Scepter und Hammer / Die Juweleninsel

Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

rodger hat geschrieben:So sehr ich mittlerweile versuche, den Bearbeitungen gegenüber toleranter zu sein (...)
Nun ist der Doppelroman Zepter und Hammer/Die Juweleninsel freilich ein besonders krasser Fall der Bearbeitungspraxis, da wurde am radikalsten gekürzt, umgestellt und erneuert; nicht zuletzt bestimmt auch aus der Überzeugung heraus, daß der Originaltext der Leserschaft lange, lange Zeit nicht - ja vielleicht überhaupt nie - zugänglich sein dürfte, hat man sich hier extrem ausgetobt, während etwa bei den Münchmeyer-Kolportage-Romanen noch mit einer weiten Verbreitung der Fischer-Ausgaben, ja selbst der ursprünglichen Lieferungsausgaben zu rechnen war, und die Bearbeitungen sich in diesen Fällen also immer auch an den Vorfassungen messen lassen konnten.

Ich persönlich jedenfalls halte die Argumentation der angeblichen Unvollständigkeit, des fragmentarischen Charakters und der Verwirrung durch die häufig angewandte Rückblendentechnik für reichlich überzogen, letztendlich ging es den Bearbeitern vordergründig doch wohl eher darum, den Doppelroman in zwei Bänden der 'Gesammelten' unterzubringen, insofern machten sich diese also ans Werk, umfanggerecht einige Nebenhandlungen als unnötigen Ballast einzustuften und zu entfernen, um so die Gesamtromanlänge um ein Viertel schrumpfen lassen zu können, stattdessen hätte man die beiden Romane lieber komplett in drei schmaleren Bände der 'Gesammelten' unterbringen sollen.

Man muß übrigens moralischen Aussagen wie den oben von mir zitierten zur Todesstrafe oder zur blasierten haute-volée - wie May die Oberschicht selbst bezeichnet - natürlich auch unter dem Aspekt betrachten, daß sich May hier wieder einmal der 'Ausrichtung' der Zeitschrift angepaßt hatte, sodaß man nicht automatisch davon ausgehen kann, daß May hier deckungsgleich seine eigene Meinung formuliert hat (wenngleich dies mindestens tendenziell durchaus der Fall gewesen sein dürfte). Den folgenden Satz hätte er bespielsweise natürlich niemals für den 'Hausschatz' geschrieben: Wir befinden uns hier im bevölkertsten Fabrikdistrikte des Landes; Handel und Gewerbe stocken nicht blos, sondern liegen ganz und vollständig darnieder; der Arbeiter hungert mit seiner Familie; die Sozialdemokratie erhebt ihr Haupt und heult um Rache und Hülfe überall, am kleinsten Orte tagen Meetings und Versammlungen, in denen der Kreuzzug gegen die Aristokratie, gegen die besitzenden Klassen gepredigt wird. Kein Wunder also, daß May zu jener Zeit bei der kaisertreuen Polizei als Sozialdemokrat durch und durch eingestuft wurde.

Wenn Karl May sein Alter Ego Karl Goldschmidt allerdings ob der 'hohen Herren' knirschen läst, dann entspricht dies durchaus seinen ureigensten Standpunkt, spielt er doch unverblümt auf seine Vergangenheit an: »Hund!« knirschte Karl. »Oder ist es nicht Hundenatur, auf fremdem Gebiete zu revieren? Diese Herren dürfen mit ihren sogenannten noblen Passionen ungestraft das Glück und Wohl ihrer Nebenmenschen tödten, und wenn ein armer Teufel vor Hunger die Hand nach einem elenden Stücke Geldes ausstreckt, so reißt man ihn aus all seinen Verhältnissen, aus der menschlichen Gesellschaft, und steckt ihn, der nur noch als eine Nummer gilt, zwischen kalte nackte Mauern, die er nur verläßt, um die Seinen noch ärger bestraft zu finden, als er selbst es war.

Überhaupt bietet die Goldschmidt/Vollmer-Episode, die bei der Umwandlung des entsprechenden Kapitels in einen Briefwechsel zum Opfer gefallen ist, ja einiges an biographischen Einblick. Und so ist es schon ein kurioser Witz, wenn mittlerweile die 'Emma-Pollmer-Studie' in den 85. Band der 'Gesammelten' aufgenommen wurde und Gabrielle Wolff in ihrer Einführung dank des zuvor in den 84. Band aufgenommenen Juweleninsel-Kapitels Der Bowie-Pater auch auf biographische Spiegelungen in der Figur der Miss Ella verweisen kann, die von Rodger anfangs des Threads zitierte 'Emma Vollmer', in der Emma Pollmer noch wesentlich deutlicher gespiegelt wird, allerdings ausgeklammert bleibt, denn schließlich ist die Affäre Goldschmidt/Vollmer bis heute in den 'Grünen' nicht zu finden.

Allerdings hatte zuvor auch Heinz Stolte in seiner Einführung und seinen Anmerkungen zur Reprint-Ausgabe der 'Studie' diesen wichtigen Vergleichstext nicht erwähnt oder gar ausgewertet, obwohl etwa Wollschläger bereits in seiner Biographie schrieb: (...) d a s Porträt der >Emma Vollmer< und ihres armen Karl geht über alle theoretische Beschreibung...
<p>
Wie aber soll man die 'Emma-Pollmer-Studie' als Leser richtig einschätzen können, ohne daß man Kenntnis von den widersprüchlichen Gefühlen erhält, die Karl May tatsächlich damals schon vor der Hochzeit für seine Emma hegte, sodaß man eindeutiger unterscheiden kann, was also in seiner Studien-Darstellung durch eine zweifellos auch vorhandene verzerrte Sicht im Alter bedingt ist, und was bereits wirklich der Gemüthslage des jungen May entsprach? Denn in Scepter und Hammer gibt es ja nicht nur die eindrucksvolle kurze Charakterisierung Emmas, die Rodger bereits ganz am Anfang des Threads zitiert hat, sondern noch wesentlich mehr, das May kaum verschlüsselt über die Beziehung zu seiner Emma schrieb und von dem dann einiges später in seiner 'Studie' in schärferer Tonart wieder anklingt:

»Ich begreife es nicht. Emma ist schön, besitzt ein gutes Gemüth, einen häuslichen, wirthschaftlichen Sinn und - -«
»Und weiß, daß sie schön ist,« fiel Karl ein. »Sie hat ihre Mutter bei der Geburt verloren und wurde von ihrem Vater durch übergroße Zärtlichkeit und unverständige Nachsicht so verzogen, daß sie kein anderes Gesetz kennt, als das Gefühl des Augenblicks. Sie kennt ihre körperlichen Vorzüge sehr genau; sie bemerkt es, wenn sie bewundert wird, und thut man dies nicht, so fordert sie durch Blick, Bewegung und Geberde dazu auf. Sie hatte mich lieb, aber sie will ihre Vorzüge nicht mir allein widmen, sie bedarf auch der Anerkennung Anderer, welche sie mit suchendem Auge einkassirt. Bei einem solchen Charakter oder vielmehr Naturell ist sie allen Versuchungen ausgesetzt, denen gegenüber sie nicht diejenige Festigkeit besitzt, welche erforderlich ist zur inneren und äußeren Treue gegen den Geliebten.«
(...)
»Pah! Du als Literat, der sehr berühmte Romane und Novellen schreibt, bist natürlich seelenkundiger als der bescheidene Uhrmacher Paul Held; aber ich meine, wenn ein Mädchen den Mann ihrer Wahl wirklich lieb hat, so wird sie ihren Fehlern gern entsagen.«
»Richtig, doch von diesem gern entsagen bis zum wirklichen Aufgeben der Fehler ist ein weiter und schwieriger Weg, zu welchem eine Charakterfestigkeit gehört, welche dem Leichtsinne entgeht. Emma hat mich heut noch innig lieb, aber ihre Gefallsucht wird sie auf Abwege treiben, auf denen sie vielleicht jetzt schon wandelt.«
»Karl!« rief der Andere zum zweiten Male.
»Ich bleibe bei dieser Behauptung. War es früher nicht ihr größtes Glück, des Abends an meinem Arme sich zu erholen? Und was thut sie jetzt? Sie verspricht mir, zu kommen, hält aber selten Wort, und wenn ich nachforsche, so höre ich, daß sie nicht daheim geblieben, sondern bei dieser Frau Schneider gewesen ist, deren Existenz mir eine höchst problematische zu sein scheint. Dieses Weib hat eine Tochter, welche den Anziehungspunkt gewisser Herrenkreise bildet. Ich habe Emma gebeten, die Familie zu meiden, sie hat meinen Wunsch nicht berücksichtigt; ich habe es ihr mit Strenge befohlen, sie ist mir ungehorsam gewesen; ich säe Aufrichtigkeit und ernte Lügen; diesem Zustande möchte ich ein Ende machen und kann es doch nicht, weil ich - - sie zu innig, zu innig liebe!«
»Armer Freund!«
»Ja, arm, sehr arm! Wie reich und glücklich war ich vorher. Ich gehöre zu den gelesensten Novellisten; man bezahlt meine Arbeiten so, daß ich mehr einnehme als ich bedarf; ich könnte es schnell vorwärts bringen, doch glaube mir, Paul, seid meiner Bekanntschaft mit Emma habe ich nicht eine einzige Arbeit vollendet, welche ich mit gutem Gewissen dem Drucke hätte übergeben dürfen. Wenn es so fortgeht, so bin ich geistig und wirthschaftlich ruinirt.«


Das alles entgeht den gewöhnlichen GW-Leser und es ist erst recht wirklich kaum zu verstehen, warum nicht wenigstens im Band 'Von Ehefrauen und Ehrenmännern' diese frühe Emma-Kurzstudie zum besseren Verständnis der ausführlichen 'Emma-Pollmer-Studie' zusätzlich abgedruckt wurde.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Aber auch dem Leser der Reiseerzählungen entgeht einiges, wenn er sie in Form der „Gesammelten Werke“ liest, ich kann leider nicht umhin, aufgrund enttäuschender Vergleichs-Leseerlebnisse immer wieder mal darauf hinzuweisen. Gerade heute entdeckte ich im „Krumir“ in „Orangen und Datteln“ im Original folgende verblüffende Stelle:

„Es war also el Mogreb da, die Zeit des Gebetes beim Untergange der Sonne. Wir tauchten die Hände in das Wasser, traten vor das Zelt und warfen uns mit Ausnahme Percys, welcher sitzen geblieben war, auf den Boden nieder. Ich habe mich während meiner Wanderungen unter den Moslemim nie von den Waschungen und Gebeten ausgeschlossen und denke dennoch, ein guter Christ geblieben zu sein.“

Das sagt der Ich-Erzähler, also Kara Ben Nemsi (in der Geschichte als dieser erkennbar), also gleichsam Karl May. Das ist doch ein gutes Jahrhundert vor dem Bau von Moscheen in aller Herren Länder und dem Tag der offenen Tür in eben solchen doch recht erstaunlich.
Gast

Beitrag von Gast »

Auch eine der leidigen Bearbeitungen nach dem 2. Weltkrieg. In der Radebeuler Ausgabe ist der Text unverändert drin geblieben. - Interessant am "Krumir" ist übrigens, daß er als Erstabdruck in einem wohl eher literarischen Blatt (Belletristische Correspondenz) erschien, so daß sich May dort tolerante Töne leisten konnte. Im Band "Orangen und Datteln" finden sich ja auch diverse Marienkalender-Geschichten wie "Christus oder Muhammed" mit dem haarsträubenden Wettbeten (man kann es wirklich kaum anders nennen), um den Panther unschädlich zu machen.

Grüße

Rolf Dernen
Gast

Beitrag von Gast »

Eine Korrektur ist angebracht: Bei der "Belletristischen Correspondenz" handelte es sich um das Angebotsblatt einer Textagentur und nicht um eine literarische Zeitschrift, wie ich vermutet hatte. Die dort veröffentlichten Texte durften von allen Redaktionen nachgedruckt werden, die das Blatt abonniert hatten. Die Bibliographie von Plaul nennt im Falle des "Krumir" nur die Prager Tageszeitung "Politik" (1882).

Grüße

Rolf Dernen
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Rodger hat geschrieben:Das sagt der Ich-Erzähler, also Kara Ben Nemsi (in der Geschichte als dieser erkennbar) ...


Tatsächlich trägt der Ich-Erzähler bei May ja gar keinen Namen, in der ursprünglichen Zeitschriften-Fassung kann man ihn (trotz seines Pferdes Rih) deshalb vielleicht eher als Variante von Kara Ben Nemsi denn wirklich als diesen 'Sohn der Deutschen' identifizieren (zumal sich das Erlebnis zeitlich nicht in den Orientzyklus einpassen läßt, obwohl es aufgrund der Erinnerungsszene an Krüger Bei im 'Schut' bei demselben Ich-Erzähler dann irgendwo dazwischen passen müßte); im Kontext der Buchausgaben kann man dennoch natürlich davon ausgehen, daß Karl May dann einen einheitlichen und verbindlichen Ich-Erzähler postulierte und insofern trotz der Paradoxie doch Kara Ben Nemsi meinte.
Rolf Dernen hat geschrieben: Interessant am "Krumir" ist übrigens, daß er als Erstabdruck in einem wohl eher literarischen Blatt (Belletristische Correspondenz) erschien, so daß sich May dort tolerante Töne leisten konnte.
Was die Waschungen und Gebete angeht, so bezweifele ich auch eher, daß May dergleichen auch im 'Hausschatz' geschrieben hat, denn der Krumir erweist sich in der Tat auch an anderen Stellen weniger weltanschaulich moralisch eingeengt als die im katholischen 'Hausschatz' veröffentlichten Orienttexte. So liest man in der nordafrikanischen Erzählung etwa eine Frauenbeschreibung, wie man sie in ihrer Offenherzigkeit typischerweise sonst eher in den Kolportageromane findet:

Als er wieder zurückkehrte, folgte ihm eine ältere Frau und ein junges Mädchen. Die erstere trug ein neun Zoll hohes Senïeh in den Händen, welches sie vor uns niedersetzte. Die letztere war eine vollkommene Schönheit zu nennen. Sie trug das tiefschwarze Haar in langen, dicken Flechten, in welche Silberschnüre eingewoben waren; um den vollen, hellbraunen Hals legte sich eine Korallenkette, an welcher eine goldene Schaumünze hing; sie trug einen schneeweißen Saub, welcher an der Brust ausgeschnitten war, so daß man das rotseidene Sudameirijeh sehen konnte, welches den vollen Busen trug, ohne ihn zu drücken. Dieses Hemde hatte sehr weite geschlitzte Aermel, so daß man den Arm bis zur Gegend des Ellbogens sehen konnte, und reichte bis über das Knie auf die weiß und rot gestreifen Sarwal herunter. Die nackten Füßchen staken in blauen Pantoffeln, und an den Hand- und Fußgelenken glänzten blanke metallene Ringe, an denen je ein Mariatheresienthaler und ein goldenes Fünfpiasterstück befestigt war.

Undenkbar, daß May im 'Hausschatz' orientalische Blumen wie z.B. Ingdscha oder Nebatja derartig 'unzüchtig' beschrieben hätte, entsprechend haben Schmid & Co. - ebenfalls erst nach dem 2. Weltkrieg? - schließlich auch beim Krumir die Messer gewetzt und Mochallah zumindestes den Busen und die Arme abgeschnitten, ohne die sie vermutlich beim KMV heute noch durch den 'Sand des Verderbens' schreitet:

Das Mädchen war eine vollkommene Schönheit. Das tiefschwarze Haar lag in langen, dicken Flechten, in die Silberschnüre eingewoben waren; um den vollen, hellbraunen Hals legte sich eine Korallenkette, an der eine goldene Schaumünze hing. Sie trug einen schneeweißen Saub, der an der Brust ausgeschnitten war, so daß man das rotseidene Sadrîje sehen konnte. Dieses Hemd hatte sehr weite geschlitzte Ärmel und reichte bis über das Knie auf die weiß und rot gestreifen Schalmar herunter. Die nackten Füßchen steckten in blauen Pantoffeln, und an den Hand- und Fußgelenken glänzten blanke metallene Ringe, an denen je ein Mariatheresientaler und ein goldenes Fünfpiasterstück befestigt waren.

Ohne diese Amputation könnte der Leser ja sonst gar auf die Idee kommen, Karl May hätte gewisse Textstellen in den Münchmeyerromanen doch selber verfaßt - entsprechend wurde natürlich auch der Doppelroman Scepter und Hammer/Die Juweleninsel entbüstet und entbeint, so etwa auch Almah:

Sie stand vor ihm, gerade so wie er zu seinen Kameraden auf der Veranda gesagt hatte, wie die Schönheit in ihrer herrlichsten Inkarnation. Den schlanken und doch vollen Oberkörper bedeckte eine rothe, mit Gold gestickte türkische Jacke, unter welcher ein blausammetnes, von massiven Silberspangen verschlossenes Mieder die herrlichste Büste mit einer Taille verband, die man mit den Fingern zu umspannen vermochte. Sie wurde umschlossen von einem mit edlen Steinen besetzten Schuppengürtel, von welchem aus weißseidene Hosen über die schön gerundeten Hüften bis herab zu den Knöcheln gingen, deren Feinheit mit der Kleine des Füßchens bezaubernd harmonirte. Auf dem schlanken, schneeigen Halse saß ein Köpfchen, dessen Anmuth ebenso wenig zu beschreiben war, wie die unvergleichliche Schönheit der Gesichtszüge, welche in ihrer Harmonie ein Ganzes bildeten, dem kein Malerpinsel und auch nicht das nachbildende Licht der Sonne gewachsen sein konnte.

Arthur war, als sie sich emporrichtete und mit dem kleinen, reizenden Händchen die vollen, schwarzblauen Locken aus der Stirn zurückwarf, wie erstarrt halten geblieben. Kein Glied seines Körpers bewegte sich; sein Mund war leise geöffnet und seine Augen richteten sich fast unnatürlich groß auf das entzückende Wesen, welchem am Tage seine Gedanken und des Nachts seine Träume gegolten hatten seit jenem Abende auf dem Nile.


Und was bleibt davon bei Suleika, der Almah-Version des KMV, in den dort Ich-erzählten Briefen des Artur v. Falkenau? Nicht viel:

Vor mir stand vor das entzückende Wesen, dem am Tage meine Gedanken und des Nachts meine Träume gehörten seit jenem Abende auf dem Nile!

Man kann sich bei solchen Bearbeitungen leider nicht immer des Eindrucks erwehren, daß die Münchmeyerromane-Interpolationstheorie dadurch glaubhaft gemacht werden sollte, indem gründlich alle jene Textstellen in Mays sonstigen Erzählungen und Romanen herausinterpoliert wurden, die geeignet gewesen wären, Zweifel an dieser These zu nähren. Anlaß zu dieser Überlegung gibt auch die frappant einseitige Beschneidung der ersten Beschreibung des Zigeunerpaares Katomba - Zarba/Lilga (in der KMV-Ausgabe gleich auf den ersten beiden Seiten). Man lese zunächst die Charakterisierung des Zigeunermädchens im Original:

Die eine von ihnen war ein Mädchen. Sie mochte kaum siebzehn Jahre zählen, aber ihre Formen waren beinahe diejenigen eines vollendeten Weibes, schwellend und üppig und doch dabei so fein und zart, als hätte eine einzige Stunde einem kindlichen Körper die Vollkommenheiten der entwickelten Jungfrau verliehen. Ihr kleines Köpfchen vermochte kaum die Fülle des reichen Haares zu tragen, welches ihr in einem langen, dichten, blauschwarz schimmernden Strome über den Nacken herniederfloß; die ideale Stirn, etwas egyptisch vorstehend, das feine, kleine Näschen mit den leicht beweglichen, trotz der dunklen Gesichtsfarbe rosa angehauchten Nasenflügeln, der schwellende, kleine Mund, zwischen dessen Lippen zuweilen zwei Reihen blendender schmaler Zähnchen zu bemerken waren, das mit einem liebenswürdigen Grübchen versehene Kinn, alle diese Einzelheiten gaben ihrem Antlitze einen Ausdruck, welcher den Kenner weiblicher Schönheit entzücken mußte. Vor Allem aber war das Auge bewundernswerth. Aus der orientalisch-mandelförmig geschlitzten Öffnung desselben strahlte unter den langen Lidern und seidenen Wimpern der tiefschwarze Stern eine Gluth hervor, welche aus geheimnißvollen, unbewußten Tiefen zu kommen schien, eingehüllt vom Schleier jungfräulicher Ahnungslosigkeit, und doch zuweilen auf einen Augenblick so mächtig und unwiderstehlich hervorbrechend, daß sie sicher Jeden traf, der sein Herz diesem Blicke unbewacht entgegenstellte. Sie saß in halb nachlässiger, halb stolzer Haltung im Moose. Ihre Kleidung war bei weitem besser und vollständiger, als die der Anderen, und es ließ sich leicht bemerken, daß auf dieselbe diejenige Sorgfalt verwendet wurde, welche auch unter den mißlichsten Umständen jedes weibliche Wesen für ihr Aeußeres besitzt.

Wie im Falle Almah/Suleika hat die schöne Zigeunerin in der bearbeitete Fassung - nun Lilga benamst - allerdings arg Federn lassen müssen.

Sie mochte kaum siebzehn Jahre zählen und war in jeder Hinsicht eine vollendete Schönheit. In halb nachlässiger, halb stolzer Haltung saß sie im Moose. Ihre Kleidung war bei weitem besser und vollständiger als die der anderen; es war ersichtlich, daß darauf große Sorgfalt verwendet wurde.

Wer nun annimmt, daß hier nur zur Reduzierung der Gesamtlänge geeigneter Zeilenballast eingekürzt wurde und die Radikalkürzung somit nur zufällig einen weltanschaulichen Impetus zur Reizeindämmung zu haben scheint, der muß sich allerdings fragen lassen, warum diese Radikalamputation nur das Mädchen, nicht aber den Jüngling trifft trifft. Sicher, in dessen ausführlichen körperlichen Beschreibung sind auch Details wie die Tätowierung oder die nordische Abstammung angemerkt, die für den weiteren Verlauf der Handlung unbedingt zu erwähnen sind. Dennoch würde man doch vielleicht die eine oder andere Einkürzung erwarten. Man lese zunächst wieder die originale Beschreibung:

Die andere Person war ein Jüngling. Er hatte sich mit dem Rücken an einen nahen Baum gelehnt und die Arme über der Brust in einander geschlungen. Leute, welche gern oder auch unbewußt eine solche Stellung einzunehmen pflegen, besitzen gewöhnlich eine bedeutende Entwicklung derjenigen Eigenthümlichkeiten, deren Gesammtheit man mit dem Worte Charakter bezeichnet. Ein aufmerksamer Beobachter hätte sich vielleicht über die Farbe seiner Haut verwundert. Sie war weder weiß, wie dies bei dem Kaukasier zu sein pflegt, noch hatte sie diejenige Bräune, welche den Zigeuner kennzeichnet; eher hätte man sie grau nennen können, grau, vermischt mit demjenigen Braun, welches von Wind und Wetter und den Einwirkungen der Sonne herrührt. Er trug ein Paar kurze, weite Hosen, welche sicher für andere Körperverhältnisse gefertigt worden waren; zwischen ihnen und der Jacke, welche vielfach zerrissen war und für einen weit jüngeren Menschen gefertigt zu sein schien, blickte ein schmutziges Hemd hervor; den Kopf bedeckte eine Mütze, welche ihr Schild verloren hatte; die Füße waren nackt und durch die Aermel der Jacke blickte stellenweise ebenso nackt der muskulöse Arm. Durch eines dieser Löcher blickte in tiefem Schwarzroth eine wunderbare Zeichnung, welche gleich einer Tätowierung der eigenthümlich gefärbten Haut eingeprägt war. Sie stellte ein Wappen vor, dessen einzelne Züge allerdings so ausgezogen und ausgedehnt erschienen, daß das Ganze einen gewissen Grad von Undeutlichkeit besaß und es sehr anzunehmen war, daß die Tätowierung bereits vor längeren Jahren angebracht worden sei. Sein Haar besaß eine tiefschwarze Farbe; ein aufmerksamer Beobachter hätte aber doch vielleicht bemerkt, daß es an den Wurzeln einen bedeutend lichteren Ton zeigte und die Haut unter ihm so rein und weiß war, wie man sie vorzugsweise bei blonden Leuten beobachtet. Das Gesicht hatte unbedingt ein nordisches Gepräge. Die ungewöhnlich hohe und breite Stirn, das offene, blaugraue Auge, die geradegeschnittene Nase, das längliche, regelmäßige Oval des Gesichtes deuteten nicht auf eine indische oder egyptische Abstammung hin, und so kam es, daß der Jüngling in seinem gegenwärtigen Habitus einen beinahe befremdenden Eindruck hervorbrachte, welcher unterstützt wurde durch die Ruhe und Sicherheit seiner Haltung und Bewegungen, welche bedeutend abstach gegen das Rastlose und Unstäte, welches den Zigeuner zu aller Zeit gekennzeichnet hat.

Tatsächlich aber ist dem/den Bearbeiter(n) diese Beschreibung noch nicht ausführlich genug. Neben den üblichen Parapharisieren einzelener Satzteile verlängern sie die den Absatz mit einen ausgesuchten Formulierungen zur 'Ebenmäßigkeit' des Körperbaus des nunmehr 'jungen Mannes' (im folgenden unterstrichen), nur von der Kopfbedeckung, der Nase und dem Oval des Gesichtes wollte man nichts mehr wissen:

Ihr gegenüber stand ein junger Mann. Er hatte sich mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und die Arme über der Brust verschlungen. Menschen, die gerne unbewußt eine solche Stellung einnehmen, besitzen meist einen stark entwicklelten Charakter. Seine hohe Gestalt ragte über Leute gewöhnlichen Schlages hinaus und mußte sich mehr und mehr zu einer achtungsgebietenen Erscheinung herausbilden. Die dürftige Kleidung vermochte nicht den kräftigen, ebenmäßigen Körperbau zu beeinträchtigen. Ein aufmerksamer Beobachter hätte sich vielleicht über Hautfarbe des jungen Mannes verwundert. Sie war weder weiß wie die der Kaukasier, noch hatte sie diejenige Bräune, die den Zigeuner kennzeichnet. Man hätte sie eher grau nennen können; grau, vermischt mit dem Braun, wie es durch Wind und Wetter und unter den Einwirkungen der Sonne hervorgerufen wird. Er trug kurze, weite Hosen, die sicher für andere Körperverhältnisse bestimmt waren; zwischen ihnen und der viel zu engen, mehrfach zerrissenen Jacke, lugte ein fadenscheiniges Hemd hervor. Die Füße waren nackt und aus den Ärmel der Jacke blickte stellenweise ebenso nackt der muskulstarke Arm. Durch eines dieser Löcher zeigte sich in tiefem Schwarzrot eine seltsame Zeichnung, die mittels Tätowierung der eigentümlich gefärbten Haut eingeprägt war. Sie stellte ein Wappen vor, dessen einzelne Züge so ausgezogen und ausgedehnt erschienen, daß das Ganze einen gewissen Grad von Undeutlichkeit besaß. Man konnte wohl daraus schließen, daß die Tätowierung bereits vor Jahren angebracht worden sei. Sein Haar war von tiefschwarzer Farbe; wenn man jedoch genauer hinsah, konnte man bemerken, daß es an den Wurzeln einen bedeutend lichteren Ton zeigte und die Haut unter ihm so rein und weiß war, wie man sie vorzugsweise bei blonden Leuten beobachtet. Das Gesicht hatte unbedingt nordisches Gepräge. Die ungewöhnlich hohe und breite Stirn, das offene, blaugraue Auge deuteten nicht auf eine indische oder egyptische Abstammung hin. So kam es, daß der Jüngling in seinem gegenwärtigen Anzug einen beinahe befremdenden Eindruck machte, der noch unterstützt wurde durch die Ruhe und Sicherheit seiner Haltung und Bewegungen, welche bedeutend abstach von dem rastlosen und unsteten Wesen, das den Zigeuner von jeher gekennzeichnet hat.

Warum diese zusätzlichen Sätze? Erfreute sich gar der Bearbeiter an der Beschreibung mänlicher Körper? Tatsächlich sind diese zusätzlichen Sätze nicht frei erfunden, sondern stammen aus einer Charakterisierung des älteren Katombas alias Nurwan-Paschas, die im Original freilich vor der dortigen 'Rückblende' in die Jugendzeit geschildert werden:

Der Türke war eine wirklich imposante Erscheinung. Seine hohe, breitschulterige Figur ragte um einen halben Kopf über Leute gewöhnlichen Schlages hinaus; auf dem Kopfe trug er den bekannten rothen Fez, welcher mit einer schwer goldenen Quaste verziert war; die eng anliegende Kleidung, über welche er den weiten Mantel nur leicht geworfen hatte, zeigte eine höchst ebenmäßige, kraftvolle Gestalt, um deren schlanke Taille sich der glänzende Gurt schlang, an welchem der historische krumme Säbel befestigt war.

Dieser Absatz fiel in der 'Gesammelten'-Ausgabe freilich der 'Briefwechsel'-Bearbeitung zum Opfer. Etweiliger sich aus der obigen zusätzlichen Erwähnung körperlicher Vorzüge des jungen Zigeuners nährender Verdacht, die Bearbeiter seien vom anderen Stern vom Typ 'Sitara á la Schmidt' gewesen und hätten deshalb die Männlichkeit Katombas noch ausführlicher als May betont, ist damit wohl eingedämmt, dennoch ist es schon seltsam, daß man der Schönheit des Zigeuermädchen kaum zwei Zeilen widmet, beim Zigeunerjungen aber eifrig bemüht ist, an anderer Stelle gestrichene Attribute noch zusätzlich einzubinden. Nach einer weltanschaulich wertfreien Texteinkürzungsdoktrie, die lediglich einer Zeileneinsparung zur optimalen Reduzierung der Romanelänge auf die Kapazität eines GW-Band-Umfangs diente, sieht es jedenfalls in diesem Falle nicht alleine aus, da hätte man sich sonst die Mühe um Katambos kräftigen, ebenmäßigen Körperbau bestimmt sparen können.
Lola
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Beitrag von Lola »

Ich habe sowohl die KMV Version als auch die kritische Version gelesen und in diesem Fall sind die Unterschiede in der Tat gravierend. Abgesehen von verschiedensten Details fand ich bei der KMV Version dass man des Gefühl hat dass Katombo und seine "Graf von Monte Christo" Geschichte eindeutig der Hauptstrang der Handlung ist. Während in der kritischen Augabe eindeutig Max (sowie vielleicht noch Sternenburg) die Hauptperson ist.

Mir ist klar dass viele Leute das als problematisch ansehen. Ich sehe das eher als zwei Romane zum "Preis" von einem. Doppelte Ware bei gleichem Ausgangsmaterial.
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Lola hat geschrieben:(...) fand ich bei der KMV Version dass man des Gefühl hat dass Katombo und seine "Graf von Monte Christo" Geschichte eindeutig der Hauptstrang der Handlung ist. Während in der kritischen Augabe eindeutig Max (sowie vielleicht noch Sternenburg) die Hauptperson ist.
Die KMV-Version ist ja zweigeteilt. Für den ersten Teil stimmt deine Sicht ganz bestimmt, beim zweiten Teil tritt für mich dann doch eher der Effekt ein, daßs Katambo hinter Max Brandauer ins zweite Glied rückt, derartige 'Rücktritte' sind ja auch beim 'originalen' May üblich. Ferner kommt der Roman in der GW-Version meineserachtens auch ein wenig tragischer daher, weil zunächst einmal alles Unglück geballt auf einmal berichtet wird, was ansich durchaus keine uninteressante Variante ist.

Auch stört mich schon im Original an der Figur des Max Brandauer doch ein wenig, daß ihm einfach alles gelingt, daß er selber nie gefangen wird und somit noch vollkommener daher kommt als z.B. Old Shatterhand, man kann also gewiß sein, daß seine Präsenz stets nur Erfolg der 'Guten' bedeutet. Entsprecht ist bei May der Auftakt des Romanes natürlich wesentlich optimistischer gestaltet - eigentlich zu positiv für eine spannungsreiche Geschichte.

Was mich hingegen bei der KMV-Version nun wirklich stört, ist nicht so sehr die Umstellung der Handlung in eine chronologische Reihenfolge, wodurch man die beiden Versionen in der Tat als zwei Romane zum "Preis" von einem ansehen könnte, sondern die Art von Kürzungen und Bearbeitungen, die ich oben beispielhaft angedeutet habe. Dies erst banalisiert für mich Mays Original und macht die GW-Version eindeutig zur Second-Hand-Ware.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Thomas Schwettmann hat geschrieben: banalisiert für mich Mays Original und macht die GW-Version eindeutig zur Second-Hand-Ware.
Und da ist

leider leider leider

:cry: :cry: :cry:

"Zepter und Hammer" nicht der einzige Band.
Lola
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Beitrag von Lola »

Ich wieß nicht. Für mich sind die Probleme der Originalversion (Max ist ein langweiliger Held, nervige Zeit und Ortsprünge) nicht so einfach zu ignorieren. Nur weil etwas "original" ist entschuldigt das nicht die Schwachpunkte *als Geschichte*.

Drum haben für mich beide Versionen sowohl gravierende Vor als auch gravierende Nachteile. Ich finde ein Buch muß es schaffen zu fesseln auch wenn man nichts über die Hintergrundgeschichte (in diesem Fall Mays Biographie und Bibliographie) weiß und/oder sich nicht dafür interessiert. Ein Werk muß fähig sein auch alleine zu stehen und nicht nur als Kommentar zum Leben des Autors.

Wenn es für den Leser nicht schlüssig ist dann ist es auf seine Weise auch ein Fehlschlag. (Genauso wie die Bearbeitung ein Fehlschag in Hinsicht auf Einsichten in den Autor ist; Ich sage ja, Vor und Nachteile auf beiden Seiten.).
Sandhofer
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schwache Story

Beitrag von Sandhofer »

Hallo zusammen!
Lola hat geschrieben:Ich wieß nicht. Für mich sind die Probleme der Originalversion (Max ist ein langweiliger Held, nervige Zeit und Ortsprünge) nicht so einfach zu ignorieren. Nur weil etwas "original" ist entschuldigt das nicht die Schwachpunkte *als Geschichte*.
Da hast Du im Prinzip ja Recht. Nur: das entschuldigt auch nicht derart schwerwiegende Eingriffe in den Ablauf der Story und auch nicht die Tatsache, dass diese schwerwiegende Bearbeitung dem ahnungslosen, naiven Leser als "Karl May" präsentiert wird.

Wenn die Story wirklich schlecht ist (soooooooooo schlecht habe ich sie persönlich nun nicht empfunden ...), dann gehört sie auf den "Schuttabladeplatz der Zeit", wie dies ein anderer Mey mal formuliert hat :lol:

Grüsse

Sandhofer
Thomas Schwettmann

Re: schwache Story

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Sandhofer hat geschrieben:Nur: das entschuldigt auch nicht derart schwerwiegende Eingriffe in den Ablauf der Story und auch nicht die Tatsache, dass diese schwerwiegende Bearbeitung dem ahnungslosen, naiven Leser als "Karl May" präsentiert wird.
Von mir aus kann man bei Bearbeitungen so weit eingreifen wie man will, es stellt sich, wie Sandhofer richtig bemerkt, nur die Frage nach der richtigen Deklarierung - und das gerade bei 'Scepter und Hammer/Die Juweleninsel'. In diesem Falle reicht ganz einfach nicht einmal ein kleiner Bearbeitungshinweis (möglichst unter Nennung des Bearbeiters) auf der Titelseite (aber sowas fehlt natürlich auch), hier sind die Eingriffe in der Tat so gravierend, daß man auch mit größten Wohlwollen nicht mehr May als alleinigen Autor angeben kann.

Von der richtigen Autorenangabe unabhängig ist selbstverständlich die Einschätztung, ob man eine Bearbeitung an sich gut oder schlecht findet, dies ist letztendlich Geschmacksfrage (Es soll z.B. auch Leute geben, die hören freiwillig Volksmusik, Punk oder Hip-Hop, ich gehöre mit Sicherheit nicht dazu).

So ist die Idee eines Briefwechsel-Kapitels ja ganz hübsch, nur haben a.) die langen Briefe Sternburgs nicht wirklich Briefcharakter und b.) fällt dadurch die Vollmer/Goldschmidt-Episode unter dem Tisch, wobei man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren kann, daß die Breifform gerade deshalb gewählt wurde, um eben diesen Einblick in Mays Privatleben mehr oder weniger geschickt auszublenden.

Desgleichen ist auch die Ich-Form im 'Tagebuch eines Verschollenen' eine schöne Idee, nur eben nicht May, sondern adaptierter May! Außerdem finde ich es relativ unverständlich, warum die Hauptperson unbedingt eingedeutscht und vergollwitziert wurde, wenn May ausnahmsweise mal keinen Deutschen als Hauptfigur verwendete.

Ansonsten kann ich nur zustimmen, für die Müllhalde ist der 'Scepter' wenigstens in dieser Generation (und hoffentlich noch für ein paar weitere) viel zu schade.
Lola
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Beitrag von Lola »

Nun, meine Gedanken zu diesem Thema sind:

-) Nicht alle Bearbeitungen sind schlecht. Schließlich arbeiten heutzutage Autoren auch mit professionellen Leuten zusammen die Ihre Bpcher probelesen um nach Fehlern (Rechtschreibung, Grammatik, Logik) zu suchen und auch mal den Autor einzubremsen wenn er sich in ein Thema zu sehr versteigt. Etwas das vielen auch sehr guten Autoren mal passiert. Das Problem in diesem Fall ist eben dass man nicht (mehr) die Möglichkeit hatte die Änderungen mit dem Autor selbst abzusprechen.

-) Meiner Meinung nach muß man zwischen verschiedenen Arten von Änderungen unterscheiden. Über solche bei denen die Intention ist die Quallität des Buches zu erhöhen (logischere Anordnung von Kapiteln, Bekämpfen von Logikfehlern) kann man eifrig streiten, und zwar darum ob sie ihr Ziel erreichen oder nicht. Auf der anderen Seite stehen Kürzungen die einen "moralischen" Hintergrund haben, wie das Streichen von sexuell (oder homosexuell) angehauchten Szenen, ohne Rücksicht darauf wie das die Handlung beeinflußt. Verwandt dazu sind Änderungen und Kürzungen die mit Hinblick auf den potentiellen Markt getätigt werden. Etwas das manchmal gut aber auch oft sehr schlecht sein kann. Am traurigsten sind natürlich die Änderungen die getätigt werden weil der Bearbeiter die Aussage des Autors nicht begreift.

Was die Karl/Emma Episode betrifft, ich schätze man kann sie aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. Entweder wollte der Bearbeiter sie vor den Lesern verstecken oder es war eine Mixtur aus "Ist eigentlich peinlich/trägt wenig relevantes zur Handlung bei". Ich schätze jedoch dass ihr Fehlen kaum jemanden der nichts von KMs Biographie weißt negativ auffallen wird.

-) Ich finde den Gedanken dass irgendjemand einen schlechten Eindruck von Szepter und Hammer/Juweleninsel und somit auch von May habe könnte, basierend auf der nicht bearbeiteten Version genau so traurig wie ihr es findet dass jemand die bearbeitete Version mit dem Original verwechseln könnte.

Ich möchte das mit Buch und Filmversionen vergleichen. Ein Großteil aller Filmadaptionen von Büchern sind schlecht. Aber manchmal sind die Filme auf sich selbst gestellt gute Werke der Filmkunst. Wenn man das Buch (Original) zuerst liest und dann in den Film (Bearbeitung) geht wird man den Film nicht genießen können. Umgekehrt, wenn man einen Film sieht, ihn genießt und dann das höherwertige Original liest hat man ein doppeltes Genußerlebnis, man kann beides haben.

Außerdem ist für mich halt 90% May (Sprache, Dialoge, Ideen) immer noch May. Mir ist klar dass andere da anderen Maßstäbe haben.

-) Meiner Meinung nach ist SuH (bearbeitete Version) für Leute interessant die gerne bunte Abenteuergeschichten Lesen. Während SuH (original) in erster Linie für Leute interessant ist für Leute die sich für Mays Biographie interessieren. ABER wer sich für Mays Biographie interessiert kann ohne hin keine zwei Meter weit laufen ohne dass er über Hinweise auf die historisch kritische Ausgabe stolpert. Also, die Menschen denen SuH (original) etwas geben würde werden sie ohnehin finden. Alles kriegt jeder das was er haben möchte.

-) Es ist sicher auch eine Frage des Geschmackes. Ich mag die bearbeitete SuH Version weil es sich wie eine bunte, exotische Zigeunergeschichte anfühlt, während die Originalversion eher eine Mantel und Degengeschichte ist, etwas das mich persönlich nie so fasziniert hat. (Genauso finde ich dass DHDH durch die Inkludierung von Lindsay und Hawens extrem an Lesbarkeit gewinnt.)

Ich schätze es läuft darauf hinaus ob man glaubt dass das Buch der Diener des Autors ist, oder dass der Autor der Diener des Buches sein soll. Ich bekenne mich halt eher zu zweiterem.
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Helmut
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Beitrag von Helmut »

Ob die "Originale" oder die Bearbeitungen besser sind, darüber läßt sich in der Tat trefflich streiten. Warüber es sich aber m.E. nicht streiten läßt ist, dass es unredlich ist, Bearbeitungen als die einzig wahren und originalen "Karl Mays" auszugeben und nicht im mindesten auf die Bearbeitungen hinzuweisen.

Helmut
Lola
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Beitrag von Lola »

Ich weiß nicht ob der KMV es als die "einzig wahren" ausgiebt. Aber schließlich steht auch bei modernen Autoren der Editor in der Regel nur in den Danksagungen des Autors, wenn überhaupt und sicher nicht außen am Deckel.

Wie gesagt, da ich finde dass die "Originale" nicht schwer zu finden oder zu bekommen sind, für die die es interessiert, sehe ich die große Bedrohung nicht.
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rodger
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Re: schwache Story

Beitrag von rodger »

Thomas Schwettmann hat geschrieben: daß die Breifform gerade deshalb gewählt wurde, ...
"Breiform" ist sehr hübsch. (Das zweite f würd' ich noch 'rausnehmen, damit es klarer wird ...)

:lol:

Mir unterlief heute auch eine hübsche Freudsche Fehlleistung.
Ich blätterte in den "Karl May Welten" auf S. 174 um und las dort tatsächlich
"Mit Wollschläger gegen Butler's Farm",
obwohl eindeutig von "Wolldecken" die Rede ist.
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