Wilhelm Hauff & Karl May

Antworten
Thomas Schwettmann

Wilhelm Hauff & Karl May

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste

Mit diesen magischen Worten beginnt "Die Karawane" Wilhelm Haufs "Märchenalmanach auf das Jahr 1826". Nun hat Karl May zwar seinen 1. Band seiner Gesammelten Reiseerzählungen zunächst "Durch Wüste und Harem" genannt, doch erscheint der Ausdruck durch die Wüste bereits schon unter dem Ersttitel insgesamt fünfmal innerhalb des Erzählungstextes, davon erstmals in dem Kapitel "Abu Seif": Während des Rittes durch die Wüste hat man ebenso wie von der Hitze des Tages auch von der unverhältnismäßigen Kälte der Nächte zu leiden.

Tatsächlich aber verwandte May die Phrase schon in seinem allerersten Orient-Text, der Sahara-Beschreibung innerhalb der "Geographischen Predigten": Ihr westlicher Theil, die Sahel, ist die eigentliche Heimath des gefürchteten Flugsandes, der, von dem Winde zu fortrückenden Wellen emporgetrieben, langsam durch die Wüste wandert; daher der Name »Sahel«, d.i. Wandermeer. [Kap.: Berg und Thal]

Diese Stelle ist dann auch wortwörtlich in das 3. Kapitel von "Unter Würgern" bzw. "Die Gum" (in: "Datteln und Orangen"). Und in Verbindung mit einer Karawane liest man den Ausdruck in einem zu Hauffs Satz ähnlichen Wortlaut in "Scepter und Hammer": Eine kleine Karawane zog durch die Wüste. [Kap.: Der schwarze Kapitän]

Es ist bekannt, daß sich May bei der Niederschrift seiner ersten Orient-Erzählung "Leilet" sich wesentlich an Hauffs Märchen "Die Errretung Fatmes" orientierte. Zu den Motiven, die er übernommen hat, gehört der Arzt, welcher der verschleierten Gefangenen durch ein Loch in der Wand den Puls fühlen darf, die Befreiung mittels Eindringen durch den Wasserkanal, die Umbennung der Gefangenen sowie das Auftreten eines Bruders (bei Hauff erzählt der Bruder des Protagonisten die Geschichte, da dieser einen der Zuhörer, welcher in der Erzählung eine zentrale Rolle spielt, nicht erkennen darf). Im einzelnen wird dieses etwa in dem Aufsatz "Karl Mays Novelle ›Leilet‹ als Beispiel für seine Quellenverwendung" von Wolfgang Hammer im KMG-Jahrbuch 19.. beschrieben.
-> http://karlmay.leo.org/kmg/seklit/JbKMG/1996/205.htm
-> http://www.karl-may-gesellschaft.de/kmg ... /index.htm (S. 27-31)

Darüber hinaus ist Karl May möglicherweise durch Hauffs "Karawane" auch zu seinen anderen frühen Orientgeschichten "Die Gum" (in: 'Frohe Stunden') sowie "Die Rose von Sokna" angeregt worden. Schon in "Leilet" entpuppt sich der Entführer Abrahim-Agha als ehemaliger Wüstenräuber-Anführer: »Hedjahn-Bei, der Mörder der Karawanen!« rief ich so laut, daß es weit über das Wasser schallte und Hassan mich mit einer angstvollen Bewegung zum Schweigen mahnte. »Hedjahn Bei, der dann vom Vicekönig begnadigt wurde, um seine früheren Spießgesellen an den Strick zu liefern?« - »Ja, Hedjahn-Bei, der auch uns beraubte und gefangen nahm, und dem wir nur entkamen, weil Du sein Kameel tödtetest!«

In "Die Gum" greift May nun diese Figur des Hedjahn-Bei auf und der Ich-Erzähler berichtet nun von einer Konfrontation mit diesem Wüstenräuber. Zunächst rettet er den Karawanenwürger vor einem Löwen und findet deshalb Gnade und Vergeltung, vor dem Räuber, später jedoch zwingt er den Bei, die Karawane, welche durch einen seiner Männer in die Irre geführt worden ist, sicher zu einer Oase zu führen, anschließend trennt sich der Weg beider. Im Gegensatz zu den nachfolgenden Wüstenräuber-Geschichten "Die Rose von Sokna" und "Unter Würgern" bleibt der Karawanenwürger hier also am Leben.

Auch dies erinnert an Hauff, dessen Wüstenräuber Orbasan in "Die Errettung Fatmes" (er tritt außerdem in der Rahmenhandlung sowie der "Geschichte von der abgehauenen Hand" auf) freilich nicht in Gefangenschaft gerät, sondern den zunächst irrtümlich gefangengenommenen Mustafa nicht nur am Leben läßt, sondern in auch Vergütung und zukünftige Hilfe verspricht. Dabei steht die Figur Orbasan (wie auch der Räuberhauptmann im 'Wirtshaus im Spessart') noch ganz in der literarischen Tradition Rinaldo Rinaldinis. Denn zum einen stammt Hauffs Wüstenräuber ursprünglich aus Europa, er begann seine 'Karriere' typischerweise in Italien (Florenz), auch hat er sich in der arabischen Wüste 'lediglich' auf die Erpressung von Schutzgeldern spezialisiert: . »Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste.«
-> http://gutenberg.spiegel.de/autoren/hauff.htm

Selbst die Beschreibung Orbsans erscheint dem Leser dabei auf dem ersten Blick auch durchaus typisch für einen Maytext zu sein, allein läßt sich über die Verwendung von einzelnen Wörtern hinaus keine Übereinstimmung von Satzteilen finden, so daß Karl May hier also nicht direkt abgeschrieben hat: Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und helleuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen.

Hauffs Texte entstanden natürlich unter dem Eindruck der 'Geschichten aus 1001 Nacht'. Man lese etwa die beiden folgenden Auszüge aus zwei orientalischen Geschichten: (...) sah er in der Ferne die Kuppel einer Moschee wie Feuer strahlen, sah er einen See wie einen Spiegel blinken, so eilte er voll Freude darauf zu; denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe, und nur allzubald erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, daß er noch im Lande der Sterblichen sich befinde [Wilhem Hauff: Die Karawane, Der kleine Muck]

Die Karawane war schon den größten Teil des Tages im gemächlichen Schritt fortgezogen, Said immer an der Seite seines alten Gefährten, als man dunkle Schatten am fernsten Ende der Wüste bemerkte; die einen hielten sie für Sandhügel, die anderen für Wolken, wieder andere für eine neue Karawane; aber der Alte, der schon mehrere Reisen gemacht hatte, rief mit lauter Stimme, sich vorzusehen; denn es sei eine Horde räuberischer Araber im Anzug. Die Männer griffen zu den Waffen, die Weiber und die Waren wurden in die Mitte genommen, und alles war auf einen Angriff gefaßt. Die dunkle Masse bewegte sich langsam über die Ebene her und war anzusehen wie eine große Schar Störche, wenn sie in ferne Länder ausziehen. Nach und nach kamen sie schneller heran, und kaum hatte man Männer und Lanzen unterschieden, als sie auch schon mit Windeseile herangekommen waren und auf die Karawane einstürmten. / Die Männer wehrten sich tapfer; aber die Räuber waren über vierhundert Mann stark, umschwärmten sie von allen Seiten, töteten viele aus der Ferne her und machten dann einen Angriff mit der Lanze. In diesem furchtbaren Augenblick fiel Said, der immer unter den Vordersten wacker gestritten hatte, sein Pfeifchen ein, er zog es schnell hervor, setzte es an den Mund, blies und - ließ es schmerzlich wieder sinken; denn es gab auch nicht den leisesten Ton von sich. Wütend über diese grausame Enttäuschung, zielte er und schoß einen Araber, der sich durch seine prachtvolle Kleidung auszeichnete, durch die Brust; jener wankte und fiel vom Pferd. [Wilhem Hauff: Das Wirtshaus im Spessart, Saids Schicksale]

Nicht unähnlich dazu liest sich der folgende Ausschnitt aus "1001 Nacht", wobei die Texteauszüge bei Hauff sowie der orientalischen Märchensammlung natürlich einen stereotypen Charakter haben. Insofern ist ein Rückschluß bzgl dessen, daß die Szene aus "1001" möglicherweise als Quelltext in Frage kommt, nicht wirklich zu beantworten, zumal die hier zitierte erste "vollständige" Übersetzung aus arabischen Urtexten von Weil erst 1839-42, also mehr als ein Jahrzehnt nach dem Märchenalmanach für 1826, entstand.
-> http://gutenberg.spiegel.de/weil/1001/inhalt.htm

Als er aber um Mitternacht heraustrat, sah er in der Ferne etwas glänzen; er fragte den Führer, was das wäre, dieser sah scharf hin und bemerkte arabische Schwerter und Lanzen; es war eine Horde Beduinen mit ihrem Anführer Scheich Adjlan, welcher immer näherkam, und bald hörte Ala, wie sie untereinander sagten: »O Nacht der Beute!« Kemal Eddin schrie zuerst: »Packe dich, du elender Beduine!« aber alsbald wurde er von Scheich Adjlan selbst an der Tür des Zelts durchbohrt. Dem Wasserträger, welcher dann schrie: »Wehe euch, erbärmliches Gesindel!« wurde ein Hieb auf die Schulter versetzt, der ihn zu Boden stürzte. Dann gingen die Beduinen herein und heraus und verschonten niemanden von Alas Leuten, luden die Waren auf Alas Maultiere und gingen fort. Ala, der dies alles sah, dachte: mein Oberkleid und mein Maultier könnte mich noch in Gefahr bringen; er zog es daher aus und wendete sich gegen die Tür des Zeltes; da fand er einen See vom Blut der Erschlagenen, und er wälzte sich mit seinem Beinkleidern darin herum, so daß er wie ein Erschlagener aussah, der in seinem Blute lag. [1001 Nacht: Geschichte Ala Eddin Abu Schamats]

Interessanterweise gibt es auch bei Karl May eine ähnliche Szenerie, wobei man auch hier weder Hauff noch die zitierte Geschichte aus "1001 Nacht" als sicheren Quelltext benennen könnte. In dem Roman "Scepter und Hammer" ließ sich May von seiner "Leilet"-Novelle, und recht deutlich auch von Hauffs "Die Errettung Fatmas", zu einer weiteren Entführung eines Mädchens auf dem Nil inspirieren. In Fortsetzung dieses Abenteuers kommt es später dann zu einem Kampf in der Wüste: Tiefe Stille lagerte auf der Wüste; aber nach einiger Zeit erscholl der schrille Schrei des Adlers, und sofort wurde es laut im Duar. Befehlende Stimmen ertönten, Flüche erschallten, Schüsse krachten. Dann warf man die Flinten fort und arbeitete nur mit dem Messer. Nach und nach mischten sich auch weibliche Stimmen in den Lärm. Die Janitscharen waren zu übermächtig, sie siegten. Es war eine Scene, wie sie so wild, so schauerlich und unmenschlich nur in der Sahara vorkommen kann, wo in den Adern das Blut so glühend fließt, wie der Sonnenbrand über die Dünen des wandernden Sandes. (...) vor ihnen lagen Remusat, Omar und Katombo ausgestreckt. Die beiden ersteren waren todt; der letztere hatte eine schwere Hiebwunde über den Kopf erhalten und befand sich ohne Bewußtsein.

Was Karl May angeht, könnten des weiteren Einflüsse aus "1001 Nacht" für dessen "aufreizende" Beschreibungen in den Münchmeyer-Romanen Pate gestanden haben. In der aus höchst unterschiedlichen Erzählungen zusammengesetzte Märchensammlung gibt es auch ein gutes Dutzend Liebesgeschichten mit etaws ‚pikanteren' Formulierungen. Hier ein paar Beispiele aus der Weil-Übersetzung:

[i9Der Makler entfernte sich und kam nach einer Weile wieder mit einer Sklavin an seiner Seite, welche von schlankem Wuchse, feingeformtem Busen, glühend schwarzen Augen, feiner Taille, frischem Aussehen, süßem Atem, wohlgeformten Füßen und zarter Stimme war. Ein Dichter sagt von ihr: Ihr Wuchs war schlank, der Busen rund geformt, die Stirne leuchtend wie der Mond; sie hatte Augen wie ein Reh, Wangen wie Rosen, Lippen wie Korallen, Zähne wie Perlen und einen Hals wie der einer Gazelle, einen Mund wie Salomos Siegelring.[/i] [Geschichte der drei Kalender]

Als ich in diesem Schlosse mich eine Weile umgesehen, bemerkte ich ein Mädchen, so herrlich wie die reinste Perle, oder wie die helleuchtende Sonne. Als es zu reden anfing, verscheuchten seine Worte jeden Kummer, sie waren so süß, daß sie selbst des verständigsten Mannes Herz bezaubern mußten. Es hatte eine schlanken Wuchs, einen schön gerundeten Busen, hübsche Wangen, eine zarte Gesichtsfarbe und ein vornehmes Aussehen, hell strahlte ihre Stirn unter den dunklen Locken hervor. [Geschichte des zweiten Kalenders]

(...) und ich sah ein Gesicht so schön wie der Vollmond, er besaß alle Reize, Gott hatte ihn mit dem Gewande der Vollkommenheit umhüllt und es mit seinen Wangen schön geschmückt, wie ein Dichter sagte: »Ich schwöre bei der Trunkenheit seiner Augen, bei seinem Blicke, bei den Pfeilen, die seine Reize versenden, bei seiner weißen Stirne und seinen schwarzen Haaren, bei den Augenbrauen, die mir den Schlaf geraubt und mich unterjocht haben, bei der Gefahr, die seine Haarlocken verbreiten, die den Liebenden durch seine Trennung mit Tod bedrohen, bei den Rosen seiner Wangen und den Myrten seiner Schläfe, bei dem Karneol seines Mundes und den Perlen seiner Zähne, bei dem Wohlgeruch seines Atems und dem süßen Wasser seines Speichels, wo Honig mit klarem Weine gepaart, bei seinem Halse und schönem Bau der Granatäpfel auf seiner Brust, bei der Feinheit seiner Hüften, bei der Seide seiner Haut und der Zartheit seines Geistes und bei allem, was er von Schönheit umschließt, bei seiner freigebigen Hand und aufrichtigen Zunge, bei seinem edlen Stamm und erhabenen Range. Der Moschusgeruch ist nichts anderes als seine Ausdünstung, und der Ambraduft ist von ihm entnommen. Auch die leuchtende Sonne stehet so tief unter ihm wie einer seiner abgeschnittenen Nägel.« [Geschichte des ersten Mädchens]

Ob Hauff derartiges auch gelesen haben könnte, hängt davon ab, wie genau die alten Übersetzungen gewesen sind, zumal derartige Textpassagen in der aus höchst unterschiedlichen Literaturtypen bestehenden Märchensammlung aufs ganze gesehen eher selten anzutreffen sind. Allerdings sind Hauffs derartige Charakterisierungen - entsprechend dem auch jugendlichen Zielpublikum - recht kurz geraten. So auch bei der scheinbar Toten in "Die Geschichte von der abgehauenen Hand", der ein Arzt auf Bitten eines falschen Angehörigen nach alten Brauch den Kopf abnehmen will und dadurch zum Mörder wird: Nur der Kopf der Leiche war sichtbar, aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen.

Bei einer gleichartigen Situation, in der ein Arzt eine Totkranke besucht, hat Hauff später in "Die Sängerin" übrigens ähnlich formuliert: Ich trat näher, weiß und starr wie eine Büste lag der Kopf der Sterbenden zurück, die schwarzen, herabfallenden Haare, die dunklen Brauen und Wimpern der geschlossenen Augen bildeten einen schrecklichen Kontrast mit der glänzenden Blässe der Stirn, des Gesichtes, des schönen Halses.

Jedenfalls gibt es insbesondere eine Novelle Hauffs, bei der er nicht soviel sittsame Zurückhaltung geübt hat. Und die Geschichte dieser Novelle ist recht kurios.
Thomas Schwettmann

Wilhelm Hauff - Der Mann im Mond

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Und richtig, 'Honny soit qui mal y pense' ist darauf gestickt. (...)
[Wilhelm Hauff: Der Mann im Mond - Kap.: Fingerzeig des Schicksals]

Nach diesem Ausflug in die orientalische Märchenwelt Hauffs sei nun eine weitere, diesmal merkwürdige Parallelität zwischen Hauff und May angesprochen. Wilhelm Hauff starb in jungen Jahren, seine äußerst produktive Phase als Schriftsteller umfaßte nicht mehr als zwei bis drei Jahre, in denen er auch noch ausgedehnte Reisen durch Deutschland, die Niederlande, Belgien und Frankreich, später auch noch nach Tirol unternahm. Sein erstes Werk, daß er 1825 noch in seiner Stellung als Hauslehrer schrieb, war der "Märchenalmanch auf das Jahr 1826" mit der Rahmenhandlung "Die Karawane", aus diesem wurde ja bereits oben zitiert. Bevor er im April 1826 die besagte Reise in die westlichen Nachbarländer antrat, folgten noch die "Memoiren des Satans, Teil 1", die unter dem "geklauten" Pseudonym "H. Claurens" veröffentlichte Erzählung "Der Mann im Monde", der Roman "Lichtenstein" , die "Memoiren des Satans, Teil 2" sowie die "Kontroverspredigt über H. Clauren und Der Mann im Mond". Ferner dürfte aus dieser Zeit auch noch die Skizze "Die Bücher und die Lesewelt" stammen.

Bemerkenswert ist nun, daß Hauff in der pseudonym erschienenen Novelle "Der Mann im Mond" auffällig freizügig in der Beschreibung weiblicher Reize ist, was im restlichen Werk in der Regel so nicht zu lesen ist. In der Tat ist dies eine Sprache, die der May-Leser aus den unbearbeiteten Münchmeyer-Kolportageromanen kennt, einige einschlägige Textstellen aus der Hauff-Novelle habe ich ja schon im Thread zu den Münchmeyer-Romanen zitiert. In der "Kontroverspredigt" distanziert sich Hauff jedoch von seinem Werk, indem er es als Parodie auf den echten "H. Claurens", d.h. den unter diesen pseudonym schreibenden Geheimen Hofrat Heun, bezeichnet und sich vehement gegen diese Art von Schund- und Giftliteratur wendet. Tatsächlich imitierte Hauff den seinerzeit mit 26 Jahrgängen seines Taschenbuches "Vergissmeinnicht" äußerst erfolgreichen Autor, von einer Satire im eigentlichen Sinne kann man trotz einiger ironischer Übertreibungen aber wirklich nicht sprechen, sondern dann doch eher von einem Plagiat. Umso mehr, als Hauff einen Prozeß verliert, weil er Heuns Pseudonym einfach übernommen hat. Sein Argument, daß ein Pseudonym keine reale Person sei und insofern zur freien Verfügung stände, überzeugte das Gericht nicht. Um nun einen Eindruk von der Novelle zu bekommen, seien erst einmal einige "aufreizende" Ausschnitte aus dem "Mann im Mond" zitiert:

Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen (...) Wenn er in ihr volles, glühendes Auge sah, wenn er den süßgewölbten Mund betrachtete, da dachte er: (...) der Hofrat Berner hat auch gelebt und geliebt und wettete seinen Kopf, dieses Auge weiß, was Liebe ist, diese frischen Purpurlippen haben schon geküßt, aber anders als nur solche Hofratsküsse! [Kap.: Ida]

Kaum hatte des Fremden glühendschwarzes Auge Ida getroffen, als sie ihren Blick abwandte. Überraschung und Verlegenheit machten sie stumm auf einige Augenblicke; von dem Diadem auf der schönen Stirne, über den Liliensamt der blühenden Wange bis herab auf den jungfreulichen Alabasterbusen flog ein brennendes Rot, das der Hofrat nicht unbemerkt ließ. [Kap.: Schöne Augen]

Jetzt, wo sie mit ihrem Tannenwuchs, mit ihrer unnachahmlichen Grazie bescheiden und doch voll so erhabener Würde hereintrat, das strahlende Diadem in den geschmackvoll geordneten Ringellocken und Löckchen, im feuersprühenden Auge Geist und Liebe, verschmolzen mitschuldloser, anspruchsloser Natürlichkeit; die Wangen von Gesundheit gerötet, in den feinen Grübchen den kleinen, kleinen Schelm, den Mund so würzig, so kußlich, die aphroditische Schwanenbrust mit dem fürstlichen Schmuck, mit dem Pariser Hofkleid umschlossen - Nein! das Mädchen durfte nicht schön, durfte nicht unschuldig und tugendhaft sein. [Kap.: Das Urteil der Welt]

Es war nicht möglich, etwas Liebreizenderes zu sehen als das Mädchen, eine ewig junge Hebe zwischen den alten, fröhlichen Herren. Es war jetzt ganz das wählige, mutwillige Kind wie vor drei Jahren, wenn es dem Papa oder dem alten Hagestolz Berner auf dem Schoß saß; Madeirasekt und Xeres hatten ihn, weil Berner keinen der schweren Weine über die Purpurbarrieren ihrer Lippen gelassen hatte, alles Blut in die wangen getrieben; es zischte und gischte in ihren Adern so warm und wohltuend, daß das Auge von Luft und Liebe strahlte und die rosige Tiefe des Schelmengrübchens alle Augenblicke sich zeigte. Der Champagner, den sie auf dem Trimadera setzte, war auch nicht aus seinen Kreidebergen geholt worden, um ein fröhlich-glühends Engelsköpfchen abzukühlen, und einen in ewig wechselnder Wonne Flut und Ebbe wogenden Busen zur Ruhe zu bringen. [Kap.: Das Urteil der Welt]

(...) ach! so hätte sie durch das Leben tanzen mögen, ihr war so wohl, so leicht, wie auf den Flügeln der Frühlingslüfte schwebte sie in seinem Arme hin, sie zitterte am ganzen Körper, ihr Busen flog in fieberhaften Pulsen; sie mußte ihn ansehen, es mochte kosten, was es wollte; sie hob das schmachtene Gesichtchen, ein süßer Blick der beiden Liebessterne traf den Mann, der ihr in wenigen stunden so wert geworden war; das edle Gesicht lag offen vor ihr, wenige Zoll breit Auge von Auge, Mund von Mund, ach, wie unendlich hübsch kam er ihr vor, wie fein alle seine Züge, wie schmelzend sein Auge, sein Lächeln, sie hätte mögen die paar Zöllchen breite Kluft durchfliegen, ihn zu lieben, zu kü- [Kap.: Das Kotillon]

(...) es biß die scharfen Perlenzähne in die Purpurlippen, (...) und auch die dünne Seidenhülle, die jetzt noch übrig war, mußte immer weiter hinabgeschoben werden, daß die wogende, entfesselte Schwanenbrust Luft bekam. (...) sein dunkles, wehmütiges Auge fesselt sie so, daß sie kein Glied zu rühren vermag, sie kann die decke nicht weiter heraufziehen, sie kann den Marmorbusen nicht vor seinem Feuerblick verhüllen; sie will zürnen über den sonderbaren Besuch, aber die Stimme versagt ihr. Aufgelöst in jungfräulicher Scham und Sehnsucht drückt sie die Augen zu; er naht, weiche Flötentöne erwachen und wogen um ihr Ohr, er kniet nieder an ihrem bräutlichen Lager, "der Zug des Herzens ist es Schicksals Stimme", flüstert er in ihr Ohr, er beugt das gramvolle, wehmütige Gesicht über sie hin, heiße Tränen stürzen aus seinem glühenden Auge harab auf ihre Wangen, er wölbt den würzigen Mund - er will sie kü - / Sie erwachte, sie fühlte, daß ihre eigenen heftigströmenden Tränen sie aus dem schönen Traum erweckt hatten. [Kap.: Das Kotillon]

So war Gräfin Aarstein, ein unabweislicher Widerwille hatte schon in der Residenz die reine, jungfräuliche Ida von dieser üppigen Buhlerin zurückgeschreckt; so oft sie zu ihren glänzenden Soirees geladen war, wurde sie krank, nur um diese frivolen Augen, diese bis zur Nacktheit zur Schau gestellten Reize nicht zu sehen (...) [Kap.: Der Brief]

Es gab einen sonderbaren, aber schönen Anblick, wenn man die beiden Damen so nebeneinander hingehen sah. Gräfin Aarstein, eine kolossale Figur - sie hätte ohne Anstand in jedem Garderegiment dienen können - voll, üppig gebaut, in ihren Bewegungen lag etwas Imposantes, Majestätisches, Gebieterisches, in ihren Mienen eine Hoheit, die an Übermut grenzte. Ihre dunklen Augen hatten das holde, mädchenhafte Niederschlagen schon lange verlernt und rollten mit einem unsteten Feuer umher, als suchten sie lüstern einen Gegenstand der Begierde, oder als musterten sie alles umher, ob auch die gehörige Ehrfurcht gegen einen Sprößling eines so hohen Hauses bewiesen werde. Ihr Gang war etwas schwerfällig, weil die korpulente Figur für die in feinsten Parisier Atlasschuhe eingepreßten Füße etwas zu schwer waren. / Neben ihr die leichte, schlanke, sylphidenähnliche Gestalt Idas; nein, dieser Kontrast.! Sie hielt sich zwar kerzengerade wie eine Tanne, aber doch war das holde Lockenköpfchen ein wenig vorwärts gesenkt, das sanfte Auge oft niedergeschlagen in Demut, zeigte dennoch, wenn sie es aufschlug, so glänzenden Mut, so feurige Luft und Liebe, so gebietenen Ernst, daß es durch die sanfte Beredsamkeit überzeugender gebot als das Rollauge der gebietenen Gräfin. Und um wieviel anziehender war das Schelmengrübchen-Lächeln des süßen Mädchens, als das schrankenlose Lachen und Gurren der Gräfin, die durch ihre rauhe Stimme jedes Ohr verletzte. So schwebte Ida neben der Gräfin hin, so wie Juno und Hebe traten sie in das Zimmer. [Kap.: Trübe Augen]

Sie wählte ein feines Hausnegligee, ein allerliebstes weißes Battistüberröcken, das nach einem Muster, wie man es hierzulande noch nie gesehen hatte, gemacht war; und wie glücklich hatte sie gewählt! Das knappe, alle Formen hervorhebende Überröckchen zeigte in jugendlicher Frische blühenden Körper, den Teint hob zwar keine Perle, kein Steinchen, aber er war so schneefrisch, so zart, so blendend weiß, daß er ja gar keines Schmuckes bedurfte. Aber das Haar wurde dafür so sorgfältig, so glänzend als möglich geordnet. Die seidenen Ringellöckchen schmiegten sich eng und zart um Schläfe und Stirne, die Pracht ihrer Haarkrone war so entzückend, daß sie sich selbst gestand, als sie beim Glanz der Kerzen in den Spiegel blickte, daß sie ihre höher geröteten Wangen, ihr glänzendes Auge sah, mit Lust und heimlichen Lächeln sich gestand, heute ganz besonders gut auszusehen. [Kap.: Der lange Tag]

Der Moment riß ihn hin; sie, die er mit aller Macht heimlicher Glut liebte, sie, die in seinen Träumen allnächtlich ihm erschien und ihn zum Gott machte, sie hatte um ihn geweint, weil sie ihn für unglücklich hielt. Und als er jetzt zu ihr hinaufblinzelte, als er die rührende Scham auf dem engelreinen Gesichtchen, das holde Lächeln um den Mund, tiefer herab die Schneepracht des Halses, dieses Nackens, dieser Brust ansah - er hatte auf seiner großen Tour alle Galerien der Welt, die Kunstschätze der Malerei, die lockenden, majestätischen, niedlichen Formen der alten und neuen Bildhauerkunst gesehen, mit wahrhaftem Kunstfleiß studiert, und was waren alle die herrlichen heiligen Gesichtchen aller Zeiten und Schulen gegen dieses geheimnisvolle Amorettenköpfchen? Es lag ein Liebreiz in diesem süßen Wesen. - Er hörte sie seufzen, eine große, helle Perle hob sich unter den seidenen Wimpern, er ergriff ihre Hand und drückte seinen Mund darauf, sie zog das weiche Wunderpatschen nicht weg. [Kap.: Entdeckung]

Es war aber auch unmöglich, bei dem Engelskind die Fassung zu behalten; - erfreute der herrliche Tannenwuchs, das Ungezwungene, Graziöse der Haltung das Auge, war man beinahe geblendet von dem Lilienschnee der Haut, von der jungfräulichen Pracht des Alabasterbusens, war man entzückt von dem Rosensamt der blühenden Wangen, von dem zum Kuß geöffneten Korallenlippen, war man wunderbar bewegt von dem lieblichen Kontrast, den ihre brand-brand-brand-raben-raben-kohlen-tinten-schwarzen Ringellöckchen und orientalisch geschweiften Brauen mit den Cyanenaugen machten, war man hingerissen von dem Zauberlächeln, das die Grübchen in den Wangen, die Perlen hinter dem schöngeformten Mund zeigte, hätte man hinfliegen mögen, die zarte Taille mit einem Arm zu umfangen, mit dem andern das Amorettenköpfchen recht fest Mund auf Mund zu drücken - oh! so durfte sie ja nur das Auge aufschlagen, durfte nur jenen Blick voll jungfräulicher Hoheit auf den sündigen Menschen und seine Begierden herabblitzen lassen (...). [Kap.: Das Tête-á-Tête]

Und Ida? habt ihr, meine schönen Leserinnen, je ein geliebtes Bräutchen gesehen oder waret ihr es einmal oder - nun, wenn ihr es selbst noch seid, gratuliere ich von Herzen, nun, wenn ihr ein solches süßes Engelskind kennt, mit dem bräutlichen Erröten auf den Wangen, mit dem verstohlenen Lächeln das kußlichen Mundes, der sich umsonst bemüth, sich in ehrbare Matronenfalten zusammenzuziehen, mit der süßen, namenlosen Sehnsucht in denm feuchten, liebtrunkenen Auge, wenn ihr sie gesehen habt in jenen Augenblicken, wo sie dem geliebten Mann, dem sie nun bald ganz, ganz gehören soll, verstohlen die Hand drückt, ihm die Wange streichelt, wenn sie den weichen Arm vertrauensvoll um seine Hüfte schlingt, wie um eine Säule, an der sie sich anschmiegen, hinaufranken, gegen die Stürme des Lebens Schutz suchen will, wenn sie mit ihren unaussprechlichen Liebreiz die seidenen Wimpern aufschlägt und mit einem langen Blick voll Ergebenheit, voll Treue, voll Liebe an ihm hängt, wenn die Schneehügel des wogenen Busens sich höher und höher heben, das kleine, liebewarme Herzchen sich ungeduldig dem Herzen des Geliebten entgegendrängt - kennet ihr ein solches Mädchen, so wißt ihr, wie Ida aussah; kennet aber ihr ein solches Engelskind, ihr Tausende, die ihr einsam unter dem Namen Junggesellen über die Erde hinschleicht, ohne wahre Freude in der Jugend, ohne Genossin eueres Glückes, wenn ihr Männer seid, ohne Stütze im Alter - wißt ihr eine solche frische Hebeblüte und ein fröhliches Amorettenköpfchen, das etwa auch so warme Küßchen, auch so liebevolle Blicke spenden könnte wie Ida, o, so bekehret euch, solange es Tag ist; wenn sie sich euch vertrauensvoll im Arme schmiegt, wenn sie das Lockenköpfchen an eure Brust legt, aus milden Taubenaugen zu euch aufblickt, mit dem weichen Samtpatschchen die Falten von der Stirn streichelt - ihr werdet mir danken, euch den Rat gegeben zu haben. [Kap.: Zurüstungen]

Sie erschrak selbst, als sie in den Spiegel sah, nein, so wundergrazienhübsch hatte sie noch nie ausgesehen; das Überröckchen schloß so eng und passend, das Reisehäuptchen, die hervorquellenden Löckchen gaben dem Köpfchen einen wundervollen Reiz. Die Bäckchen waren so rosig, die Äuglein glänzten so hell und klar im Widerschein ihres bräutlichen Glückes, kleine, kleine Schelmchen saßen in den Grübchen der Wangen und schienen allerlei wunderbare Geheimnisse zu flüstern von Sehnsucht und Erwartung, das Mäulchen so spitzig wie zum Küssen zeigte immer wieder die Perlen, die hinter dem Purpur verborgen waren. (...) "Diese herrliche, jugendliche Frische! dieser Alabasterbusen, der alle Nestel des Korsettchens zu sprengen droht", sagte Minette: "diese weißen Arme", flüsterte Philette, "diese Füßchen", dachte Trinette weiter, "dieses Mäd-" [Kap.: Schluß]
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

(..) sie erinnerte sich an die üppigen Reize der Aarstein, an ihre Verführungskunst, die schon so manches junge, unerfahrene Männerherz betörte (...)
[Der Mann im Mond, Kap.: Der Tee]

Wenn man Hauffs "Kontroverspredigt über H. Clauren und den Mann im Mond" liest, vermag man kaum zu glauben, daß hier derselbe Autor schreibt, der auch "Der Mann im Mond" aufs Papier gebracht hat. Hier wettert er aufs Schärfste gegen die Art von Literatur, die er selber geschrieben hat. Dabei verteidigt er dabei sein Werk als parodistische Übertreibung, die er bewußt unter dem Pseudonym "Clauren" veröffentlicht habe, um damit einen Streit über dem [Un-]Wert der Schriften des echten "Clauren" vom Zaume zu brechen. Umso beleidigter moniert er, daß die Folge lediglich ein Prozeß um die unrechtmäßige Übernahme des Pseudonyms gewesen war, den er zudem noch verlor. Lesen wir zunächst seine Betrachtungen und Argumente.

(...) Und was ist dieses Reizende? Das ist die Sinnlichkeit, die er (= Clauren) aufregt, das sind jene reizenden, verführerischen, lockenden Bilder, die eurem Auge angenehm erscheinen. (...) Armseliges Männervolk, daß du keinen höheren geistigen Genuß kennt, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Mamorbusen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knien, von wohlgeformten Waden, und von dergleichen Schönheiten einer Venus Vulgivaga.

In die eben erwähnte Kategorie von b e r e c h n e t e m Augenreize für Männer gehören auch die Situationen, in welchem wir oft die Heldinnen finden. Bald wird ums ausführlich beschrieben, wie Magdalis aussah, als sie zu Bette gebracht wurde, bald weidet man sich mit Herrn Stern an Doralincens Angst zu z w e i schlafen zu müssen, bald hört man Bally im Bade plätschern und möchte ihrer naiven Einladung dahin folgen, bald sieht man ein Kammermädchen im Hemde, das kichernd um Pardon bittet, der glühenden, durch alle Nerven zitternden Küsse, der Blicke beim Tanze abwärts auf die Wellenlinien der Tänzerinnen u. dgl.. Nicht zu gedenken; Honigworte für Leute, die nichts Höheres kennen als Sinnlichkeit (...)

Männer, die ihr den keuschen Sinn einer Jungfrau für ein hohes Gut erachtet, ihr, ich weiß es, fühlt mit mir. (...) Ich habe gefühlt wie ihr, und der Ausspruch eines alten Arztes fiel mir bei: "Gegen Gift hilft nur wieder Gift." Ich dachte über die Ursache und Wirkung jener Mimilimanier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte, und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte: Aus denselben Stoffen, sprach ich zu mir, mußt du einen Teig kneten, mußt ihn würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter; an diesem Backwerk sollen sie mir kauen (...)

Das Gewebe mußte locker und leicht sein, keiner der Charaktere zu sehr herausgehoben und schattiert. Es wäre z.B. ein Leichtes gewesen, aus Ida eine ganz honette, würdige Figur zu machen; der Charakter des Hofrat Berner hätte mit wenigen Strichen mehr hervorgehoben werden können; man hätte aus der ganzen Novelle ein mehr gerundetes, würdiges ganzes machen können! Aber dann - war der Zweck verfehlt. So flach als möglich mußten die verschiedenen Charaktere auf der Leinwand stehen, steif in ihren Bewegungen, übertrieben in ihrem Herzeleid, grell in ihren Leidenschaften, sinnlich, s i n n l i c h in der Liebe. Jene Novelle an sich hat keinen Wert, und dennoch hat es mich oft in der Seele geschmerzt, wenn ich eines oder das andere der gesammelten "Zutätchen" einstreuen, wenn ich von keuschen Mamorbusen, stolzer Schwanenbrust, jungfräulichen Schneehügeln, Alabasterformen etc. sprechen mußte, wenn ich nach seinem Vorgange von schönen "Mäd-," von süßen "Küs-" (was nicht Küche bedeutet), von wollüstigen Träumen schreiben sollte, wenn die Liebesglut zur Sprache kam, die dem "jungfräulichen Kind" wie glühendes Eisen durch alle Adern rinnt, daß sie alle anderen Tücher wegwirft und die leichte Bettdecke herabschieben muß!

Schämt euch, ihr Männer, wenn ihr eure Langweile nicht anders töten könnet, als mit Hilfe dieses Clauren, schämt euch, ihr Frauen, wenn ihr Gefallen finden könnet an dieser niedrigen Darstellung eures Geschlechtes, schämt euch, ihr Jünglinge, wenn ihr wahre Liebe in diesem Handbuch der Sinnlichkeit wiederfinden wollet. Errötet, wenn ihr es in seiner Schule nicht verlernt habt, errötet vor euch selbst, ihr Jungfrauen, eure Phantasie mit diesen lüsternen Bildern zu schmücken. Es gibt eine moralische Keuschheit, eine holde, erhabene Jungfräulichkeit der Seele. Man darf darauf rechnen, daß ein Mädchen sie verloren hat, wenn sie Claurens Erzählungen gelesen.

Hauffs Wertung letztere Literaturgattungen ist da - wie für einen Autor des "Gespensterschiffes" nicht anders zu erwarten -etwas weniger streng, ansonsten bläst er in gleiche Horn: (...) wenn es sich um eine gewöhnliche Erscheinung der Literatur handelt, die (...) nach Form und Inhalt den ästhetischen Gesetzen nicht entspricht, (...) kann höchstens die Zeit, die man der Lektüre einer Gespenstergeschichte oder eines ehrlichen Ritterromans widmete, übel angewendet scheinen, oder der Geschmack kann darunter leiden. (...) Wenn aber nachgewiesen werden kann, daß eine Art von Literatur die größtmögliche Verbreitung gewinnt durch Unsittlichkeit, durch Lüsternheit, die das Auge reizt und dem Ohre schmeichelt durch Gemeinheit und unreines Wesen, so ist sie ein Gift, das um so gefährlicher wirkt, als es nicht schnell und offen zu wirken pflegt, sondern allmählich die Phantasie erhitzt, die Kraft der Seele entnervt, den Glauben das wahrhaft Schöne und Edle, Reine und Erhabene schwächt und ein Verderben bereitet, das bedauernswürdiger ist, als eine körperliche Seuche, welche die Blüte der Länder wegrafft..

May drückt es so aus: (Der Leser) wird er ein Sclave zerrüttender erotischer Gefühle, bringt ihnen diejenige Zeit seines Lebens, welche dem energischen Ringen nach einer gesicherten Lebensstellung gewidmet sein sollte, zum Opfer und verschwendet die Kräfte seines Körpers und Geistes in Vergnügungen, die er von der Zukunft erwarten und auch dann nur in den Stunden der Erholung suchen sollte.

Bekanntlich beginnt May seine Streitschrift mit einem Angriff gegen die Privatleihbibliotheken: Aber auch ebenso sehr schädlich ist die Wirkung einer aus schlechten Werken zusammengesetzten und von einer nur den eignen pecuniären Vortheil verfolgenden Hand geleiteten Bibliothek, und wenn wir in dieser Beziehung von unsern großen und öffentlichen Büchersammlungen nur Lobendes zu sagen haben, so lassen dagegen die im Privatbesitze befindlichen Bibliotheken viel, oft sehr viel zu wünschen übrig. Dann zählt er anhand einiger Beispiele auf, was dort so alles aus dem längst verurtheilten Genre der Ritter-, Räuber-, Kloster-, Geister- und Schauderromane entliehen wird: »Der Felsendrache oder das blutende Herz.«, »Mönch und Nonne, oder das gemordete Kind.«, »Sallo Sallini, der große Räuberhauptmann,«, »Schatzkammer ehelicher Geheimnisse. Gedruckt zu Frankfurt 1719« und »Gabello, der schöne Bandit.«

Auch Hauff hatte in seiner Skizze "Die Bücher und die Lesewelt" ähnliches formuliert, wobei er nicht vergißt auch seinen "Lieblingsautor" zu nennen: (..) hier stehen die übrigen Nummern, nach welchem das Herz des Fräuleins verlangt, vergleichen Sie!" / Zürnend nahm ich das Blättchen, auf welchem eine lange Reihe von Zahlen geschrieben waren. Ich fing mit der ersten Nummer an und fand: (...) 1585 der deutsche Alcibiades, 2130 der Geist Erichs von Sickingen und seine Erlösung, 2995 Historien ohne Titel, 1544 der Blutschatz von H. Clauren, 1531-40, Scherz und Ernst von H. Clauren. Ferner zählt Hauff u.a. auch noch ein paar Geister- und Rittergeschichten auf: "Ja, nur etwas recht Schauerliches, das hätte sie gerne, (...) so wie das letzthin, die schwarzen Ruinen oder das unterirdische Gefängnis, das hat uns sehr gut gefallen." (...) "Gut, will Er lieber das Geisterschloß, die Auferstehung im Totengewölbe oder das feurige Racheschwert von Hildebrandt?"
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Ich verlor meine Sache gegen den Teufel, Strafe, Schadensersatz, aller möglicher Unsinn wurde auf mich gewälzt, ich wunderte mich, daß man mich nicht einige Wochen ins Gefängnis sperrte oder gar hängte
[Wilhelm Hauf, Mittheilungen aus den Memoiren des Satan, Zweiter Teil - Vorspiel]

Nach soviel Schund- und Giftliteratur-Kritik sei die Frage erlaubt, wieso "Der Mann im Mond" aber tatsächlich so geschrieben wurde und nicht anders? In seinem Vorwort zur Gesamtausgabe "Sämtliche Werke in sechs Bänden" gibt Rudolf v. Gottschall einige Hinweise: Was diese Parodie betrifft, so ist ihre Entstehungsgeschichte ziemlich dunkel und einer näheren Erklärung geht Gustav Schwab, der Herausgeber der Hauffschen Werke und der Biograph des Dichters, damit aus dem Wege, daß die Geschichte dieses Romanes nicht in seine kurze Biographie gehöre, deutet aber auch an, daß es viele gebe, welche dies Produkt für keine Satire auf H. Clauren halten können. (...) Beim "Mann im Mond" [ist] die Parodie [...] keine durchgängige; die Erzählung nimmt an sich ein Interesse in Anspruch, (...) und ausgeschlossen ist die Annahme, daß sich Hauff (..) an das Pult gesetzt mit der alleinigen festen Absicht, den guten Clauren durch eine spottlustige Nachahmung an den literarischen Pranger zu stellen. Dann aber scheint über der ganzen Angelegenheit ein ungelichtetes Dunkel zu schweben. / Einige Aufhellung gibt eine Bemerkung von Karl Gutzkow, der seinerzeit als literarischer Adjutant und Hilfsarbeiter Wolfgang Menzels (...) in Stuttgart verweilte; Menzel erzählte ihm, der junge Hauff habe vor der Veröffentlichung des "Mann im Monde" ihm zur Veröffentlichung ein Manuskript vorgelegt, welches im wesentlichen mit dieser Erzählung identisch sei. Menzel habe ihm vor dem Abwege gewarnt, auf dem er geraten sei; die Erzählung könne höchstens als eine Parodie der Claurenschen Memoiren verwertet werden, bedürfe dann aber in mehrfacher Hinsicht einer Umarbeitung - und dazu habe sich Hauff entschlossen. Aus diesen Mitteilungen können wir uns schon eher einen Vers machen.

Der "Vers", den sich Gottschall allerdings macht, ist freilich auch recht wohlwollend geraten:: Nun erst wurden die Äußerlichkeiten der Claurenschen Manier in sie hinein gearbeitet, die zahlreichen Diminutive, die Weinerlichkeiten, in dem den tapfersten Männer fortwähend die Tränen in den Bart rollen, die lüsternen Personalbeschreibungen der Schönen mit den Ringellöckchen und den Schwanenbusen, (...) - kurz, die ganze Geschichte wurde tätowiert und ihr der Claurensche Farbstoff nachträglich eingewoben. So behielt sie ein zwiespältiges Ansehen, welches den Kommentatoren große Schwierigkeiten bereitete.

Diese Theorie einer drastischen Selbstinterpolation ist, so scheint mir, dann doch eine allzu freundliche Interpretation. Wie sollte Menzel aus einer von Claurenschen Farbstoff noch ungetrübten Urfassung die Idee ableiten, daß sich Hauff auf Abwegen befände, daß er aus der Erzählung allenfalls eine Clauren-Parodie machen könnte? Dazu hätten in der Urfassung doch eigentlich schon einige für Clauren-Erzählungen typische Charakteristika enthalten sein müssen. Man mag gerne glauben, daß Ausdrücke wie Purpurbarrieren, brand-brand-brand-raben-raben-kohlen-tinten-schwarzen, Samtpatschchen, Amorettenköpfchen, wundergrazienhübsch, usw. nachträgliche von Hauff eingefügte ironische Übertreibungen sind, daß er deshalb aber unter Seelenschmerzen all die sogenannten "Unsittlichkeiten" in eine ehemals keusche Erzählung eingefügt habe, erscheint dann doch mehr als zweifelhaft. Dazu ist die Erzählung dann doch allzusehr aus einen Guß geraten, entspricht die Leichtigkeit der Handlung der leichten Hand, mit der die Reize geschildert werden. Zudem hat Hauff an anderer Stelle - wenn auch in weit geringeren Umfang - durchaus gleichartige Formulierungen gebraucht:

Der Professor hatte, in tiefe Gedanken versunken, eine Zeitlang geschwiegen; er erhob jetzt sein Auge durch die Brille an die decke des Zimmers, wo allerlei Engelein in Gips aufgetragen waren, "Himmel," seufzte er, "und die Thingen hat er auch. Sie glauben nicht, welcher Reiz in dem ewig heiteren Auge, in diesen Grübchen auf den blühenden Wangen, in dem Schmelz ihrer Zähne; in diesen frischen, zum Kuß geöffneten Lippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden, vollen Formen der schwellenden -" [Mittheilungen aus den Memoiren des Satan, Erster Teil - 3. Kapitel]

Je näher diese kam, desto röter färbten sich die Wangen des Mädchens, das rote Mieder hob und senkte sich ungestüm, und das pochende Herz schien die silbernen Ketten, womit es eingeschnürt war, zersprengen zu wollen. Sie sah Marien fest und durchdringend an, die hohe Schönheit der jungen Braut schien sie zu überraschen, ein wehmütiges Lächeln zuckte um ihren kleinen Mund. (...) / Die runde Frau blickte noch immer staunend den schönen geputzten Stadtjungfern nach, welche mit ihren brokatenen Hauben und goldgestickten Miedern, mit ihren feinen langen Röcken, an welchen man nur um den Hals und Busen das Zeug allzusehr gespart zu haben schien, in der Bauersfrau mächtige Sehnsucht nach solcher Pracht und Herrlichkeit erweckt hatten. [Lichtenstein - 31. Kapitel]

Das er in den nachfolgenden Schriften derartiges vermied, dürfte wohl eher zwei andere Gründe gehabt haben. In den literarischen Kreisen, in denen er dann verkehrte, galt dergleichen nicht als sittsam, und außerdem heiratete er 1827, was seine Einstellung zur literarischen Ausstellung weiblicher Reize wohl nachdrücklich veränderte: Ich bin ein Mann und erröte, erröte darüber, daß ein Mann aus der sogenannten guten Gesellschaft die sittenlose Frechheit hat, alljährlich ein ausführliches Verzeichnis von den Reizen drucken zu lassen, die er bei seinem Weibe fand! [Kontroverspredigt]

Übrigens verzichtete Hauff auch in der Folge keineswegs gänzlich auf die Beschreibung weiblicher Züge; die sittlichen Beurteilung einer Erzählung scheint dabei - überspitzt formuliert - von der Erwähnung des Busens abzuhängen: Mit Busen unsittlich, ohne Busen sittsam. Dergleichen kennt man ja auch von Karl May, wobei diesem in die "Fehsenfeld"-Ausgabe doch tatsächlich ein "Busen" mittels des "Krumir" hineingeschlüpft ist - da diese Erzählung, da sie ausnahmsweise nicht für den "Hausschatz" oder gar für einen Marienkalender geschrieben wurde, nicht einem engen katholischen Moralkodex unterworfen war. in den Nachkriegsausgaben haben die Bamberger dieses sittliche Manko natürlich behutsam abgesäbelt. So würde auch bei den folgenden Hauff-Zitaten in den Charakterisierungen ein Nebensatz, der die Büste der Mädchen erwähnt, ausreichen - und schwupps - gäbe es kaum noch einen Unterschied mehr zu dem "Mädchen im Mond":

Entzückt und mit leuchtenden Blicken betrachtete der junge Mann das schöne Mädchen. Man konnte ihr Gesicht die Vollendung orientalischer Züge nennen. Dieses Ebenmaß in den feingeschnittenen Zügen, diese wundervollen blauen Augen, beschattet von langen, seidenen Wimpern, diese kühn gewölbten, glänzend schwarzen Braunen und die dunklen Locken, die in so angenehmem Kontrast um die weiße Stirne und den schönen Hals fielen, und den Vereinigungspunkt dieser lieblichen Züge, zarte rote Lippen und die zierlichen weißen Zähne noch mehr hervorhoben; der Turban, der sich durch ihre Locken schlang, die reichen perlen, die den Hals umspielten, das reizende und doch so züchtige Kostüm einer türkischen Dame - sie wirkten, verbunden mit diesen Zügen, eine solche Täuschung, daß der junge Mann eine jener herrlichen Erscheinungen zu sehen glaubte, wie sie Tasso beschrieb, wie sie die ergriffene Phantasie der Reisenden nach ihrer Heimkehr malte. [Jud Süß - IV.]

Sie hatte tiefen wunderbaren Eindruck auf ihn gemacht. Das reiche blonde Haar, das um eine freie Stirn fiel, ließ blaue Augen, rote Wangen, vielleicht auch ein Näschen erwarten, das durch seine Keckheit Blondinen mehr als Brünetten ziert. Aber von diesem allem nichts. Unter den blonden Wimpern ruhte wie das Mondlicht hinter dünnen Wolken ein braunes Auge, das nicht durch Glut oder große Lebendigkeit, sondern durch ein gewisses Etwas von sinnender Schwermut überraschte, das Fröben bei schönen Frauen, so selten er es fand, so unendlich liebte. Ihre Nase näherte sich dem griechischem Stamm, die Wangen waren gewöhnlich bleich, nur von einem leisen Schatten von Rot unterlaufen, und das einzige, was in ihrem Gesichtchen blühte, waren satt der Rosen der Wangen die Lippen, bei deren Gedanken man sich des Gedankens an zarte, rote Kirschen nicht erwehren konnte. [Die Bettlerin von Pont des Arts - 11. Kapitel]

Selbst wenn eine Erzählung wie Hauffs "Die Sängerin" davon handelt, wie ein Mädchen von ihrem Stiefvater in ein Freudenhaus verkauft wird, so scheint dies keinerlei Grund zu sein, daß der Autor davon seelische Schmerzen erleidet hätte, denn natürlich schildert er nicht das Treiben in dem Etablissement und errettet das Mädchen - noch bevor es zu einer unsittlichen Berührung kommt - auch gleich aus ihrem Schicksal und läßt sie stattdessen durch einen reichen Mäzen zur Sängerin auszubilden - - Wat denn, wat denn - May, du "Verlorner Sohn" - ick hör' dir auf dem "Weg zum Glück" trapsen ;-)
Thomas Schwettmann

Wilhelm Hauff & Karl May

Beitrag von Thomas Schwettmann »

»Auf der Alm, ja - Auf der Alm, ja - Auf der Alm, da giebt's ka Sünd!«
[Karl May: Der Weg zum Glück, 1. Kapitel: Auf der Alm]

Witzigerweise paßt übrigens manches, was Wilhelm Hauff in seiner "Kontroverspredigt" exemplarisch an Claurens Erzählung "Mimili, eine Schweizergeschichte." vorführt, um den Leser die Minderwertigkeit derartiger Literatur zu beweisen, auch auf Mays Opus "Der Weg zum Glück": Dann einen Krieger neuerer Zeit mit schlanker Taille von acht Zollen, etwas bleich (er hat den Freiheitskrieg mitgemacht), das eiserne Kreuz im Knopfloch etc. Das ist der Held des Stückes. Eine Interessante Figur! Nämlich F i g u r als wirklicher Körper genommen, mit Armen, Taille, Beinen etc. und i n t e r e s s a n t, nicht wegen des Charakters, sondern weil er etwas bleich ist, ein eisernes Kreuz trägt und so ein Ding von einem preußischen Hausaren war.

Der Weg zum Glück: Ich bin der Herr Ludwig Held, ehrenvoll verabschiedeter und mit dem eisernen Kreuz ausgezeichneter bayrischer Unteroffizier.

Hauff, Kontroverspredikt: Neben diesem Helden kommt ein frisches, rundes "Dingelchen" zu stehen, mit kurzen Röckchen, schönen Zwickelstrümpfen etc. Kurz das Inventarium ihres Körpers und ihres Anzuges könnt ihr selbst nachlesen oder habt es leider im Kopfe.

Der Weg zum Glück: (Leni) Das kurze, aus roth und blau gestreiftem Zeuge gefertigte und unten mit einer breiten Kante versehene Röckchen reichte nur Wenig über das Knie herab und gab die drallen, von schneeweißen Zwickelstrümpfen umschlossenen Waden frei.

Hauff, Kontroverspredikt: Das Schweizerkind, die Mimili, ist nun so natürlich als möglich; d. h. sie geniert sich nicht, in Gegenwart des Kriegers das Busentuch zu lüften und ihn den Schnee und dergleichen sehen zu lassen, daß im "angst und bange" wird.

Der Weg zum Glück: Er brauchte nur den Blick zu senken, so fand er Halt an dem üppig vollen Busen, welcher den Stoff des Kleides zu zersprengen drohte.

May baute freilich die sittliche Selbstkritik á la Hauff in Form des gestrengen Österreicher Anton praktischerweise gleich mit ein: Sie ist schön, unendlich schön, wie ich es nie gedacht und geträumt habe, aber sie ist verloren, für mich und auch überhaupt - sie zeigt ihren Busen und ihre Arme. Hol sie der Teuxel!

Ferner wird allenfalls der "freizügigen" Muhrenleni gegenüber ihren sittenstrengen Toni "angst und bange", da dieser in der Welt der Bühne ein Sündenpfuhl ohne gleichen vermutet : Leni wurde angst und bange. »Anton, Anton!« sagte sie. »Sprich nicht so, nur nicht so! Ich hab Dich ja lieb, ich laß nicht von Dir, ich bleib Dir treu, so lang ich leb!« / »Du hast mich lieb und gehst von mir? Du bist mir treu und willst auf das Theater?«

Und mit dem Busentuch treibt May lieber seinen Schabernack ...: Sie griff nieder, nahm blitzschnell eine große Kröte empor und schob sie der Käthe unter das Busentuch. Diese brüllte, als ob sie am Spieße steckte und rannte hinaus.

Auf dem Punkt stimmt nun wieder dieses Anmerkung aus Hauffs "Kontroverspredikt": Einiger Schweizerdialekt ist auch eingemischt, der nun freilich im Munde Claurens etwas unnatürlich klingt. Denn da sind sich alle Mayster-Leser einig, das Bayrische und Österreichische im "Weg zum Glück" ist auch nicht gerade der besten "Ja May, gib's denn dös"-Schule entsprungen.

Wie dem auch sein mag, auf dem Weg zum Verständnis von Mays Kolportageromanen, sollte man vielleicht mal die Spur Clauren und seiner "Vergißmeinnicht"-Bücher aufnehmen, nachforschen, was diesen und verwandten Schriften nachempfunden ist, ob etwa die Göttinnen-Vergleiche dort auch schon zu lesen oder ein zusätzliche Erfindung Hauffs waren. Darüber hinaus wäre auch zu fragen, ob May über Hauffs Märchen hinaus vielleicht auch dessen Novellen, speziell auch den "Mann im Mond" und vielleicht gar noch - was in Bezug auf "Ein wohlgemeintes Wort" nicht uninteressant wäre, die "Kontroverspredigt" gekannt haben könnte.
gavagai
Beiträge: 14
Registriert: 13.5.2004, 22:22
Wohnort: Wasserburg am Inn
Kontaktdaten:

Ich suche seit Jahrzehnten den Ursprung einer Seeräubergesch

Beitrag von gavagai »

Lieber Thomas,
deine ausführlichen Vergleiche lassen mich hoffen, dass du mir hier weiterhelfen kannst:
Ich suche seit Jahrzehnten den Ursprung einer Seeräubergeschichte
http://www.gavagai.de/schule/HHA02.htm
Ich bin für jeden Tipp dankbar.
Servus, tschau, bye
Herbert
Thomas Schwettmann

Re: Ich suche seit Jahrzehnten den Ursprung einer Seeräuberg

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Hallo Herbert!

So auf Anhieb fällt mir dazu nichts ein, aber vielleicht wäre es ganz hilfreich, wenn du sagen könntest, woher du die Geschichte kennst. Deiner Beschreibung nach scheint es ja eher ein Sammelsurium aus Motiven verschiedener Erzählungenzu sein. Hast du tatsächlich mal eine solche Geschichte gelesen oder war das z.B. ein Radiohörspiel, sodaß man dort vielleicht einfach nur die von dir schon gefundenen Versatzstücke zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt war. Oder falls es doch ein gedruckter Text war: war es dann vielleicht ein spezielles Kinderbuch oder doch ein arabisches Märchen? Neben den Erzählungen aus 1001 Nacht gibt es ja noch eine Menge anderer Märchen, z.B: die Sammlung "1001 Tag", und ich habe nicht mal die Geschichten aus "1001 Nacht" alle im Kopf.

Viele Grüße
Thomas
gavagai
Beiträge: 14
Registriert: 13.5.2004, 22:22
Wohnort: Wasserburg am Inn
Kontaktdaten:

Re: Ich suche seit Jahrzehnten den Ursprung einer Seeräuberg

Beitrag von gavagai »

Danke Thomas für die schnelle Antwort,
1001 Nacht habe ich ca. 1971-72 in der (waren es 5?) mehrbändigen Inselausgabe gelesen. Die Geschichte war nicht dabei.
Ich war von Juli 1951- August 1953 in einer Kinderklinik, mehrere Buben in Schlafsälen. Da erzählte uns ein junger Arzt am Abend die gesuchte Geschichte in Fortsetzungen. Ich folgerte später, dass sie nicht ganz frei erfunden sein kann, da (ich war lang genug dort) ich sie mehrfach hörte. Damals war ich aber zu unbeholfen, vielleicht auch zu unneugierig, um nachzufragen.
Das Tragische: ich habe irgendwann um 1990 den Arzt noch telefonisch in München erreicht. Allerdings im Altersheim und er zeigte keine Auskunftsbereitschaft bzw. erinnerte sich nicht, war (Ich vermute mal) schon geistig nicht mehr auf der Höhe.
Servus, tschau, bye
Herbert
Thomas Schwettmann

Re: Ich suche seit Jahrzehnten den Ursprung einer Seeräuberg

Beitrag von Thomas Schwettmann »

gavagai hat geschrieben:Da erzählte uns ein junger Arzt am Abend die gesuchte Geschichte in Fortsetzungen. Ich folgerte später, dass sie nicht ganz frei erfunden sein kann, da (ich war lang genug dort) ich sie mehrfach hörte.
Ich nehme an, der Arzt erzählte seine Geschichte frei aus dem Gedächtnis? Möglicherweise auch nicht zum erstenmal, deshalb hatte er auch sicherlich schon Routine dabei. Das riecht mir nun tatsächlich nun danach, daß der Arzt einfach nur in seinen Worten genau die Erzählungen vorgetragen hat, die du bereits recherchiert hast und vielleicht hier und da noch etwas dazuerfunden hat, um etwa die Übergänge vom "Gespensterschiff" zum "Serail" zu glätten.

Denn gerade Hauffs Märchen vom "Gespensterschiff" lädt dazu ein, etwas hinzu zu erfinden, da Hauff hier, wie häufiger bei seinen Märchen, Handlung und Dialoge nur skizziert hat. Wenn man daraus etwa ein Hörspiel machen will, so ist man geradezu gezwungen, sich zusätzlich etwas auszudenken. Ein schönes Beispiel ist da etwa die EUROPA-Aufnahme.

Andererseits gab und gibt es sicherlich auch Kinderbücher, in denen derartige Geschichten und Märchen bearbeitet und/oder gar neu zusammengestellt wurden/werden, dieser Tradition begegnet man ja beispielsweise auch bei Erich Kästner und James Krüss. Es wäe also durchaus möglich, daß sich dein Arzt tatsächlich auf eine Buchvorlage gestützt hat.

Mein Tip wäre jedenfalls, in dieser Richtung weiter zu forschen, deiner Beschreibung nach ist mir die Erzählung jedenfalls zu nahe an Hauffs Märchen und Mozarts Oper dran, als daß es sich hier um eine eigenständige, unabhängige Seeräubergeschichte handeln könnte. Du solltest aber auch damit rechnen, daß die Geschichte ein eigenständige "Bearbeitung" des Arztes gewesen sein könnte, und du somit vielleicht gar keine genaueren Textquellen finden wirst.

Viele Grüße
Thomas
Antworten