Das e zum Mittwoch

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rodger
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Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

„Dank!“ (Der verlorne Sohn, dritter entsprechender HKA-Band, S. 1467; Valeska Petermann zu Randau) Ja was hat sie denn nun gesagt ... Im HKA-Band steht „Dank“, auf den Internetseiten der KMG steht „Danke“. Nein, das ist wahrlich nicht dasselbe. Der unmittelbar darauf folgende Text paßt zum vermutlich bewußt arg knappen, mühsam herausbekommenen „Dank“ m.E. wesentlich besser als zum banal schlichten „Danke“ ...

„Welch' ein Gesicht, und welche Züge! Wie glühte die Röthe der Verlegenheit und der Entrüstung auf den bleichen und doch so vollen, zarten Wangen. Welch' ein Ausdruck lag in den vor Leid nassen Augen, aus denen doch ein Strahl des Zornes blitzte.

Sie hatte nur dieses eine Wort gesagt. Aber es war ihm, als ob darin ihr ganzer Jammer ausgesprochen liege. Er hatte Mühe, sich loszureißen und wieder an seinen Platz zurückzukehren.“

Bei der Gelegenheit fällt mir auch das fehlende e bei "dem deutschen Meer entgegen" in Band 88 wieder ein, irgendwo auf Seite Dreihundertsonstnochwas ziemlich zu Beginn der zweiten Erzählung, das ist so schätzungsweise das ca. fünfzehnte Mal, daß mir das in den letzten Monaten einfällt ... "Dem Meere entgegen" vermittelt natürlich eine ganz andere Atmosphäre als "dem Meer entgegen", ich hoffe doch es sind so ca. zweieinhalb Mitleser hier denen man das nicht erklären muß; da man die Stelle mit einigem guten Willen auch noch als eine Spur ironisch gebrochen empfinden kann (man schippert auf einem deutschen Fluß dem deutschen Meer[e] entgegen, um dann über den Ozean nach Amerika zu fahren ...) ist davon dann natürlich erst recht gar nichts mehr da ohne das e ... In dem Fall fehlt etwas ohne e, im zuerst genannten aus dem "Verlornen Sohn" fehlt MIT e etwas ... jaja ... man kann natürlich sprachliche Dinge auch nach starren Regeln betreiben ... das ist dann halt in etwa so als wenn man in einem großen Dünengebiet nur 1 eingezäunten, bretterbedeckten Weg freigibt, für die Touristen ...
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rodger
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

Ab und zu eine Portion Bestätigung (meist von To[d]ten ...)
Für seine Ästhetik dürfte das Verschwinden des 'h', dem Karl Kraus nicht lange danach seine 'Elegie auf den Tod eines Lautes' widmete, etwa bei der Thür (die Otto Denk grundsätzlich in 'Türe' verwandelte) oder in That und thun ähnlich abstoßend gewesen sein, wie heute, durch Beschließung anmaßender Kultusbeamten, der fortgeschrittene Verlust des Buchstabens etwa in 'rau' es ist, den Kraus bereits voraussah.
Das 'e' ist der Schrumpf- und Schwundbuchstabe der deutschen Schriftsprache überhaupt; in Mays Lebenszeit fielen viele der Schreibverkürzungen, die sich aus der seit dem Barock fortgeschrittenen mündlichen Verschleifung ergeben hatten.
(Hans Wollschläger im Editorischen Bericht zur Manuskriptfassung von "Ardistan und Dschinnistan", S. 1011/12)

Und, ebd., gleich noch ein Gruß an den einen oder anderen HKA-Band:
Aus dem Grundauftrag der kritischen Ausgabe versteht sich, daß Inkonsequenzen wie Idiosynkrasien voll erhalten bleiben
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rodger
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

Elegie auf den Tod eines Lautes von Karl Kraus

Weht Morgenathem an die Frühjahrsblüthe,
so siehst du Thau.
Daß Gott der Sprache dieses h behüte!
Der Reif ist rauh.

Wie haucht der werthe Laut den Thau zu Perlen
in Geistes Strahl.
Sie vor die Sau zu werfen, diesen Kerlen
ist es egal.

Kein Wort darf Seele haben, der Barbare
er lebt so auch.
Sein Stral ist Strafe, Wort ist Fertigware
zum Sprachgebrauch.

Ein jeder Wirth ist, hat er etwas Grütze,
am Wort ein Wirt.
Die Sprache ist ja als der Hausfrau Stütze
nur engagiert.

Sie streckt sich nach der Decke, keines Falles
sie Aufwand treibt.
Sie kriegt, da sie ja Mädchen nur für Alles,
was übrig bleibt.

Man ist kurz angebunden, wenn man praktisch
so mit ihr spricht.
Dann aber wird ihr noch die Notzucht faktisch
von jedem Wicht.

Der Orthograph kennt Muth nicht, hat nur Mut
vor einem Laut,
den vorschriftsmäßig er mit wilder Wut
zusammenhaut.

Nicht Wahn ist, was er tut, er ist kein Thor,
er müt sich brav.
Doch hat er wol für Gottes Wort kein Ohr,
der Ortograf.

Er ist kein Thor, er ist ein Tor, durch das
der Fortschritt ziet,
Haß habend gegen hinderliche h's
in dem Gemüt.

Der Tag ist kurz, man spart die Zeit vom Mund,
das närt das Herz.
Man knappt das Wort sich ab, das ist gesund
für den Kommerz.

Man tut und schreibt recht, scheut kein edles Wort.
Was wahr ist, war.
Die Sprache athmet nicht, sie atmet fort
fürs Komptoir.

Man schreibt und hat recht, spart die Zeit am Wort,
so gut man kann.
Das Wort ist nur ein Abteil, ein Abort
für jedermann.

Ab-ortographen gibt's in diesem Land,
die denken nach,
daß schnell wie 'n Taler get durch Mund und Hand
die theure Sprach'.

Unnütz ist doch so 'n Hauchlaut im Verkere.
Von Jar zu Jar
lert man drum eine Regel, die als Leere
recht annembar.

M.w. heißt: machen wir. Der Tag ist kurz.
Der Laut verhaucht.
Nachts widerfahrt der Regel leicht ein Sturz,
wenn sie es braucht.

Auch dret man sich galant um, ob kein Stul da,
wie sich's gebürt.
Das rürt die Werte, die im Namen Hulda
das h noch fürt.

Schreib wie du sprichst, dann macht sich deine Schose,
fro kannst du lachen.
Ein Heiligthum ist eine alte Hose,
nicht zu machen!

Bediene selbst dich, lebe nach der Elle,
schreib auf Raten.
Das kann ich raten dir, es faren schnelle
die Automaten.

Im Büro schinden sich, Genuß zu finden
der Son und Vater.
Doch get man abends auch die Sprache schinden
statt ins Teater.

Wenn lautlos, erlös, werlos diese Gute,
rot vor Scham,
so anungslos da rute, sie die Rute
gleich bekam.

Die Sprache aber denkt sich ihren Teil:
In diesem Land
parieren muß zum allgemeinen Heil
der Konsonant.

Befehl ist halt Befel, er trägt das Leid
im Jammertal.
Er weiß, nicht besser in der harten Zeit
gets dem Vokal.

Der Zan der Zeit benagt an diesem Ort
mit flinker Wal
und wolgemut das altbewärte Wort
zu einer Zal.

Wie Thon klingt's, rauer Ton, das Or zerreißt er.
Doch sei du still.
Gewonheit macht's, frü übt sich was ein Meister
werden will.

Der Geist dankt ab. Wie Wansinn ihn beschlich es,
's ist totgewiß.
Sein Wort ist leider längst ein öffentliches
Ärgernis.

Ein Tropf ist nur aus Lern, ihm felt der Hauch
von Gottes Segen,
drum wischt vom Thau den Tropfen so ein Gauch,
der Ordnung wegen.

Nichts, was ihm Zeit raubt, ist dem Kristen heilig,
der da front;
er raubt dem Ding das h, so wird es eilig.
Was sich lont.

Und keine Thräne wird den Roling hindern
für und für.
Er warf das h, der Träne Schmerz zu lindern,
raus zur Tür.

Nicht jedes Thier verwüstet tätig so
der Schöpfung Spur.
Nur manche Gattung Tier lebt irgendwo
fern der Natur.

Sie hat wol viel Gefül und dieses ist
dick wie das Tau.
Den Thau zertritt sie, Werth hat nur der Mist
für eine Sau.


___________________________________
("Applaus Applaus Applaus ..."; Kermit)
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von markus »

rodger hat geschrieben:... das ist dann halt in etwa so als wenn man in einem großen Dünengebiet nur 1 eingezäunten, bretterbedeckten Weg freigibt, für die Touristen ...
Oder einfacher gesagt ist das so wie..."Rasen betreten verboten! Bitte bleiben Sie auf den Wegen!! Am besten hintereinander im Stechschritt!!!"... :shock: :mrgreen:
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rodger
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

'rodger' hat geschrieben: „Dank!“ (Der verlorne Sohn, dritter entsprechender HKA-Band, S. 1467; Valeska Petermann zu Randau) Ja was hat sie denn nun gesagt ... Im HKA-Band steht „Dank“, auf den Internetseiten der KMG steht „Danke“. Nein, das ist wahrlich nicht dasselbe. Der unmittelbar darauf folgende Text paßt zum vermutlich bewußt arg knappen, mühsam herausbekommenen „Dank“ m.E. wesentlich besser als zum banal schlichten „Danke“ ...
Ich erhielt heute eine halb geschäftliche (berufliche), halb private Mail, in der stand zwischen Anrede und [individuell gestalteter] Grußformel lediglich:
Dank.
Daraufhin fiel mir umgehend der oben zitierte Beitrag wieder ein ... (und ließ sich mit Hilfe der Suchfunktion unaufwendig und schnell finden.)

Im Fall besagter Mail war das "Dank." nicht als "mühsam herausbekommen" wie an zitierter Stelle bei May anzusehen, sondern eher als 'kurz aber herzlich', freundlich mit einem Hauch ironischer Brechung. Will sagen, die Bedeutungen variieren, je nach Zusammenhang. Hätte da "Danke." gestanden, wäre es eher fad gewesen ...

[Umgang mit] Sprache macht Freude. Yes. Well. Ich liebäugele mit dem Buch vom Grass über die Brüder Grimm in Zusammenhang mit der deutschen Sprache ... (nebenbei gesprochen, das Pauschalniedermachen von Grass seitens einer mafiamäßig in Erscheinung tretenden Medien-Meute hat weniger mit dem zu tun, was man ihm vorwirft, als damit, daß das Ausgrenzungs- und auf Sündenböcke einprügeln und sein Mütchen an ihnen kühlen - Bedürfnis halt zwischen Schulhof und Erwachsenenalter keineswegs abnimmt, von großen kleinen Mädchen [& Jungs] über rechtsaußen bis linksunten [oder auch linksaußen bis rechtsunten, das bleibt sich gleich ...] ...)
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rodger
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

Hermann Hesse an einen Korrektor, Oktober 1946

[Hesse-Vollzitat von GD gelöscht (Warum? Steht hier.)]
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rodger
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

Wenn man, liebe Gemeinde, 'Hesse Tür Türe Korrektor' eingibt in Google, steht bei den Ergebnissen ziemlich weit oben ein Link zu dem Text "Der Autor an einen Korrektor". Den mag, wer will, lesen oder auch nicht.

:D

(So erlaubt ?)
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von giesbert »

Ein Link wäre wohl auch kein Problem (aber da wollen wir mal keine schlafenden Hunde wecken …) ;-)
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Re: Das e zum Mittwoch

Beitrag von rodger »

Zur Stadt: den Kranz für Neumann besichtigt. ("Dem lieben unvergeßlichen Freund" ohne e ist unbefriedigend.)
(Tagebucheintrag Thomas Manns vom 4.10.1952)

wozu einem freilich sofort dieser Thread wieder einfällt ... drei bis sechs Jahre her ? Na und ? Die wesentlichen Dinge merken wir uns ... :mrgreen:
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