Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Doro hat geschrieben:
Das Leben kann als ein Traum angesehen werden und der Tod als Erwachen
Die Menschen schlafen; wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf!
sagt der Münedschi in "Am Jenseits".
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Wolfgang Sämmer
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Ich habe versprochen, mich noch einmal zu melden, sobald ich die jüdische Schrift exakt benennen kann, von der seinerzeit in den „Gedanken zum Tag“ die Rede war (wir haben in diesem thread kurz darüber diskutiert). Lange genug mußte ich suchen. Doch je schwieriger sich eine Suche gestaltet, umso hartnäckiger verfolge ich die Fährte (ich gehöre halt auch zu denen, die auf der Seite der Spinner stehen). Manchmal führt die Ausdauer aber auch zum Erfolg. So auch in diesem Fall. Für alle, die es interessiert, hier also der genaue Wortlaut der Quelle:
Die Freude bei der Geburt und bei dem Tode.

Zwei Schiffe segeln zu gleicher Zeit im Meere; das eine verläßt den Hafen, das andere fährt in den Hafen ein. Dem, das aus dem Hafen hinaus fährt, macht eine Gesellschaft von Freunden ein frohes Fest, und mit Händeschlagen und Freudengeschrei begleitet sie seine Abreise. Von dem, das wieder hineinfährt, schweigt Alles.
Ein verständiger Mann, der ein Zuschauer dieser Scene war, sagte: „Hier geschieht ganz das Umgekehrte, als geschehen sollte. Man feiert den, der abreist, und nimmt gleichgültig auf den, der zurückkehrt. Arme Getäuschte! Feiert vielmehr das Schiff, das seine Reise vollbracht hat und gerettet von den vielen Gefahren, denen es begegnet, zurückkehrt; und beweinet das Schiff, das abreist und den Stürmen des unbeständigen Meeres entgegen segelt.“
So, wenn der Mensch geboren wird, macht man ein Fest, und man weint, wenn er stirbt. Man sollte vielmehr weinen, wenn er geboren wird, da man nicht wohl weiß, ob er wissen wird, die Gefahren und die Verführungen des Lebens zu besiegen; und man sollte lachen, wenn er stirbt, wenn er einen guten Namen hinterläßt.
Der Mensch, wenn er geboren wird, wird in das Buch des Todes eingetragen; wenn er stirbt, wird er in das Buch des Lebens eingetragen. (Midrasch Koheleth pag. 100a)
[Parabeln, Legenden und Gedanken aus Thalmud und Midrasch, gesammelt und geordnet von Professor Giuseppe Levi, aus dem Urtexte in’s Deutsche übertragen von Ludwig Seligmann. Leipzig 1863, S. 228. Schriften herausgegeben vom Institute zur Förderung der israelitischen Literatur unter der Leitung von Dr. Ludwig Philippson in Bonn, Dr. A. M. Goldschmidt in Leipzig, Dr. L. Herzfeld in Braunschweig. Achtes Jahr: 1862-1863. Seligmann: Thalmudische Parabeln.]
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Wolfgang Sämmer
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Eine Freundin von mir steht auf dem Standpunkt, daß das Bild von dem aus dem Hafen aus- und in den Hafen einlaufenden Schiffen schief sei. Denn es sei zwar plausibel, daß dem Schiff, das den Hafen verließe, zugewinkt würde; es sei aber eher unwahrscheinlich, daß dasselbe nicht auch mit dem Schiff geschähe, das in den Hafen einliefe.
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

(Beim Wiederlesen der Geschichte habe ich eben die gleichnishaften Zuordnungen von Abreise und Rückkehr verwechselt und damit die Angelegenheit noch etwas komplizierter gemacht ...) :D

Beide Male mag gewunken werden. Einmal aus Unkenntnis / Illusion, einmal aus Einsicht / Erkenntnis ...
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Doro
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Doro »

Damit hat Sie wohl recht, kommt sicher auf die Sichtweise und den Standpunkt an... und gegebenenfalls auf das Motiv
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Es fällt mir (unter anderem ...) eine Till Eulenspiegel - Geschichte ein (die ich in meiner Kindheit oder frühen Jugend gelesen habe aber leider in keiner Buchausgabe mehr finde, habe schon mal vergeblich gefragt, nochmal: weiß einer wo ich die finde ?), da ist er mit anderen auf einer Wanderung, und jedesmal wenn es einen Berg hinauf geht und die anderen sich mühen und plagen, tänzelt er fröhlich hinauf, und wenn's den Berg hinunter geht und die anderen sozusagen entspannen, wird er resignativ und unfroh ... weil er halt immer schon weiter denkt ... er weiß daß nach dem mühsamen Aufstieg der angenehme Abstieg kommen wird und umgekehrt ... so könnte man halt bei der Geburt auch z.B. denken "Na wenn der wüßte was auf ihn zukommt ..." und beim Tod "Der hat's hinter sich ..." ... Siehe Autobahngleichnis Köln-Würzburg. :D
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Doro
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Doro »

Von welcher sprichst Du?
Ansonsten guck doch mal hier
Ausgabe von 1948/ (Pos. 2/23) oder 1963(Pos. 21) klingt als wäre noch fast alles drin...
Ich muss mal gucken, von wann meine ist :wink:


Ahh, 1947 nach was soll ich gucken?
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Doro
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Doro »

Die Geschichte, wie 'er tiefsinnige Betrachtungen anstellte':
Einstmals sprach Eulenspiegel: Wenn ich einen Berg hinabgehe, bin ich traurig, weil ich daran denken muss, dass ich unten angelangt, wieder berauf muss. Beim Bergaufgehen dagegen freue ich mich schon auf den hinter der Bergspitze erfolgenden Abstieg. Stärkster Trank ist weder Bier noch Wein, sondern Wasser, da es die schwersten Mühlsteine zu treiben vermag. Im Unglück lache ich, denn dahinter kommen bestimmt wieder bessere Zeiten. Ergeht es mir dagegen gut, weine ich im Hinblick darauf, dass es nicht noch besser werden kann...
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Ah, Danke. Da habe ich wohl eine bearbeitete Kinderbuchausgabe gelesen seinerzeit. Da war die Geschichte richtig ausgeformt und bebildert und nicht so knapp auf den Punkt gebracht.
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Wolfgang Sämmer
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Das Leben wurde und wird oft verglichen mit der Fahrt eines Schiffes auf dem Meer. Wenn man so will, handelt es sich um ein uraltes Bild, um einen gängigen literarischen Topos. Navigatio vitae ist der Fachausdruck dafür. Leben bedeutet, zur See zu fahren. Dieses Bild wurde gerne und oft herangezogen; nicht nur im Midrasch Koheleth; auch bei Karl May. Ich denke nur an das Schiff Wilahde im Alterswerk Ardistan und Dschinnistan. Wilahde bedeutet Geburt. Das Schiff trägt Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar über das Meer ins Land der Ussul. Über das Meer, welches wir, so May in den Geographischen Predigten einmal, Leben nennen. Logischerweise heißt es dann im Waldröschen: Das Leben gleicht dem Meere, dessen ruhelose Wogen sich ewig neu gebären. Millionen und Abermillionen wechselvolle Gestalten tauchen aus den Fluthen auf, um für die Dauer eines kurzen Lebensaugenblickes auf der Oberfläche zu erscheinen und dann wieder zu verschwinden – für immer? Wer weiß es!
markus
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von markus »

Und es gibt keine Kehrtwenden (wie manche immer so schön meinen wenn man sich im Leben einmal anders besinnt), sondern nur ganz natürliche Kurskorrekturen (man kommt niemals wieder in dieselbe Fahrrinne).
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Doro
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Doro »

Wolfgang Sämmer hat geschrieben:Das Leben wurde und wird oft verglichen mit der Fahrt eines Schiffes auf dem Meer. Wenn man so will, handelt es sich um ein uraltes Bild, um einen gängigen literarischen Topos. Navigatio vitae ist der Fachausdruck dafür.
Spannender Vergleich, selbst oft bemüht... hierzu gibt es wundervolle Bilder von Angerer dem Älteren. Seine Bilder sind wie die Geschichten Karl Mays...
z. B. hier und hier oder hier und da... und noch viele weitere von einem großartigen Künstler, wie ich finde...
8) :wink: 8)
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Wolfgang Sämmer
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Ist der Tag der Geburt ein Trauer- und der Tag des Todes ein Freudentag? Darüber hatten wir in diesem Thread vor längerem schon diskutiert. Jetzt las ich eine Stelle aus einem Brief, den Karl May anläßlich des Todes von Leopold Gheris Mutter am 3. Januar 1907 an den Schriftleiter des „Kunstfreund“ geschrieben hat. Sie paßt gut in diesen Thread, weshalb ich sie im Anschluß ausführlich zitiere:
Die Todtenklage überlassen wir allein Denen, die nicht glauben. Für uns aber ist, aufrichtig gestanden, der Tag der Geburt ein Trauer- und der Tag des Todes ein Freudentag. Wir können im Tode nichts Anderes sehen, als die beglückende Erlaubniß, zum Vater heimzukehren, und diese Erlaubniß gönnen wir allen Denen, die an ihn glauben und sich zu ihm empor, zum Himmel sehnen.

Karl-May-Chronik. Band IV. Seite 131.
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Stellen Sie sich vor, sie sind in Köln auf die Autobahn gefahren und werden Sie in Würzburg verlassen, dann können Sie ja auch während der Fahrt in aller Entspanntheit feststellen, daß die Fahrerei, so reizvoll sie zwischenzeitlich auch erscheinen mag, auf Dauer doch sozusagen kein Zustand ist und Sie eigentlich ganz froh sein können, wenn das Spektakel in Würzburg vorbei sein wird, obwohl Fahren freilich auch Spaß machen kann, aber es ist halt schon auch recht anstrengend für alle Beteiligten und immer wieder mal gibt es Ärger aller Art auf der Betonpiste ... außerdem, wenn sie an Dinge wie Benzinverbrauch, Umwelt, Lärm oder sonstnochwas denken ... oder diese Unfälle ... Fahren ist ab und zu ganz schön, aber ankommen auch ... Sie werden, wenn nun unterwegs ein Hinweisschild "Köln" auftaucht, nicht jubeln, aber auch nicht trauern, sondern vielleicht lediglich wertfrei reflektieren, daß in Köln die Angelegenheit halt anfing ...
schrieb ich in diesem Thread vor, wie ich soeben zu meiner Verblüffung feststellte, fünfeinhalb Jahren (ich hätte eher gedacht vor einem oder zwei, es war mir halt noch recht präsent ...), wobei freilich mit Köln die Geburt gemeint war und mit Würzburg der Tod (falls das einer oder mehrere nicht verstanden haben sollten, was erfahrungsgemäß leider anzunehmen ist. :D )

Und zu Wilhelm Busch fiel mir kürzlich das hier im Forum schon erwähnte Buch vom Ueding über ihn in die Hände, Wühltisch am Antiquariat, 3 Bücher 1 Euro ... die besten Sachen im Leben gibt's nahezu umsonst, so ist das.

:D
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Hier haben wir mal einen der eher seltenen Fälle, dass ich ganz anderer Meinung bin als KM. :wink: Eine meiner liebsten Freundinnen wird in den nächsten Tagen Oma. Sie freut sich riesig auf den Geburtstag des kleinen Mädchens, und ich freue mich mit, werde ich doch gewissermaßen Opa. :D Der Geburtstag ist also, da mag der Mayster denken was er will, ein Freudentag.

Mehrere Menschen, die mir nahe stehen und die ich liebe, sind schon gestorben. Für die Verstorbenen mag der Sterbetag ein Freudentag sein. Für mich aber, der ich zurückbleibe, ist das Sterben meiner Lieben keine Freude. Sie fehlen mir und deshalb betrauere ich ihr Sterben. Nicht für die Verstorbenen, aber für die Angehörigen ist der Sterbetag ein Trauertag. Diese Trauer steht mir zu, die lasse ich mir nicht nehmen, auch nicht von KM. :wink:
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