches Können, sondern allein meine Sehnsucht nach der Heimath, nach dem Himmel. Denn was ich für das Zeitliche hier thue, / Das rächt sich an dem Ewigen in mir.

May sieht jetzt endlich ein: das Locken und das Prahlen (…) mit eitlem Trug und Schein ist vergeblich, ist nichtig. May spürt aber auch: Ich muss mein Ich nicht reparieren, ich muss mich gar nicht beweisen, ich muss mich überhaupt nicht rechtfertigen, denn ich bin von Anfang an geliebt als Kind des himmlischen Vaters. Der Schriftsteller hat in seinem Herzen erkannt: Die Würde, der einmalige Wert, die unvergängliche Essenz seines Ich ist gewährleistet nicht durch seine Bücher und seine Dichtkunst (und schon gar nicht durch das Old Shatterhand-Gehabe), sondern allein durch die Gnade, durch das Geliebtsein von Gott.

Theologisch gesehen: Das Gedicht 'Heimkehr' veranschaulicht höchst eindrucksvoll die Rechtfertigungslehre Martin Luthers (bzw. des Apostels Paulus und des Kirchenvaters Augustinus).
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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

Interessant, was alles so heraus- oder auch hereingelesen kann aus einem bzw. in ein Gedicht …

Ich fühle mich persönlich von diesem Gedicht seit langem sehr angesprochen bzw. finde mich in ihm wieder. Auch auf ganz profane Art, z.B. daß ich mit Sechzig wie mit Zwölf oder Zehn Karl May lese, die Augsburger Puppenkiste (die von vor fünfzig Jahren ...) mag und mich freue, daß das "Aktuelle Sportstudio" zum Teil immer noch genau so abläuft wie vor einem halben Jahrhundert, die Eingangsmelodie, die Uhr, die Torwand … Da weiß man was man hat. (Ich brauche keine Neuerungen …Beim Zahnarzt vielleicht, ok, aber ansonsten dürfte alles ruhig so sein und bleiben wie vor fünfzig oder auch noch mehr Jahren …) Und läßt das Affentheater, die Gschaftlhuberei des Rattenrennens der westlichen Welt (all das, was die Leut' in der Regel so umtreibt, interessiert mich meerschtentheels einen feuchten Kehricht …) draußen vor der Tür und innerlich ganz weit weg.

8)

("Regression" ? Ok, aber halt ganz bewußt ... beim einen wie dem andern ...)
mugwort
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von mugwort »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Mays (während der Orientreise am 13. August 1899 in Jerusalem verfasstes) Gedicht 'Heimkehr' ist ein Gebet, ein religiöses Bekenntnis. Dieser Text sollte also nicht nur nach formalen, literarästhetischen Gesichtspunkten bewertet werden. Auch nicht, jedenfalls nicht primär, nach psychoanalytischen Kriterien (als Ausdruck einer "regressiven" Gemütsverfassung).

mugwort stimme ich gerne zu: 'Heimkehr' bezeugt eine tiefe religiöse Einsicht, ja geradezu eine mystische Erfahrung, ein großes Bekehrungserlebnis des Verfassers. Karl May spürt zu Beginn seiner Pilgerreise: Was zählt in den Augen Gottes, sind nicht meine Werke, nicht meine Leistung, nicht mein literarisches Können, sondern allein meine Sehnsucht nach der Heimath, nach dem Himmel. Denn was ich für das Zeitliche hier thue, / Das rächt sich an dem Ewigen in mir.

May sieht jetzt endlich ein: das Locken und das Prahlen (…) mit eitlem Trug und Schein ist vergeblich, ist nichtig. May spürt aber auch: Ich muss mein Ich nicht reparieren, ich muss mich gar nicht beweisen, ich muss mich überhaupt nicht rechtfertigen, denn ich bin von Anfang an geliebt als Kind des himmlischen Vaters. Der Schriftsteller hat in seinem Herzen erkannt: Die Würde, der einmalige Wert, die unvergängliche Essenz seines Ich ist gewährleistet nicht durch seine Bücher und seine Dichtkunst (und schon gar nicht durch das Old Shatterhand-Gehabe), sondern allein durch die Gnade, durch das Geliebtsein von Gott.

Theologisch gesehen: Das Gedicht 'Heimkehr' veranschaulicht höchst eindrucksvoll die Rechtfertigungslehre Martin Luthers (bzw. des Apostels Paulus und des Kirchenvaters Augustinus).
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