Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Lieber Herr Sämmer!

Das Leben ist, trotz der Schattenseiten, sehr schön. Anlass zum Feiern gibt es genug. Ich lebe gerne und feiere, mit gutem Grund, den Geburtstag.

Auch Karl May hat gerne Geburtstag gefeiert. Die von Ihnen zitierte Briefstelle sollte – m. E. – nicht überbewertet werden. Sie lässt an die ›Geisterschmiede‹ denken, auch an das ›Märchen von Sitara‹. Aber, wie gesagt, sie sollte nicht verabsolutiert werden.

Andererseits gefällt mir der Gedanke, dass auch der Sterbetag gefeiert werden sollte, sehr gut. Ich glaube, dass auch Karl May dies so gesehen hat. Denn aus seiner Sicht war der Tod kein Einschlafen, sondern ein Aufwachen, kein Versinken ins Nichts, sondern der Übergang zu einem neuen, besseren Leben.

Auch für mich ist der Tod kein Ende, sondern ein neuer Beginn. Allerdings muss man unterscheiden: Für den, der stirbt, kann der Tod die Erlösung sein und das Erwachen zum größeren Leben. Für die Hinterbliebenen aber ist der Tod eines geliebten Menschen ein großer Verlust, den sie – sehr verständlich – beklagen.

Was die Hölle betrifft: Ich persönlich glaube nicht an eine ewige Verdammnis. Ich hoffe, dass ALLE den Frieden finden und die Glückseligkeit.

Hermann Wohlgschaft
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Diese Welt ist des Teufels, ging mir aufgrund zahlreicher Eindrücke vorhin so durch den Kopf, wörtlich ... (ich war in der Stadt, das ist meiner Stimmung nicht immer eben förderlich ...) Joseph Roth hat da ganz recht, und der Herr von Sternburg Unrecht, wenn er sagt, Roth habe sich da mit seinem "Antichrist" fürchterlich verrannt ... von Sternburg hat es nur nicht verstanden, c'est ca ...

Vorhin habe ich z.B. erstmals ein etwas älteres Kind gesehen (bislang waren es jüngere), so schätzungsweise fünfzehn, sechzehn, das auf Tauben losging ... per Stiefel, so nebenbei, im Schlendern, gelangweilt ... klar daß man selber den Stiefel auch vor den Kopf kriegt, wenn man das Pech hat, solchen Herrschaften nächtens in einsamen Ecken zu begegnen ... da braucht es auch keinerlei Anlaß, das ist im Menschen drin, und kann jederzeit und immer wieder in Erscheinung treten ... bei jüngeren Kindern schiebt die Schmusipusinurnichtsogenauhinguckenundwahrnehmenfraktion die Sache mit dem AufdieTaubenlosgehen ja gern auf Spieltrieb und dergleichen neckische Dinge ... bei dem Fünfzehnsechzehnjährigen wird das schon etwas schwieriger ... (noch einmal: es geht mir nicht um die Tauben, die sind mir völlig schnurz. Es geht um die Aggression, die Bösartigkeit, die ich wahrnehme, bei Groß & Klein ...)

[...]

Noch einmal, es ist beides da ("und manchesmal ein Lächeln" ...), Himmel wie Hölle ... Wie hieß der schöne Spruch vom Redenschreiber des Altkanzlers, wir lieben das Leben und die Lebensfreude und lassen sie uns nicht vergällen, wohl wahr ... trotz alle - he - dem ...

[...]
Zuletzt geändert von rodger am 21.8.2010, 10:18, insgesamt 1-mal geändert.
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Auch Karl May hat gerne Geburtstag gefeiert. Die von Ihnen zitierte Briefstelle sollte – m. E. – nicht überbewertet werden.
Die Briefstelle steht am Ende eines längeren Schreibens. May verweist dort auch auf seine diesjährige Geburtstagsantwort, die diesem Schreiben beiliegt. Und in dieser Geburtstagsantwort heißt es u.a. "Nicht rückwärts, sondern vorwärts soll er schauen, damit der Tod ihm alles wiederbringe, was ihm durch die Geburt verloren ging." (nachzulesen GW Band 81 S. 414 f.)
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Eine interessante Aussage! Was uns bei der Geburt ja tatsächlich genommen wird, ist die Geborgenheit im Mutterschoß. May hatte anscheinend die Vorstellung, dass wir jenseits des Todes ins ›mütterliche‹ Zuhause - in einer höheren Form - zurückkehren werden.
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Kritischer betrachtet, ist die Geborgenheit im Mutterleib ja nur eine vermeintliche, da man dort bereits sozusagen dazu verurteilt ist, auf diese Welt zu geraten ...
May hatte anscheinend die Vorstellung, dass wir jenseits des Todes ins ›mütterliche‹ Zuhause - in einer höheren Form - zurückkehren werden.
Das denke ich auch; in einer höheren Form, wohlgemerkt. An die [vermeintliche] Geborgenheit im realen Mutterschoß dachte ich nicht.
Dernen
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Dernen »

rodger hat geschrieben:Kritischer betrachtet, ist die Geborgenheit im Mutterleib ja nur eine vermeintliche, da man dort bereits sozusagen dazu verurteilt ist, auf diese Welt zu geraten ...
Und vielleicht ahnt man ja schon, was einen so alles erwartet. Ich jedenfalls hatte mir schon vorsorglich die Nabelschnur um den Hals gewickelt, als ich da raus mußte. Hat leider nicht geklappt.
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

May war, da bin ich mir ziemlich sicher, vom platonischen Denken beeinflusst. Platon setzte ein vorgeburtliches, präexistentes Dasein der menschlichen Seele in der Ewigkeit des göttlichen Seins voraus. Mit der Geburt ins irdische Leben hinein verliert die Seele - nach Platon - die Erinnerung ans vormalige Dasein, an die frühere (›paradiesische‹) Harmonie des Einsseins mit Gott. Auf der Erde nun hat der Mensch eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Wenn er sie erfüllt hat, kann seine Seele - nach Platon - den irdischen Körper verlassen und zum göttlichen Ursprung zurückkehren.

In ›Ardistan und Dschinnistan‹ finden wir diese platonische Daseinsdeutung, m. E., besonders deutlich.
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:In ›Ardistan und Dschinnistan‹ finden wir diese platonische Daseinsdeutung, m. E., besonders deutlich.
Ja,
Karl May hat geschrieben:Der kleine Hafen von Ikbal ist mit der Außenwelt nur durch einen einzigen größeren Segler verbunden, welcher "Wilahde" heißt und immer segelfertig gerichtet ist. Dieses Schiff gleicht einer Arche. Sein Bau ist uralt. Es hat die Formen und die Linien vergangener Jahrtausende. Sein Tau- und Segelwerk mag im ältesten Babylonien oder Ägypten erfunden worden sein. Aber man hat trotzdem keinen Grund, irgend etwas daran zu tadeln, denn alles, was man sieht, ist genau dem Zwecke, dem es dienen soll, entsprechend eingerichtet. Wir werden diesem Fahrzeuge in meinen späteren Erzählungen noch oft begegnen; darum verzichte ich jetzt darauf, es genau zu beschreiben. Ebenso wird es Sache meiner künftigen Berichte sein, das Land Sitara und die Stadt Ikbal eingehender zu schildern.
und
Karl May hat geschrieben:Diese Abschriften, die ich mir mit so großer Mühe gemacht hatte und die ich so unendlich notwendig brauchte! So etwas war mir noch nie im Leben passiert! Eine solche Gedankenlosigkeit hatte ich bisher für unmöglich gehalten! Mir wurde ganz schlimm. Ich setzte mich nun auch nieder, trotz der Feuchtigkeit des Bodens. Ohne diese Notizen war ich ganz außer stande, mich in diesem fremden Lande und seinen mir fremden Verhältnissen selbständig zu bewegen! Jeder Zufall könnte mir zum Meister und Gebieter werden! Soeben hatte Halef uns 'Männer' genannt; aber nun ich diese Aufzeichnungen nicht bei mir hatte, glichen wir Kindern, die nur Fehler begehen können, wenn es ihnen einmal einfallen sollte, einen eigenen Entschluß zu wagen!
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Zu Friede auf Erden, [Wieder-]Geburt, Plato usw. siehe auch Wilhelm Busch, 'Zwiegespräch über den platonischen Zaun', Briefe an Maria Anderson, z.B.
Der Zustand vor jedem Dasein war besser, war unsere Heimath. Je nachdem die Ahnung davon einen Menschen mehr oder weniger durchdämmert, wird er seinem Wollen, welches ihn in die Fremde treibt, die Entsagung, die Umkehr entgegen setzen. Hoffentlich wird dieser leise Zug nach Billionen von Jahren Alles heimführen; vielleicht wird es mit einem Ruck geschehn. Dem Singen und Sagen vom goldenen Zeitalter, dem Glauben des Chiliasten, dem Streben der Internationalen - - all diesen Träumen liegt jenes dunkle Heimweh zum Grunde. - Träume. Ja! - Denn Der wird sich eklig täuschen, welcher Frieden und Ruhe in dieser Welt erhofft.
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Wolfgang Sämmer
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Wolfgang Sämmer »

Lieber Herr Wohlgschaft!

Haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihre freundliche Antwort. Ich stimme Ihnen in allem zu, besonders in dem Punkt, daß May vom platonischen Denken beeinflußt gewesen sei. Dazu noch ein Zitat aus dem Buch der Liebe:
Der Mensch ist nicht geboren, um ein in sich abgeschlossenes und mit dem Tode endendes Dasein auf der Erde zu leben, sondern nach der Erfüllung der irdischen Wallfahrt zu neuem Sein vorzuschreiten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Geist, welcher den menschlichen Körper beseelt, nicht mit dem Säuglinge entstanden ist, sondern vielleicht schon viele Hunderte von Entwickelungsstufen zurückgelegt hat und ohne Erinnerung an das Vergangene im Kinde erwacht, um für die Anforderungen des Erdenlebens zu zeitigen und reif zu werden. »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, Euch die Stätte zu bereiten,« sagte Christus, der Weiseste der Weisen, und wie er hingegangen ist, den Seinigen voran, so werden auch wir den Nachkommenden vorangehen, um die Wohnungen des Vaters kennen zu lernen und von Grad zu Grad der Gotteskindschaft immer würdiger zu werden.
(Karl May: Das Buch der Liebe. Karl Mays Gesammelte Werke; Bd. 87. Karl-May-Verlag. Bamberg und Radebeul 2006, S. 64.)
Um noch einmal auf meine Frage zurückzukommen: Der Gedanke, den Geburtstag zu betrauern und den Todestag zu feiern, ist es möglich, daß er seinen Ursprung im Judentum hat? Hatten Sie schon einmal davon gehört? Ist er in einer jüdischen Schrift niedergelegt? Wenn ja, würde mich die exakte Quelle sehr interessieren.

Herzliche Grüße
Ihr
Wolfgang Sämmer
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Lieber Herr Sämmer,

Sie haben Recht, ich bin auf Ihre eigentliche Frage nicht eingegangen. Hat der Gedanke, den Geburtstag zu betrauern und den Todestag zu feiern, seinen Ursprung im Judentum?

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Der Heiligen Schrift des Judentums (von Christen ›Altes Testament‹ genannt) ist dieser Gedanke sicher fremd. Ein langes Leben hier auf Erden galt als Lohn des ›Gerechten‹, der Tod hingegen brachte – nach dieser Vorstellung – sowohl für die Guten als auch für die Bösen die ›Scheol‹, ein trostloses Schattendasein (ähnlich dem Hades oder Orkus in der griechisch-römischen Antike). Erst in den spätesten Schichten des Alten Testaments (das in einem Zeitraum von ca. 1000 Jahren entstanden ist), in den Makkabäer-Büchern und im Buch Daniel, findet sich der Gedanke eines besseren Lebens nach dem Tode als Lohn für die ›Guten‹.

Dass der Geburtstag aus diesem Grunde betrauert werden sollte, ist in der Bibel aber nirgendwo zu lesen.

Ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. entstand allerdings der Talmud, eine außerbiblische Sammlung von jüdischen Gesetzen und Traditionen, die ca. 1000 Jahre später ihren Abschluss fand. Möglicherweise findet sich im Talmud der obige Gedanke.

Mit herzlichem Gruß
Ihr
Hermann Wohlgschaft
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rodger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von rodger »

Ich störe mich ein wenig an der Formulierung des 'Betrauerns'(, die durch die Umdrehung eines Zitats ins Spiel kam und sich dann ein wenig verselbständigte). Mays Zeilen machen auf mich nicht den Eindruck des Betrauerns, sondern des nüchternen, des-illusionierten Klar-Hinguckens ohne größeren emotionalen Einstieg: Wir befinden uns [teilweise ...] in der Hölle, was gibt es da zu feiern ... Finde ich angemessen. Bei Busch wie bei May findet sich in späten Äußerungen eine Haltung wie etwa Wir sind hier um zu lernen, zu wachsen und zu reifen, nicht um uns gemütlich einzurichten ... (Das kann auch ganz nett sein, ist aber nicht alles ...)
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Der gestern verstorbene Regisseur Schlingensief schrieb allerdings ein Buch mit dem Titel ›So schön wie hier kann's im Himmel gar nicht sein‹. :wink: Auch Sepp Daxenberger sagte, als er gefragt wurde, wie er sich das Paradies vorstelle: »So wie hier in Waging.«
Hermann Wohlgschaft
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Noch zu Schlingensief und Daxenberger: Sie hatten ja beide den Tod vor Augen. Man sagt, dass Sterbende bewusster leben und die Schönheit des Lebens intensiver wahrnehmen. Erst in den letzten Phasen des Sterbeprozesses verschiebt sich der Blickwinkel zugunsten der jenseitigen Welt. Auch in den Nahtoderlebnissen, von denen May im ›Jenseits‹-Roman und im ›Silbernen Löwen III‹ berichtet, kommt dieser Perspektivenwechsel sehr deutlich heraus.
Helmut Prodinger
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Re: Karl May, Wilhelm Busch und die Engländer

Beitrag von Helmut Prodinger »

Nahtoderlebnissen

Schwieriges Wort

Zuerst las ich Naht-oder-lebnissen, wurde dann aber skeptisch.
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