Wiedergelesen: Der Weg zum Glück

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rodger
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Beitrag von rodger »

Das wäre oder ist möglich.

Ich sehe es anders.
Sandhofer
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Beitrag von Sandhofer »

rodger hat geschrieben:Das wäre oder ist möglich.

Ich sehe es anders.
Ist klar :wink: . Wundert es Dich, wenn ich sage, dass ich es auch eher für ein Beispiel von Mays Pseudo-Bairisch halte?
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rodger
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Beitrag von rodger »

Nein, wundert mich nicht.
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rodger
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Beitrag von rodger »

(4. Band:)

Der vierte Band enthält auf gut 600 Seiten die Fortsetzung (!) des achten Kapitels (und sonst nichts). Die lange Episode um den Kery-Bauern und die Osecs habe ich diesmal überblättert, da ich sie noch von der Erstlektüre vor ein paar Jahren als nicht so besonders reizvoll in Erinnerung hatte, und verschiebe die erneute Lektüre dieses Teils, in den viele Motive aus den Dorfgeschichten eingeflossen sind, sowie die Berichterstattung darüber, auf einen späteren Zeitpunkt.

Irgendwann in der Kerybauern-Handlung taucht der Wurzelsepp wieder auf, und dann geht es zurück zu den Handlungssträngen Eichenwald und Steinegg.

Die sonst so schwärmerisch-blauäugige Monarchenbeweihräucherung wird auf S. 2147 auch einmal (seitens Volkes Stimme) aufgebrochen: „Er hat Alles, was sein Herz begehrt. Aber hat er eine Tabakspfeifen, wann er Appetit verspürt? Darf er ein Bier trinken und einen Schafkopfen spielen? Hat er so ein Dirndl wie ich, was er lieb haben will und lieb haben kann? Nein, ich thät doch nicht mit ihm tauschen. Er ist der Sclaven von seinem Amt.“

Interessant der Auftritt des Keilberg, ein abgeklärt-hartgesottener:

»Wissen Sie, Keilberg, daß Sie ein ganz schändlicher Mensch sind?«
Sein Gesicht glühte vor Zorn. Der Andere aber antwortete ganz ruhig:
»Ja, das weiß ich.«
»Und Sie schämen sich nicht?«
»Nein. Was soll die Scham! Sie ist zu nichts nütze.«

und als er später (S. 2236) äußert

„Bitte, mein Fräulein, es gibt auch brave Leute im Zuchthause … Und Spitzbuben unter den freien Leuten ! Mancher gehört hinein, der auf die Gefangenen schimpft und sie verachtet !“

da meint man seinen Autor sprechen zu hören. Sie erinnert im weiteren Verlauf an Ibsens Krogstad, diese bedauerliche Figur.

Auf S. 2240 geht es einmal mehr bei May (nach z.B. „Am Jenseits“ und „Winnetou I“) um das Thema Vivisektion. Ich denke, ich brauche im grünen Band „Der Habicht“ gar nicht nachzuschlagen, und wage mal ungeprüft die Vermutung, dass davon wie im Falle der beiden anderen genannten Bücher auch dort nichts zu lesen sein wird.

Entsetzlich kitschig der endlose Brief auf den Seiten 2251-55, manchmal mag man es wirklich nicht mit anlesen.

Auf S. 2291 sprechen zwei Ludwigs miteinander, König und Untertan, und der eine sagt entsprechend „Ludwig“ und der andere „Herr Ludwig“ …

Und dann kommt ein wirkliches Highlight, May voll auf der Höhe … Die Szene zwischen dem Hausmeister und der dicken Köchin; ich weiß wirklich nicht, wann ich zuletzt bei der Lektüre eines Buches so oft gelacht habe. Leider erfahren wir nicht, was sich da sonst noch so alles abgespielt hat, auch der Wurzelsepp hat es nicht mehr mitbekommen, „Sie tauschten Liebkosungen aus, welche der Art waren, dass er vorzog, sich zu entfernen (S. 2336).“

„Du bist fünfundzwanzig Jahre älter als ich. Wie lange werde ich Dich denn haben, so bin ich Witwe“ (S. 2339), es geht doch nichts über offene Worte und realistische Betrachtungsweisen … „Das Küssen ist die reine Kinderei. Man schiebt die beiden Mäuler zusammen, so dass man sich die Nasen fast wund reibt. Schmecken thuts nach gar nichts. Warum thut man es also“ (S. 2342), die nüchterne Dame raubt ihrem Lover reiferen Jahrgangs aber wirklich eine Illusion nach der anderen.

Oder die Seiten 2348 – 2350 mit der Verlobungsanzeige … Das tut gut nach all dem Kitsch, oder „In einer solchen Stellung darf man sich doch nicht von dera Polizeien sehen lassen !“ (S. 2357). - Am Rande sei erwähnt, dass einer der über Dutzende von Seiten unfreiwilligen Erzkomiker immerhin ein Mörder ist, was der Leser auch nur eher beiläufig erfährt …

Später wird der Sepp als Geheimpolizist geoutet, ich vermute mal ganz stark, davon wusste May zu Beginn des Romans selber noch nichts … Später in Wien erinnert er dann stark an den Trapper Geierschnabel auf Deutschlandbesuch.

Und am Ende gibt es noch Familienbesprechungen der anderen Art, es geht halt nicht überall so rührend zu wie vorher bei den Walthers: „Du bist das Ebenbild Deiner Mutter, und ich hasse Dich ebenso, wie ich diese gehasst habe. […] Du nennst mich nicht mehr Deinen Vater. Nun wohl; ich habe gar nichts dagegen. Ich sage Dir aufrichtig, dass ich Dich nie geliebt habe“ (S. 2380). Na, da sind wir denn doch wieder mit beiden Beinen in unerfreulicheren Gefilden der Realität angekommen.
Dernen
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Beitrag von Dernen »

rodger hat geschrieben:(4. Band:)



[...]

Die sonst so schwärmerisch-blauäugige Monarchenbeweihräucherung wird auf S. 2147 auch einmal (seitens Volkes Stimme) aufgebrochen: „Er hat Alles, was sein Herz begehrt. Aber hat er eine Tabakspfeifen, wann er Appetit verspürt? Darf er ein Bier trinken und einen Schafkopfen spielen? Hat er so ein Dirndl wie ich, was er lieb haben will und lieb haben kann? Nein, ich thät doch nicht mit ihm tauschen. Er ist der Sclaven von seinem Amt.“
Wenn ich da mal gerade interpretatorisch einhaken darf: das sehe ich ein Wenig anders. Nämlich als Beweihräucherung der noch übleren Art. So nach dem Motto: 'Die da oben haben ja auch ein schweres Schicksal. Da möchte man glatt froh sein, zu den ganz unten zu gehören.' Funktioniert auch heute noch, meist via Regenbogenpresse, wenn die 300-Euro-Rentnerin im "Goldenen Blatt" liest und die 'arme' Millionärswitwe XY bedauert, die unter Hühneraugen, Haarausfall und ungebügelten Geldscheinen leidet.
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rodger
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Beitrag von rodger »

(5. Band:)

Der Band enthält zunächst auf genau 444 Seiten das neunte Kapitel „Der Samiel“, das eine größere, um nicht zu sagen weitschweifige Umarbeitung und Ausformung der gleichnamigen Erzgebirgischen Dorfgeschichte darstellt (zum Vergleich: der Reprint des Ur-Samiel kommt in Band 43 der GW mit 27 Seiten aus. - Dort bescheinigt Herausgeber Roland Schmid dem Autor May „unbekümmertes Draufloserzählen, warmherziges Gefühl, schriftstellerische Unverdorbenheit, manchmal rührende Naivität gegenüber dem Leben und der Umwelt, unbestechlich klaren Beobachterblick, unverbrauchte Leidenschaft“ sowie die Fähigkeit, „ohne Umschweife das Wesentliche“ zu sagen; das ist fein beobachtet.) – Zum Samiel-Kapitel später einmal an anderer Stelle mehr.

Das zehnte Kapitel, das in Wien spielt und später im sechsten Band fortgeführt werden wird, heißt „Herzenskrämpfe“, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob es mit dem r im Wort wirklich seine [beabsichtigte] Richtigkeit hat. Diese ganze Wiener Episode ist übrigens bis heute nicht innerhalb der „Gesammelten Werke“ erschienen, auch nicht in bearbeiteter Form, und mag uns vielleicht noch eines Tages in Band 89 oder 90 nachgeliefert werden.

Auf S. 2857 wird wörtlicher Bezug zum Romantitel hergestellt:

„Das 'Glück' hatte seine besseren Eigenschaften erstickt und die schlechteren zur vollen Entwickelung gebracht. Dabei aber ist unter Glück nur der äußere Erfolg gemeint, denn das wahre Glück ist etwas ganz Anderes, tief Innerliches.“ Letzterem ist nun vorbehaltlos zuzustimmen.

Auf S. 2868 äußert der Krikelanton alias Guiseppe Criquolini eine Art jagdphilosophische Elementaransicht, die sich als zusätzlicher Farbtupfer vielleicht auch in „An der Quelle des Löwen“ gut gemacht hätte …

Auf S. 2870 wird bei der Schilderung eines begüterten Herrn aus den besseren Kreisen, Kunstmäzen und „sehr verdient um die Industrie des Landes“, der Hobble-Frank und auch noch der eine oder andere mit gegrüßt:

„Nun, er hat weder Bildung noch Kenntnisse, hält sich aber für ungeheuer klug und belesen. Bei einem Gespräche über Kunst und Wissenschaft fühlt er sich in seinem Elemente und schießt dabei solche Böcke, daß man platzen möchte, da man ihm natürlich nicht in das Gesicht hinein lachen darf, sondern nicht nur ernsthaft bleiben, sondern ihm sogar Recht geben muß. Das vergrößert natürlich sein Selbstbewußtsein, und so kommt es, daß er sich für einen Mann hält, dessen Urtheil gewichtig in die Wagschale fällt.“

Der gleiche Commerzeinrath verbreitet sich auf S. 2873 oben auch über Musik und eher passiven Genuß derselben, heutzutage würde er sich vielleicht im stillen Kämmerlein Musikvideos anschauen.

Bei einigen Sätzen oder Formulierungen fragt man sich wirklich, ob May bewusst war, was er da von sich gab und wie sich das anhört, „Ich war eine Sennerin, ein dummes, stilles Ding. Da kam der gute König von Bayern, hörte mich jodeln und nahm mich von der Alpe weg. Ich musste Sängerin werden; er hat Alles bezahlt und bezahlt auch jetzt noch Alles.“ (S. 2884), oder, etwas anders gelagert, „Die Kunst wurde ihm ebenso verhängnißvoll wie früher der Jagdstutzen“ auf der nächsten Seite.

Eine Aussage wie „Ach, Herrgottle, damals war ich ein gar glückliches Dingerl. Wann ich mein Käs und Brod hatt, so wars gut. Weiter hab ich nix braucht, und alle Tagen waren Sonnenschein. Ich denk oft, daß es viel besser wär, wann ich auf meiner Alm hätt bleiben konnt“ (S. 2894) vermag dann allerdings wieder durchaus zu überzeugen, ganz im Ernst jetzt.

Reumütig erscheint die ehemalige Silbermartha beim (seitens May) bewundernswürdigen kunstbeflissenen Tugend-Vorbild Leni und schämt sich gar sehr, eine etwas peinlich geratene Wunschvorstellung des Ehemanns & Autors.

Anton Criquolini schreckt auf seinen Jagdausflügen der besonderen Art auch vor Gewalt nicht zurück, das wirkt allerdings ein wenig ebenso aufgesetzt wie die wundersame Wandlung des Wurzelsepp, die natürlich mit der Schilderung im ersten Band überhaupt nicht mehr korrespondiert; manchmal sind May die Rösser seiner Phantasie wirklich gewaltig durchgegangen.
H. Mischnick
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Beitrag von H. Mischnick »

Redlichkeiten.
Eine Tabakspfeifen.
Einen Schafkopfen.
Sic!

;-) "Do schreibat der May an Singularen, un scho denkats alle, dös is an Pluralen!"
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rodger
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Beitrag von rodger »

Es ist immer wieder verblüffend (und: enttäuschend) zu beobachten, wie einfach es sich die Leut'(en) machen. Sie sehen immerhin, etwas kann (könnte) statt weiß auch schwarz sein (oder Singular statt Plural), das reicht ihnen dann tatsächlich schon, alles weitere ausklammernd, für einen vermeintlich pfiffigen Aha-Effekt aus und selbst dazu, sich dem anderen gegenüber, der vielleicht noch ein bisschen mehr sieht, überlegen zu fühlen. Es ist, gelinde ausgedrückt, amüsant, um nicht unfreundlicherweise lächerlich zu sagen.

Der bayerische Schein-Plural war mir bereits vor obigen Erklärungen bekannt, zu dem Beispiel „Tabakspfeifen“ habe ich selber gegriffen, als ich im privaten Umfeld jemand vor ein paar Tagen die Geschichte von dem gekappten Plural bzw. den nicht wahrgenommenen Redlichkeiten erzählt / erklärt habe.

Denkt's was ihr wollt und loaßt's mich in Ruah oder auch O die Beschränktheiten.

:roll:
Zuletzt geändert von rodger am 1.7.2007, 19:57, insgesamt 1-mal geändert.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Es wäre ja ok zu sagen, „Ich glaube aber weiterhin dass es bayerischer Dialekt ist und daher Singular“. Bitteschön, ok. Dann hat der andere halt das, was man selber wahrgenommen hat und auch versucht hat, zu erklären, nicht wahrgenommen, und bleibt bei seiner Meinung oder Wahrnehmung. Ist ja ok. Aber wenn er dann hergeht und sagt: „Hier schau, da sind Beispiele für bayerischen Schein-Plural, also ist es Singular, das hast Du nicht gesehen, gell, und ich habe Recht“ dann hört sozusagen der Spaß auf. Vor allem wenn man selber die Sache mit dem Schein-Plural im Bayerischen längst kapiert hat, das gleiche Beispiel, mit dem einem der andere jetzt kommt, schon vor Tagen benutzt hat, aber halt noch ein bisschen darüber hinaus gesehen; so wie es verschiedene Beschränktheiten oder verschiedene Unfreundlichkeiten gibt, gibt es halt auch ganz verschiedene Redlichkeiten.

Und: im Gegensatz zu meinem Vorredner behaupte ich nicht, dass May es eindeutig so und so gemeint hat. Ich empfinde es so und bin davon überzeugt, aber beweisen kann ich es nicht. Gut. Der andere aber sagt es ist so und so und nicht anders. Das ist ein Unterschied.
H. Mischnick
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Beitrag von H. Mischnick »

Ich werde nie von mir behaupten, daß meine Meinung die Allein-Seligmachende sei, und ebensowenig, sie sei felsenfest identisch für alle Zeiten. Sollte eine sorgfältige Textanalyse zum Ergebnis haben, daß "Redlichkeiten" ein richtiger und absichtlicher Plural ist, werde ich das sofort akzeptieren. Ich werde aber auch nicht versuchen, meinen Vorredner zu missionieren. Wir haben unterschiedliche Meinungen. Davon lebt jede ernsthafte Diskussion.
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rodger
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Beitrag von rodger »

Völlig ok. - Missionieren will ich auch nicht. - Aber es ist halt manchmal für einen Musikliebhaber etwas enttäuschend, wenn er z.B. sagt, hören Sie nur, diese herrliche Musik, und der andere kommt ihm nur mit Epochen, Stilrichtungen und Viertel- und Achtelnoten ...

:wink:
Dernen
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Beitrag von Dernen »

Wenn er dann "nur" damit kommt, hätte ich sicher auch meine Probleme. Es gibt aber auch noch andere Bereiche als reine Schwärmerei und wissenschaftliche Analyse. Wenn mich ein Werk anspricht, will ich irgendwann mal wissen, wie das der Künstler gemacht hat. Das schmälert nicht meinen Kunstgenuß. Bei May weiß ich zumindest teilweise, wie er es gemacht hat, was mich nicht daran hindert, von seinen Texten immer wieder eingefangen zu werden und das "Wie" bei der Lektüre einfach zu vergessen, weil er es eben so gut gemacht hat. Wenn ich dann wieder aufgetaucht bin aus dem Abenteuer, freue ich mich, daß er es wieder geschafft hat, kann dann aber meine andere Bewußtseinsebene einschalten und verstehe seine Technik. Für mich ist das dann sogar ein doppelter Genuß.
H. Mischnick
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Beitrag von H. Mischnick »

"Nach" dem Kunstgenuß kann man sich mit den theoretischen Grundlagen beschäftigen; "währenddesen" machts entweder wenig Freude oder demoliert ihn sogar
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rodger
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Beitrag von rodger »

(6. Band:)

„Und sie war keine Sängerin, sondern Jungfrau - so rein, keusch und züchtig. Dem Zahn der Sünde war es nicht gelungen, dieses Mädchen zu verwunden. Das sah man ihr an.“ (S. 2942)

Auch mit solchen Stellen muß man immer mal wieder rechnen bei Karl May und insbesondere in diesem Roman.

Dinge wie das Lied des Anton über „Aeppelpäppel“ resp. „vinum bonum“ (S. 2945 f.) versöhnen dann wieder mit solchem, zum einen versteht der Mann offenbar tatsächlich eine Menge von Gesang, zum anderen hat er auch vor über hundert Jahren in Gesellschaft & Kultur offenbar das wahrgenommen, was wohl zeitlos zu sein scheint: Aeppelpäppel.

Überhaupt ist der Kitsch oft nur vermeintlich, bzw. man entdeckt unter dessen übergegossener Schicht mehr, oft viel mehr. Wie sie da zueinander finden, der Graf und die Leni, das hat neben allem fatalen („Er, der Graf, ein Nachfolger eines Wildschützen bei einer früheren Sennerin !“ – S. 2973) und kitschigen auch sehr viel anrührendes; möge man mich auslachen.

Gelegentlich lässt er aber auch den Macho durchblicken, ich würde ja sagen das ist eher ein harmloser niedlicher kleiner Sachsen-Macho, „Sie glich dem Strauße, welcher vergebens seinen Kopf versteckt, um sich zu retten. Er wird ja doch vom Jäger gesehen und – erlegt.“ (S. 2971), mit der Jagd auch anderer Art hat er es überhaupt gelegentlich in diesem Roman.

Überhaupt vergisst er manchmal den Hang zur Zimperlichkeit, auf S. 2988 wird, auf gut Deutsch gesagt, auf die Straße gekotzt, und der Leser durchaus detailliert informiert: „Die übermäßig genossenen Getränke erzwangen sich einen unnatürlichen Ausweg, und das schallte so durch die nächtliche stille Strasse, dass Leni einen unendlichen Ekel empfand.“

Auf S. 3142 wird eine Art vorläufiger Abschlußbericht über alle Handlungsstränge erstattet (bevor dann wieder ein neuer dazukommt), als müsse der Autor mal eben checken, ob er auch alles durch hat.

Über Miramare ein andermal; danach geht es nicht ohne Wehmut in die Heimat zurück zum großen Finale, „Da hab ich das Glück doch da gefunden, wo ich glaubte, es verloren zu haben, hier an der Hütte, wo damals der Anton von mir ging“ (S. 3411), das hat schon was.

Im „Waldröschen“ ist es ein Maskenball, hier hocken sie alle im Theater, Theatrum mundi, überzeugend. Daß May Haupt- und Generalprobe in einen Topf wirft, wollen wir großzügig übersehen, dafür scheint es auch seinerzeit in Dresden schon gewisse Undinge in Sachen Probenverhalten von „Gaststars“ gegeben zu haben, nur dass einer bei der Probe aus dem zweiten Rang singt und erst zur Aufführung die Bühne erstmals betritt, das kannte ich noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Und Heimdall tritt auf, aber nicht Fricks alter ego, sondern „der Herrliche“, „der Lichte“.

Anton und seine Mutter, da hat es den Berichterstatter dann noch einmal fast richtig erwischt, May ist immer wieder für eine Überraschung gut, und wenn man gar nicht damit rechnet, wird es plötzlich sehr sehr ernst. Oder S. 3470, wie dem reuigen Mann da die Tränen kommen, das kann man verstehen.

Den Schlusssatz des „eigentlichen" Schlusses (S. 3474), bevor ein angehängter Teil sehr beeindruckend den gleichzeitigen Tod des Königs wie des Wurzelsepp schildert (auch darüber später einmal mehr) könnte man seinem Autor aber sozusagen um die Ohren schlagen, »Frömmigkeit, Fleiß, Liebe und Treue, Treue vor allen Dingen dem Heerde, der Familie, dem Vaterlande und dem Herrscher, das ist der einzige und wahre Weg zum Glück!«, wie kann man denn so etwas schreiben, und sei es auf Verlegerwunsch.

*

Es war schön, diesen Roman wieder zu lesen, und es wird nicht das letzte mal gewesen sein.
Rene Grießbach
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Re: Wiedergelesen: Der Weg zum Glück

Beitrag von Rene Grießbach »

Gegen Ende des 8. Kapitels findet sich die schon weiter oben beschriebene Szene von der "Verlobung" des Hausmeisters und der Köchin, in der es u.a. heißt:
»Ja, der Baron hat stets gewußt, was er thut. Aber die Tante hatte das Testament bereits gemacht. Es war von drei Zeugen unterschrieben worden. Diese Zeugen mußten fort. Der Eine starb am Typhus. Nun waren noch zwei zu beseitigen.«
»Zu ermorden? Das meinst Du doch nicht?«
»Bewahre!« lachte der Hausmeister auf. »Sie hießen Herr von Schöne und Herr von Selbmann. Beide waren Edelleute. Der Herr von Schöne mußte sich selbst umbringen.«
(...)
»Wodurch?«
»Durch ein amerikanisches Duell.«
»Was ist das?«
»Bei einem gewöhnlichen Duell kämpfen die Beiden mit einander, beim amerikanischen aber wird nicht gekämpft, sondern das Loos gezogen. Wer das Todesloos zieht, muß sich nach einer ganz bestimmten Zeit tödten.«
(...)
»Dieser Herr von Schöne hat also das Todesloos gezogen?«
»Ja.«
(...)
»So war es! Jetzt begreife ich es. Und jener Herr von Schöne hat sich entleibt?«
»Ja. Er hat sein Testament gemacht und darin mit gesagt, daß er in Folge eines amerikanischen Duelles sterbe. Ist da mein Herr der Mörder gewesen?«
»Nein.«
»So ähnlich war es auch mit dem andern Zeugen, dem Herrn von Selbmann. Der war ein leidenschaftlicher Bergfex.«
»Was ist das?«
»Einer, der alle Jahre in die Alpen läuft und dort die Berge ersteigt.«
»Ist das gefährlich?«
»Ja. Man kann sehr leicht den Hals brechen. Mein Herr reiste ihm nach, ich natürlich mit. Nach einigen Wochen trafen wir ihn endlich in einem Hotel. Er erwähnte, daß er morgen einen Gletscher besteigen werde. Das war nicht gefährlich. Am frühen Morgen stiegen wir voran. An einer Stelle, wo man auf Stufen niedersteigen mußte, welche in das Eis gehauen waren, mußte ich vier dieser Stufen mit dem kleinen Handbeile, welches wir mitgenommen hatten, so unterhöhlen, daß Derjenige, welcher sie betrat, in die Tiefe stürzen mußte, weil sie unter ihm zusammenbrachen.«
»Und er stürzte?«
»Ja.«
»Und war todt?«
»Augenblicklich. Wer ist da der Mörder?«
»Niemand. Er hätte die Stufen untersuchen sollen.«
»Natürlich. Der Kerl war ein Esel.«

[Karl Mays Werke: Der Weg zum Glück, S. 3603 ff.. Digitale Bibliothek Band 77: Karl Mays Werke, S. 33366 (vgl. KMW-II.29, S. 2331ff.)]
Interssant im besonderen Maße ist da für mich das Auftauchen der Namen "Schöne" und "Selbmann". So hießen Karl Mays zwei Schwager, die Christiane Wilhelmine und Karoline Wilhelmine, die Schwestern Karl Mays, geheiratet hatten.
Ist da eigentlich irgendwas bekannt, wie eigentlich Karl dazu kam, die Ehemänner seiner Schwestern sozusagen literarisch in den Tod zu schicken? Konnte er die beiden aus irgendeinem Grund nicht leiden?
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