Noch eine Taverne

Hermann Wohlgschaft
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Da in diesem Thread wiederholt von der Liebe des Vaters zu seinen Kindern die Rede war, möchte ich mir die Anfrage erlauben: Könnte nicht auch die väterliche oder mütterliche Liebe einen möglichen Zugang zur Hoffnung auf ein, wie auch immer geartetes, Leben nach dem Tode erschließen?

Fast zeitgleich mit Joseph von Eichendorffs Zyklus ›Auf meines Kindes Tod‹ entstanden die ›Kindertotenlieder‹ des Orientalisten, Übersetzers und Lyrikers Friedrich Rückert (1788 – 1866). Wie Eichendorff hatte er den Tod von Kleinkindern zu beklagen: Ernst und Luise starben, um die Jahreswende 1833/34, im Alter von fünf bzw. drei Jahren. Friedrich Rückert hat diesen Schicksalsschlag – so Hans Wollschläger – »nie verwunden. Er versuchte seiner Untröstlichkeit Herr zu werden, wie er es immer getan hatte: schreibend, das Unsägliche in die Sagbarkeit überführend, es bändigend in Form.«

Anders – oder offensichtlicher – als Eichendorff war Rückert, jahre- oder jahrzehntelang, der Verzweiflung sehr nahe. Er musste durch die ›Hölle‹ hindurch. Allein vom Januar bis zum Sommer 1834 brachte er täglich bis zu vier Gedichte, die ›Kindertotenlieder‹, zu Papier, fast ein halbes Tausend insgesamt: Texte, in denen Wollschläger »die größte Totenklage der Weltliteratur (…), eine Verlustmeldung und Todesanzeige von gewaltigster Dimension« gesehen hat.

Einige dieser Gedichte wurden später von Gustav Mahler vertont, darunter das folgende:

Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen,
Bald werden sie wieder nach Haus gelangen,
Der Tag ist schön, o sei nicht bang,
Sie machen nur einen weitern Gang.

Ja wohl, sie sind nur ausgegangen,
Und werden jetzt nach Haus gelangen,
O sei nicht bang, der Tag ist schön,
Sie machen den Gang zu jenen Höhn.
Sie sind uns nur voraus gegangen

Und werden nicht hier nach Haus verlangen;
Wir holen sie ein auf jenen Höhn
Im Sonnenschein, der Tag ist schön.

In DIESEM Gedicht hat Rückert das Dunkel überwunden: Wenn die Toten uns nur »voraus gegangen« sind, jenen göttlichen Höhen entgegen, auf denen wir sie, nach dem eigenen Tod, »einholen« werden »im Sonnenschein« – DANN müssen die Trauer und der Schmerz nicht mehr tödlich sein, DANN können die Tage wieder schön werden, DANN können wir uns dem Leben, hier und jetzt, wieder zuwenden.

Wie Eichendorff war Rückert ein überzeugter Christ, der den Glauben an ein persönliches Sich-wieder-finden jenseits der Todesgrenze nicht aufgab. So blieb er in seinem Schmerz nicht ungetröstet, auch nicht beim Tod seiner Ehefrau Anna-Luise. Als sie 1857 verschied, schrieb der Dichter einen Nachruf, der mit den Versen beginnt:

Alle deine Wunden
Sind Dir nun verbunden,
Alle deine Schmerzen
Sind Dir nun gestillt.

Friedrich Rückert machte sich fest im Glauben. Er vertraute darauf: ›Drüben‹, auf der anderen Seite der Wirklichkeit, werden auch SEINE Wunden geheilt sein und wird er seine Frau und seine Kinder wiedersehen.
Thomas Math
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Thomas Math »

Niemand der es nichts selbsterfahren hat,kann die Gefuehle und das Leid nachvollziehen das dem Verlust eines Kindes folgt.
Das Rueckert,den ich nicht kenne so gelitten hat, macht ihn fuer mich sympatisch und ich werde die "Kindertotenlieder" lesen.
Doch gerade auch solch ein Unglueck bestaerkt mich in der Meinung das es keinen Gott gibt.
Menschen brauchen Trost und Zuspruch und Religion erfuehlt diesen Anspruch.Ich habe hoechsten Respekt vor guten Seelsorgern,weil sie manchen Menschen helfen, Leid zu ertragen.

Ich will ihren Glauben Herr Wohlgschaft nicht kritisieren,ich kann ihn nur nicht verstehen und nochvollziehen.
Zwockel

Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Zwockel »

Nachdem nunmehr bekannt ist, was die katholische Kirche mit ihren Schutzbefohlenen sich in den letzten Jahrzehnten erlaubt hat, hat das Thema Kirche ihre Erledigung gefunden. Die evangelische Kirche ist nicht viel besser. Hier gab es massive Zwangsarbeit mit Prügel usw..
Helmut Prodinger
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Helmut Prodinger »

Verstorbene Kinder sind ein tragischer Fall.

Bernadette Keaggy verlor ihre ersten 5. Ihr Mann Phil, ein Christ, ist ein hervorragender Gitarrist. Den Leidensbericht kann frau bei Amazon bestellen.

Ich habe viele seiner Alben, und auch solche von Second Chapter of Acts, obwohl die Texte der Lieder sehr extrem christlich sind. Aber die Musik bringt es doch.

Herr Dr Math wird ja die starke musikalische Richtung der contemporary christian music in den Staaten kennen. Petra und Greg Volz sind da auch zu nennen.

Mir koennen die Kinder nicht wegsterben --- ich hab erstmal gar keine. Bin froh darob!

Da Eichendorff erwaehnt ward: sehr interessant, was Juristenkollege Rosendorfer ueber ihn schrieb.
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Helmut
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Helmut »

Lieber Thomas (Math),

mal so ganz unter uns Naturwissenschaftlern (ich will jetzt ausnahmsweise mal die Medizin und die Mathematik darunter subsummieren); wir halten uns ja immer zu gute, dass wir mittlerweile fast vollständig wissen "was die Welt im innersten zusammenhhält", wir wissen, wann diese Welt entstanden ist und wie, nämlich durch den Urknall. Und wir wissen durch welche Zufälligkeiten Leben, auch menschliches entstanden sein könnte und entstanden ist.
Aber sind wir doch jetzt mal ganz, ganz ehrlich, wissen wir beide das wirklich alles so genau?
Ist denn irgend ein Mensch, und sei er noch so genial, wirklich in der Lage, das alles, was i.w. durch die Naturwissenschaften in den letzten Jahren so alles aufgedeckt wurde, auch nur annähernd nachzuvollziehen?
Ich sage, da ganz einfach "nein". Es ist in Wirklichkeit so, dass wir beide (wie auch die anderen alle) darüber vielleicht in der einen oder anderen wissenschaftlichen Zeitschrift darüber nachgelesen haben, aber wirklich und wahrhaftig dies alles zur Gänze nachzuvollziehen, dazu ist wohl kein Mensch mehr in der Lage.
Einiges davon sicher schon und noch einiges andere auf Plausibilität nachprüfen, das geht wohl noch einigermaßen.
Und für den großen Rest da bleibt dann einfach nur Vertrauen in die (natur-)wissenschaftliche Gemeinschaft, die es offenbar bisher zumindest immer geschafft haben, falsche Erkenntnisse auszusortieren und zu verwerfen.

Und da sind wir jetzt bei dem Punkt, auf den ich hinsteuere. Wir setzen also bei unserem "Verständnis" dessen "was die Welt im Innersten zusammenhält" im wesentlichen (das bißchen, was wir wirklich selbst wissen, oder nachvollzogen haben, können wir vernachlässigen) auf Vertrauen in die (natur-)wissenschaftliche Gemeinschaft.
Und jetzt könnte ich elegant den Bogen ziehen, der da heißt "die einen sagen Vertrauen, die anderen Glauben".
(Vielleicht erinnerst Du dich noch an meinen Ausspruch vor einigen Tagen "die einen glauben an Gott, die anderen ans Zorn'sche Lemma.)
qed

Helmut
Thomas Math
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Thomas Math »

Das hast Du jetzt sehr schoen formuliert.
Wobei ich einwenden muss,dass die Naturwissenschaft,wenn eine Theorie widerlegt wird,diese aufgibt und erstmal nicht verlangt das man etwas glaubt sondern kritisch hinterfragt und Ergebnisse ,die in einem Labor erzielt wurden in einem anderen dupliziert werden koennen.
In der Wissenschaft gilt Vertrauen ist gut ,Kontrolle ist nicht nur besser sondern notwendig.
Ausserdem nimmt die Naturwissenschaft im Gegensatz zur Religion meist keinen moralischen Einfluss auf Politik .Im Gegenteil gerade die dt.Bevoelkerung (von den antiintellektuellen Amerikanern will ich erst gar nicht reden)ist oft geradezu wissenschaftsfeindlich.
Naturwissenschaft koennte zwar behaupten das Jesus auferstanden ist,aber das wuerde dann zu duplizieren versucht und voila diese These wuerde verworfen.
Desweiteren folgt die Naturwissenschaft den Naturgesetzen,die tausendfach bewiesen wurden,Religion setzt ein Wesen voraus, das selbst diesen Gesetzen nicht unterliegt und an das als Grundvoraussetzung erstmal geglaubt werden muss.Nicht nur das, viele Religionen verlangen bedingungslosen Glauben an Gott um das versprochene Heil zu erlangen.
Das widerspricht einfach meinem Verstand.Wie waer es dann einfach mal mit einem Zeichen ?Sagen wir mal Abschaffung der weltweit viel zu hohen Saeuglingssterblichkeit ?
Nein dazu ist dieser imaginaere Gott entweder zu beschaeftigt,zu zynisch oder der boese Mensch mit seinem freien Willen ist schuld.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Mit Eltern, die den Tod eines Kindes betrauern, komme ich als Seelsorger relativ oft in Kontakt. Schon während der Studienjahre war ich regelmäßig bei Hermann E., meinem früheren Latein- und Griechischlehrer, eingeladen. Im Jahre 1966 hatte er durch einen Verkehrsunfall seinen 26-jährigen Sohn Michael verloren. Infolge meines Kondolenzbriefes entstand eine Verbindung, die bis zum Lebensende des Lehrers intakt blieb.

Der spätere Hochschulprofessor E., ein anerkannter Platon- und Augustinus-Übersetzer, war seinem Wesen nach ein ausgesprochen fröhlicher, durch und durch humorvoller Mensch. Doch der Tod des Sohnes brachte eine radikale Zäsur. Das Denken des Professors kreiste fortan um den EINEN Fragekomplex: Warum das viele Leid in der Welt? Wie kann ein gütiger, allmächtiger Gott dies zulassen? Gibt es vielleicht ein Weiterleben nach dem Tod? Wo ist Michael? Werde ich ihn wiedersehen? Bei jedem meiner abendlichen Besuche ging es vornehmlich um diesen Themenkreis.

Auch weiterhin, bis zum heutigen Tag, blieb ich beruflich und persönlich mit diesen Themen konfrontiert. Seit 2003 begleite ich sporadisch, im Rahmen der Klinikseelsorge, eine Selbsthilfegruppe von Eltern, die ein Kind verloren haben.

Bei der Vorbereitung eines Gedenkgottesdienstes mit den verwaisten Eltern lieh mir eine Mutter den Sammelband ›Requiem für ein Kind. Trauer und Trost berühmter Eltern‹ (2001). Dieses von Joseph Groben, einem Literaturwissenschaftler, verfasste Buch erläutert die Trauerarbeit von politisch Mächtigen, von erlesenen Dichtern und Künstlern, von bekannten Komponisten, Philosophen oder Naturwissenschaftlern sowie deren Lebenspartnern oder Geliebten.

Sie alle haben ein Kind – oder mehrere Kinder – verloren: Robert und Clara Schumann, Charles und Catherine Dickens, Giuseppe und Margherita Verdi, Karl und Jenny Marx, Antonin und Anna Dvorak, Sigmund und Martha Freud, Käthe und Karl Kollwitz, Hugo und Gertrud von Hofmannsthal, Thomas und Katja Mann. Eine Liste, die sich beliebig verlängern ließe …

»Im UNICEF-Bericht von 2001 liest man, dass im Jahr 1998 weltweit 1.129.697 Kinder unter 15 Jahren allein durch Unfälle und Krieg umgekommen sind. Hinter dieser Zahl verbirgt sich ein Abgrund menschlicher Tragödien. Wie der Bericht ausführt, übersteigt die wahre Tragik dieser Verluste jegliches Maß (…).«

In achtundzwanzig Essays wird durch Groben dokumentiert, wie die oben genannten Paare – und viele andere Prominente – ihre Trauer zu ›bewältigen‹ versuchten: als gläubige Christen wie Dvorak und Hofmannsthal oder als überzeugte Atheisten wie Marx und Freud.

Eines der Beispiele aus Grobens Anthologie ist das Ehepaar Pasteur. Der französische Biologe Louis Pasteur (1822 – 1895) hat die Grundlagen der Mikrobiologie und der Sterilisierung geschaffen. Durch seine Forschungsarbeiten hat er unzähligen Menschen das Leben gerettet. Pasteur war sehr glücklich verheiratet und hatte mit seiner Gattin Marie einen Sohn und vier Töchter. Im Jahre 1859 aber schlug das Schicksal zu. Seinem Sohn Jean-Baptiste übermittelte Pasteur die Nachricht, dass das neunjährige Schwesterchen Jeanne gestorben sei, »dieser liebe Engel, der soeben in den Himmel gegangen ist, um bei Gott für uns zu beten«. Den Tod von zwei weiteren Töchtern, Camille und Cécile, mussten die Eltern in den Jahren 1865 und 1866 betrauern.

Pasteur, der zu den großen Wohltätern der Menschheit gehört und ein tiefgläubiger Katholik war, schrieb zwei Tage vor dem Tode Céciles in äußerster Seelennot: »Sie werden also eines nach dem andern dahinsterben, unsere lieben Kinder. Meine arme Cécile, die ich so liebhatte, und ihr, die ihr schon weg seid und sie zu euch ruft. Auch ich, ich sehne mich danach, mich mit euch wieder zu vereinigen, meine lieben Kinder (…). Ich wäre so gerne, so gerne bei dir, meine liebe Cécile. Ach, wenn du noch kannst, bleibe, bleibe bei uns …«

Louis und Marie Pasteur bewahrten sich den Glauben an ein anderes Leben im Himmel – und an das Wiedersehen mit den Toten in der kommenden Welt. Pasteur liebte Gott, seine Frau, seine Kinder, die Menschheit. Ihm war, trotz aller Leiden, ein erfülltes Leben beschieden und am Ende ein bewusstes Sterben. Die letzten Stunden vor Eintritt des Todes lag er – nach Groben – »wie gelähmt, die eine Hand ruhte in der Hand seiner Frau, die andere hielt ein Kruzifix«.

Als Übergang ins neue, ins größere Leben verstanden Marie und Louis Pasteur das Sterben. Nicht weniger bewegend ist das Glaubenszeugnis des tschechischen Komponisten Antonin Dvorak (1841 – 1904). Zunächst wurde er durch leichtere Stücke wie ›Slawische Tänze‹ bekannt. Der internationale Durchbruch aber gelang ihm mit der Vertonung des ›Stabat Mater‹, das – so Joseph Groben – »zu den ergreifendsten geistlichen Werken der Musikliteratur zählt. Das Chorwerk entstand als Niederschlag der schmerzlichsten Erlebnisse des Musikers: innerhalb kurzer Zeit verlor Dvorak seine drei ältesten Kinder.«

Dvorak und seine Ehefrau Anna hatten neun Kinder. 1875 wurde die erste Tochter, Josefa, geboren; sie starb nach wenigen Tagen. Unter dem Eindruck dieses Verlustes skizzierte der Vater sein ›Stabat Mater‹. Die Ausarbeitung ließ er noch ruhen – bis nach zwei Jahren, 1877, die kleine Ruzena und das dreijährige Söhnchen Otakar starben.

Antonin Dvorak fand Zuflucht im Gottesglauben, in der katholischen Marien-Mystik, in der christlichen Hoffnung auf »des Himmels Seligkeit« (wie es im ›Stabat Mater‹ heißt). Was ihn mitten im Schmerz beflügelte, war die Hoffnung auf das »ewige Leben« in Gemeinschaft mit Gott und den geliebten Verstorbenen.

Die mittelalterliche Sequenz über die ›Mater dolorosa‹, die Schmerzensmutter unter dem Kreuz, schien dem Komponisten die eigene Not – und die eigene Hoffnung – am ehesten auszudrücken. Er versenkte sich in die Strophen, die wohl ebenfalls einem persönlichen Schmerz entsprungen waren.

Der Textdichter, nach alter Überlieferung der italienische Lyriker Jacopone da Todi (ca. 1230 – 1306), war nach dem Hinscheiden seiner Gemahlin als Laienbruder in den Bettelorden der Franziskaner eingetreten. Dort hatte Jacopone (nach anderen Quellen: der Kirchenlehrer Bonaventura) für das Fest der ›Sieben Schmerzen Mariä‹ seine berühmten Strophen (»Christi Mutter stand mit Schmerzen«) verfasst, deren eigenartige Poesie so manche Komponisten inspirierte, etwa – längst vor Dvorak – Giovanni Pergolesi, Joseph Haydn und Gioachino Rossini.

Unmittelbar nach dem Tode der Kinder Ruzena und Otakar vollendete Dvorak sein ›Stabat Mater‹ in Prag. Dieses Oratorium, ein ebenbürtiges Werk neben Beethovens ›Missa solemnis‹ und Brahms’ ›Deutschem Requiem‹, setzte – nach Groben – »alles weit in den Schatten, was Dvorak bisher geschaffen hatte. Die Echtheit seines Schmerzes verlieh dem Werk eine Tiefe des Ausdrucks (…), die in dieser Intensität bei ihm noch nicht aufgetreten« war.

Thomas Math hat nun wiederholt das »Theodizeeproblem« angesprochen, also die Frage nach der Vereinbarkeit der Existenz eines allmächtigen und liebenden Gottes mit der Realität des oft unsäglichen Leidens in der Welt. Für Th. M. ist diese Frage natürlich längst erledigt, weil er den Glauben an Gott ja strikt ablehnt. Für Menschen, die sich – TROTZ der Theodizeefrage – für den Gottesglauben entschieden haben, bleibt das Theodizeeproblem aber bestehen. In einem meiner nächsten Beiträge möchte ich versuchen, dazu etwas zu sagen.
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rodger
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von rodger »

Thomas Math hat geschrieben:Religion setzt ein Wesen voraus, das selbst diesen Gesetzen nicht unterliegt
Selbstverständlich. Der Läufer auf dem Schachbrett "denkt" auch, jenseits seiner 64 bzw. (beim Läufer, der kann nur Schwarz oder Weiß ...) 32 wäre die Welt zu Ende, er kennt außer sich selber noch die anderen Erscheinungen,Türme, Springer usw., weiß, wie sie ziehen, anders als er zwar aber wissenschaftlich klar definier- und überschaubar, alles klaren Regeln unterworfen, und ist der Meinung, darüber hinaus gäbe es nichts. Aber dem ist nicht so ...
Thomas Math hat geschrieben:Wie waer es dann einfach mal mit einem Zeichen ?
Das könnte uns so passen ... Nein, so einfach macht er oder es es uns nicht. (Ggf. gibt's gelegentlich vielleicht mal 'ne Ausnahme ... [Luthers Blitz oder sowas in der Art] aber auch dann kann man natürlich noch sagen, Zufall, alles rational erklärbar usw. ...) Wo blieben Zweifel und Vertrauen, wenn's so einfach wär' ...
Thomas Math hat geschrieben:Nein dazu ist dieser imaginaere Gott entweder zu beschaeftigt,zu zynisch oder der boese Mensch mit seinem freien Willen ist schuld.
Gott, wer oder was auch immer das sein mag, ist halt nicht so wie man ihn vielleicht gern hätte ... Die Schöpfung ist auch grausam, keine Frage (nicht nur, aber auch ...) Wir können das nicht mit albernen weltlichen, menschlichen Maßstäben messen. "Theodizee-Problem" ... Pshaw ... daß Menschen sich so etwas überhaupt ausdenken zeigt nur wie kurzsichtig und anmaßend sie sind ... wir haben verlernt Dinge wie die Geschichten aus dem Alten Testament nachzuvollziehen, zu verstehen oder überhaupt ernstzunehmen ... Vertrauen, Hingabe ... bedingungslos ...
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von rodger »

Mein hemdsärmeliges "Pshaw" bezog sich nicht auf den Beitrag von Herrn Wohlgschaft, in dem es auch um das 'Theodizeeproblem' ging. Die beiden letzten Beiträge haben sich zeitlich wie inhaltlich überschnitten.
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von rodger »

Nathan
Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt
Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
Befunden, die in meines Bruders Hause,
Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
Verbrennen müssen.

Klosterbruder
Allgerechter!

Nathan
Als Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch'
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. -
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Haß zugeschworen -

Klosterbruder
Ach! Ich glaub's Euch wohl!

Nathan
Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm': »und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!
Komm! übe, was du längst begriffen hast,
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf!« - Ich stand! und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, daß ich will!

(Lessing, Nathan der Weise)
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Doro
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Doro »

Danke Rüdiger!
People may hate you for being different and not living by society’s standards, but deep down they wish they had the courage to do the same. (Kevin Hart)
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Doro
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Doro »

rodger hat geschrieben: Wo blieben Zweifel und Vertrauen, wenn's so einfach wär' ...
Sehr gut...
Vertrauen, bedingungslos ...
... aber, Vertrauen muss man fassen(frau auch) und es muss wachsen, was im Falle Erwachsener, welche das kindliche, blinde Vertrauen verlernt haben, sich schwer gestalten mag. Es bedarf mitunter der Erfahrung und, den richtigen Zeitpunkt.

Wenn Glaube freimacht steht es uns nicht zu, die Freiheit des anderen auf Nichtglauben einzuschränken. Gott stört es nicht, wenn der Mensch nichts von ihm weiß, wenn es für den Menschen wichtig ist, von ihm zu erfahren, dann wird es der Möglichkeiten geben. Evtl. erst beim letzten Atemzug (ein Thema, welches wir bei May zuhauf finden).

Ein Saulus wird nicht durch gute Worte zum Paulus, dazu braucht es ein bisl mehr und ich bin sicher, dass sich Gott da durchaus zu helfen weiß.


:wink:
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markus
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von markus »

Für den wahren Gläubigen ist es kein Makel wenn er zweifelt. Diejenigen die über jeden Zweifel erhaben sind, sind meist die Fanatiker.

8)
Thomas Math
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Thomas Math »

Ich will hier niemanden ueberzeugen,nur finde ich es interessant,wie man einen Glauben vertreten gleichzeitig aber davon ausgeht,dass es auch eine Aberglauben gibt.
Sagen wir mal so an die sog.Auferstehung glauben, aber Astrologie oder Geisterglaube fuer Aberglauben halten.
Ich bezweifle nicht das auch sehr intelligente und natutwissenschaftlich gebildete Menschen an Gott glauben dafuer gibt es eine ganze Reihe irrationaler Gruende,die ja oben ausgefuehrt wurden.
Ich muss aber auch zugeben,das die meisten Wissenschaftler,die ich kenne Atheisten sind.
Louis Pasteur wusste damals noch nichts ueber Molekular und moderne Mikrobiologie und so blieb vieles fuer ihn unerklaerlich.Ausserdem war auch er ein Kind seiner Zeit und damit ihm damaligen Denken ,das der Religion grosse Bedeutung beimass,verharrt.
Wobei mir als kleine Abschweifung erlaubt sei zu sagen,dass Robert Koch der bessere Wissenschaftler war.
Das Theodizee Problem (schoenes Wort) laesst sich ganz einfach loesen,es gibt keinen Gott.
Die Welt ist grausam,ungerecht und es gibt keinen Sinn.
Was den Verlust eines geliebten Menschen angeht,so erlebe ich das wie Hr.Wohlgschaft auch,weil ich unter anderem die Intensivstationen und die Onkologie konsularisch betreue.
Es ist wahr,dass Menschen,die einen solchen Verlust erleiden, damit besser umgehen koennen,wenn sie glauben.Und bin immer recht schnell dabei nach einem Seelsorger zu fragen.
Wenn die Angehoerigen sich besser fuehlten wuerde ich auch nach einer Hexe oder einem Astrologen schicken.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Noch eine Taverne

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Was ist der Unterschied zwischen dem Glauben an Gott und dem Aberglauben an alles mögliche (Hexen, unheilsschwangere schwarze Katzen, vierblättrige Kleeblätter, Glücksschweinchen, astrologische Prophezeiungen usw. usw.)? Für mich ist dieser Unterschied evident. Aber es fällt mir im Moment gar nicht so leicht, diesen Unterschied philosophisch-theologisch exakt zu definieren. Vielleicht fällt mir demnächst noch die richtige Formulierung ein. Für jetzt nur so viel: Wirklicher Glaube hat – wie schon Doro und Rüdiger schrieben – wesentlich mit Vertrauen zu tun, mit dem Urvertrauen ins Leben.

Heute früh las ich – unter dem Titel DAS ZEICHEN – die folgenden Verse von Schalom Ben Chorin (1913 – 1999), dem bekannten jüdischen Journalisten und Religionswissenschaftler:

Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt.

Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.

Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.

Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.
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