Es gibt neuerdings ein wundervolles (ich bin immer noch begeistert) auf DVD festgehaltenes Leonard-Cohen-Porträt. Es ist da von der „einzigartigen Weise“ die Rede, „wie er an seinen songs arbeitet. Ein song braucht bei ihm Jahre, bis er ausgereift ist“. Ich höre genauer hin: „Mit jeder Zeile, mit jedem Wort kann er Tage zubringen. Er sagt, er arbeitet ein Jahr an einem song.“ Dann ergreift der große Cohen selbst das Wort: „Du hast nicht ewig Zeit. Ich sage mir immer, du weißt, wie lange du brauchst, bis etwas fertig ist: mindestens 10 Versionen. Du mußt aufschreiben, was du letztlich verwirfst, und alles im Gesamtbild sehen, bevor du es wegschmeißen kannst.“ (Leonard Cohen: I’m your man. Das Tribute-Konzert zu Ehren einer Legende. Ein Film von Lian Lunson. Produziert von Mel Gibson. 3L Film Gmbh 2009). – Wer und was geht mir bei all diesen Zitaten durch den Sinn. Richtig! Karl May und seine Bemerkungen über seinen Stil und seine Arbeitsweise, die das gerade Gegenteil der Cohen’schen zu sein scheint. Ich äußerte mich auch so in meinem Bekanntenkreis und mußte mich dafür einmal mehr belächeln lassen. Dennoch: auch auf die Gefahr hin, hier belächelt oder gar ausgelacht zu werden, bringe ich drei längere Zitate Karl Mays. Das erste stammt aus den „Freuden und Leiden eines Vielgelesenen“ (1896), das zweite aus der Replik auf Fedor Mamroth (1899), das dritte schließlich aus „Mein Leben und Streben“ (1910).
Es war mir sehr überraschend, zu hören, daß meine Werke an hohen Schulen etc. als Stilvorbilder dienen. Ich habe keine Zeit, zu entwerfen, ein Konzept anzufertigen, zu feilen, zu streichen, zu verbessern und dann eine Reinschrift anzufertigen. Ich setze mich des Abends an den Tisch und schreibe, schreibe in einem fort, lege Blatt zu Blatt und stecke am andern Tage die Blätter, ohne sie wieder anzusehen, in ein Kouvert, welches mit der nächsten Post fortgeht. An den Stil denke ich dabei gar nicht. Gerade das mag wohl das richtige sein. Ich lasse das Herz sprechen und schreiben und bin stets der Meinung gewesen, daß das, was aus dem Herzen kommt, viel klüger ist als das, was der spitzfindige Verstand erst auszuklügeln hat. Weil ich meist Selbsterlebtes erzähle und Selbstgesehenes beschreibe, brauche ich mir nichts auszusinnen; das fließt so willig aus der Feder, und ich denke, daß das Feilen und Hobeln mehr verderben als bessern würde. Also, aufrichtig gesagt: Wer eine einfache, anspruchslose ungekünstelte Schreibweise kennen lernen will, der mag ein Buch von mir lesen; mehr will ich gar nicht bieten, und ich habe auch nie darnach getrachtet, ein Stilkünstler zu werden. Ich lösche lieber meinen Durst am frischen, natürlichen Quell, als aus einer Sodawasser- oder Brauselimonadenflasche.
[Karl Mays Werke: Freuden und Leiden eines Vielgelesenen. Selbstdarstellungen. Karl Mays Werke, S. 70193f.
(vgl. KMW-VI.1-285:2, S. 18)
http://www.digitale-bibliothek.de/band77.htm ]
Sie (die „Geographischen Predigten“) geben sodann an, warum ich mich dessen, was die Herren Schriftsteller „Styl“ nennen, nicht im mindesten befleißen werde. Was verstehst Du überhaupt unter Styl, lieber Freund? Kannst Du es mir sagen? Nein; kein Mensch kann es! Unter Styl versteht man die Scheuleder und Aufsatzzügel des Autorenschimmels. Styl ist die Allerweltssauce, welche man in gewissen Speisehäusern in allen Fleisch- und Gemüsearten, ebenso zu Rindsfilet und Rebhuhn, wie auch zu Kalbsbraten und Ente bekommt. Styl ist die literarische Schnurrbartbinde, die sorgfältig und mit vieler Mühe eingeplättete Kavalierfalte an der Schriftstellerhose. Es gibt Schriftsteller, welche weder Geist noch Kenntnisse noch sonst etwas haben, als nur den Styl. Man besitzt stylvolle Zimmer, wohnt aber nicht darin. Ein Kommis rühmt sich seines guten Styles, wenn er sich um eine Stelle bewirbt. Ich mag diesen Ruhm nicht, und wenn ein Kritiker oder Redakteur meinen Styl tadelt, so läßt mich das vollständig kalt, weil ich mich ja nie um eine Anstellung bei ihm bewerben werde. Und wagt es etwa jemand, auch nur eine Zeile meines Manuskriptes zu ändern oder gar sogenannte Verbesserungen anzubringen, so bekommt er keinen einzigen Buchstaben mehr von mir. Du weißt ja, wie streng sich meine Verleger an diese meine stets allererste Bedingung zu halten haben. Es ist genug, daß ich ihnen die neue, noch gar nicht reife Orthographie gestattete, Korrekturen aber auf keinen Fall; denn jedes meiner Worte ist mein unangreifbares geistiges Eigentum. Andere mögen sich von den Redaktionen um- und ausflicken lassen, ich nicht! Wie mich mein Pate zwischen seine Kniee nahm und ohne Styl und Zaudern zu mir sprach, so will ich es auch mit meinen Lesern halten. Man wird meine Erfolge vielleicht dem Umstande zuschreiben, daß ich in der ersten Person erzähle. Ich schreibe in der dritten wenigstens ebenso erfolgreich. Der Grund ist nur der: Ich schreibe hundert, zweihundert, wenn es drängt, auch dreihundert Seiten ohne alle Pause, ohne zu schlafen und zu essen. Das weißt Du ja. Wie es aus dem Herzen kommt, so fliegt es aufs Papier, und geht von da wieder zum Herzen. Es ist das eine direkte Sprache von Gemüt zu Gemüt, durch keinen Styl um ihre Ursprünglichkeit, Unmittelbarkeit und Herzlichkeit gebracht. Ich lese keine Manuskripte noch einmal durch; ich ändere kein Wort; ich schicke es fort, wie es aus der Feder kam, und ganz genau so muß es gedruckt werden. Jede redaktionelle Änderung zerschneidet den Faden zwischen mir und dem Leser, und wenn der hochweise Herr ihn auch wieder zusammenknüpft, es entsteht ein Knoten, den ich nicht dulden kann, weil er die direkte Wirkung hemmt und stört. Hierin aber auch ganz allein hierin liegt das Geheimnis meiner bisherigen und wahrscheinlich auch späteren Erfolge. Ich künstele und feile nicht; mein Styl ist Natur. Darum wird mich jeder natürlich fühlende und natürlich denkende Leser lieb gewinnen, während die Angehörigen des alternden Federtums und alle anderen sonstigen Pedanten mich zu ihren Antipoden verweisen werden, wohin ich allerdings auch gehöre. [Karl May: May gegen Mamroth. Antwort an die “Frankfurter Zeitung”. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft. Hansa Verlag, Hamburg 1974, S. 133f.]
Es gibt Leute, welche meinen Stil als Muster hinstellen; es gibt Andere, welche sagen, ich habe keinen Stil; und es gibt Dritte, die behaupten, daß ich allerdings einen Stil habe, aber es sei ein außerordentlich schlechter. Die Wahrheit ist, daß ich auf meinen Stil nicht im Geringsten achte. Ich schreibe nieder, was mir aus der Seele kommt, und ich schreibe es so nieder, wie ich es in mir klingen höre. Ich verändere nie, und ich feile nie. Mein Stil ist also meine Seele, und nicht mein »Stil«, sondern meine Seele soll zu den Lesern reden. Auch befleißige ich mich keiner sogenannten künstlerischen Form. Mein schriftstellerisches Gewand wurde von keinem Schneider zugeschnitten, genäht und dann gar gebügelt. Es ist Naturtuch. Ich werfe es über und drapiere es nach Bedarf oder nach der Stimmung, in der ich schreibe. Darum wirkt das, was ich schreibe, direkt, nicht aber durch hübsche Aeußerlichkeiten, die keinen innern Wert besitzen. Ich will nicht fesseln, nicht den Leser von außen festhalten, sondern ich will eindringen, will Zutritt nehmen in seine Seele, in sein Herz, in sein Gemüt. Da bleibe ich, denn da kann und darf ich bleiben, weil ich weder störende Formen noch störendes Gewand mitbringe und genau so bin, wie mich die Seele wünscht. Daß dies das Richtige ist, das haben mir jahrzehntelange, schöne Erfahrungen bestätigt. Diese aufrichtige Natürlichkeit muß, kann und darf ich mir gestatten, weil ich das, was ich erreichen will, nur allein durch sie zu bewirken vermag, weil ich an meine Leser nicht andere oder gar höhere künstlerische Ansprüche stelle als an mich selbst und weil die Zeit, in der ich meinen Arbeiten auch äußerlich eine ästhetisch höhere Form zu geben habe, noch nicht gekommen ist. Jetzt skizziere ich noch, und Skizzen pflegt man zu nehmen, wie sie sind.
[Karl Mays Werke: Mein Leben und Streben. Karl Mays Werke, S. 70919f.
(vgl. KMW-VI.3, S. 228)
http://www.digitale-bibliothek.de/band77.htm ]
Arno Schmidt rümpfte über Mays Äußerungen die Nase:
Ein Mann, der so etwas nicht nur zugibt, sondern sich dessen gar noch öffentlich rühmt, richtet sich literarisch selbst! Es mag ja im Volk Kreise geben, die solch handwerksburschenhafte Eilfertigkeit als selbstverständliches Kennzeichen des echten, des „geborenen“ Dichters ansehen; aber in Wahrheit handelt es sich um nichts als läppischen Größenwahn oder freche Schlamperei! [Arno Schmidt: Das essayistische Werk zur deutschen Literatur in 4 Bänden. Sämtliche Nachtprogramme und Aufsätze; Band 4. Eine Edition der Arno-Schmidt-Stiftung im Haffmans Verlag. Zürich 1988, S. 106f.]
Im gleichen Essay freilich bescheinigt Schmidt May, als er auf dessen „Silbernen Löwen III und IV“ eingeht, eine „erstmalige Bemühung um die Sprache“ (Arno Schmidt: ebd., S. 117) Und es ist ja richtig, daß sich May in seinem Alterswerk um die äußere Form kümmert und darum, wie das – wie er sich ausdrückt – „schriftstellerische Gewand“ sitzt. So hat er beispielsweise an seinem bedeutenden Roman „Ardistan und Dschinnistan“ eben doch gehobelt und gefeilt, ja vielleicht kann man sagen, gerade weil er daran gehobelt und gefeilt hat, ist der Roman bedeutend geraten. Bekannt ist auch, daß May eine komplette Erstfassung seines Dramas „Babel und Bibel“ verworfen hat. Künstler von Rang haben eben doch viel Gemeinsamkeiten. Da machen auch Leonard Cohen und Karl May keine Ausnahme. Daß ein Kunstwerk das Hobeln und Feilen durch den Urheber benötigt, dies wußte Karl May selbst und er ließ diese Erkenntnis in „Mein Leben und Streben“ auch durchblitzen, als er schrieb, daß „die Zeit, in der ich meinen Arbeiten auch äußerlich eine ästhetisch höhere Form zu geben habe, noch nicht gekommen ist“.