Seite 1 von 1

nicht so zart, wie du denkst

Verfasst: 22.7.2018, 8:54
von rodger
Zu weiblicher burschikos empathiefreier Reaktion andernorts (Mailingliste) fielen mir Worte Nscho Tschis ein
Oh, die Frauen der Bleichgesichter sind nicht so zart, wie du denkst. Sie können die Schmerzen sehr gut ertragen, aber die Schmerzen, welche Andere, Menschen oder Tiere erdulden. Ich bin nicht bei euch gewesen, aber Klekih-petra hat es uns erzählt. Dann ging Winnetou nach den großen Städten des Ostens, und als er zurückkehrte, berichtete er mir alles, was er gesehen und beobachtet hatte. Weißt du, was eure Squaws mit den Tieren tun, die sie kochen, braten und dann essen?«

»Nun?«

»Sie ziehen ihnen die Haut*) bei lebendigem Leibe ab; sie ziehen ihnen auch, während sie noch leben**), den Darm heraus und werfen sie in das kochende Wasser. Und weißt du, was die Medizinmänner der Weißen tun?«

»Was meinst du?«

»Sie werfen lebendige Hunde in das kochende Wasser, um zu erfahren, wie lange sie dann noch leben, und ziehen ihnen die verbrühte Haut vom Leibe. Sie schneiden ihnen die Augen, die Zungen heraus; sie öffnen ihnen die Leiber; sie quälen sie auf noch viele andere Arten, um dann Bücher darüber zu machen.«

»Das ist Vivisektion und geschieht zum Besten der Wissenschaft.«

»Wissenschaft! Klekih-petra ist auch mein Lehrer gewesen; darum weiß ich, was du mit diesem Worte meinst. Was muß euer großer, guter Geist zu einer Wissenschaft sagen, welche nichts lehren kann, ohne daß sie seine Geschöpfe zu Tode martert! Und solche Martern nehmen eure Medizinmänner in ihren Wohnungen vor, wo die Squaws doch mit wohnen und es sehen müssen! Oder hören sie nicht das Schmerzgeheul der armen Tiere? Haben eure Squaws nicht Vögel in Käfigen in ihren Zimmern? Wissen sie nicht, welche Qual dies für den Vogel ist? Sitzen eure Squaws nicht zu tausenden dabei, wenn bei Wettrennen Pferde zu Tode geritten werden? Sind nicht Squaws dabei, wenn Boxer sich zerfleischen? Ich bin ein junges, unerfahrenes Mädchen und werde von euch zu den "Wilden" gerechnet; aber ich könnte dir noch vieles sagen, was eure zarten Squaws tun, ohne daß sie dabei den Schauder empfinden, den ich fühlen würde. Zähle die vielen Tausende von zarten, schönen, weißen Frauen, welche ihre Sklaven zu Tode gepeinigt und mit lächelndem Munde dabei gestanden haben, wenn eine schwarze Dienerin totgepeitscht wurde!

*) Bei den Aalen. **) Bei den Krebsen.
8)

Re: nicht so zart, wie du denkst

Verfasst: 22.7.2018, 12:58
von Hermann Wohlgschaft
Schon so oft habe ich diese Stelle gelesen. Und jedes Mal schockiert sie mich aufs Neue. Was Nscho-tschi sagt, ist so fürchterlich wahr. Wahr ist aber auch, dass es Menschen wie Klekih-petra gibt - Menschen, die nicht zuerst an sich selbst denken, Menschen, die sogar ihr Leben geben für andere.

Re: nicht so zart, wie du denkst

Verfasst: 22.7.2018, 15:38
von rodger
Man könnte, "von des Gedankens Blässe angekränkelt", einwenden, auch dahinter stehe letzten Endes wieder das Ego, das sich halt gut zu tarnen weiß ...

Auf den Gedanken hin habe ich mir Mays Text in Sachen Klekih-petra noch mal angeschaut, und, siehe da:
Wie oft bin ich dem Selbstmorde nahe gewesen; immer hielt mich eine unsichtbare Hand zurück
[...]
wäre mir einmal das Glück beschieden, die tödliche Kugel, die ihm gelten soll, in meinem Herzen aufzufangen, so würde ich mit Freuden für ihn sterben und dabei denken, daß dieser Tod zugleich eine letzte Sühne meiner früheren Sünden sei!

Wunscherfüllung besonderer Art ...

Neulich las ich irgendwo, der Opfertod Hauke Haiens im "Schimmelreiter" sei verantwortungslos, der Einzige, der vielleicht noch habe helfen können, habe die Anderen ihrem Schicksal überlassen ... Nun, das haut so nicht so recht hin, Haien ist ja immerhin der Meinung, mit seinem Selbstopfer könne er etwas ausrichten. Man wollte wohl dem guten alten Storm mal wieder am Zeug flicken, ist ja "in" heutzutage ...

Aber interessant ist es, gängige Sichtweisen mal zu hinterfragen ...

Re: nicht so zart, wie du denkst

Verfasst: 22.7.2018, 16:13
von Hermann Wohlgschaft
In manchen Fällen kann die Selbsthingabe auf einen (womöglich sogar bewussten) Suizid hinauslaufen. Aber es gibt natürlich auch ganz andere Fälle. Dem Taucher z.B., der beim Rettungsversuch für die Fußball-Jungen in Thailand sein Leben verlor, würde ich nicht unterstellen, dass er lebensmüde war.

Tatsächlich können Handlungsweisen, die nach außen besonders selbstlos wirken, auf versteckte Art vom Ego her motiviert sein. Aber es gibt gewiss auch Menschen, denen es wirklich um den Anderen geht und nicht um den eigenen Vorteil.

Manchmal (oder sogar oft) kommen ganz unterschiedliche Handlungsmotive zusammen. Die Lebenshingabe Klekih-petras z.B. war wohl eine Mischung von Selbstlosigkeit und "Wunscherfüllung".

Re: nicht so zart, wie du denkst

Verfasst: 22.7.2018, 18:39
von Rene Grießbach
Hermann Wohlgschaft hat geschrieben: 22.7.2018, 16:13 In manchen Fällen kann die Selbsthingabe auf einen (womöglich sogar bewussten) Suizid hinauslaufen.
Aber es gibt natürlich auch ganz andere Fälle. Dem Taucher z.B., der beim Rettungsversuch für die Fußball-Jungen in Thailand sein Leben verlor, würde ich nicht unterstellen, dass er lebensmüde war.
Der Taucher in Thailand, das war ein schrecklicher Unglücksfall. Was er tun wollte, war. sein möglichstes zu tun, um den Jungens zu helfen. Gelebte Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft. Dass der Taucher lebensmüde war, ist nicht mal ansatzweise anzunehmen. Daher passt m.E. der Vergleich mit Suizid in Bezug auf den Taucher überhaupt nicht.

Suizid ist Ausdruck der Ausnahmesituation Ausweglosigkeit, in der sich der Betreffende zu dem konkreten Zeitpunkt befindet und wird übrigens m.E. in den allermeisten Fällen bewusst vorgenommen wird (tragische Möglichkeit eines unbewussten Suizid wäre nur in einer sehr ausgeprägten psychischen Störung zu suchen).

Was Klekih petra betrifft, da wurde mir gegenüber früher auch mal in einem Gespräch gesagt, dass er ja Selbstmord begangen hätte, als er sich vor Winnetou warf und die tödliche Kugel ihn traf.
Nein, das war kein Selbstmord, auch das war Aufopferung und Sühne zugleich, bis zur letzten Konsequenz.
In Bezug auf die Aufopferung wiederum vergleichbar mit dem Taucher.

Re: nicht so zart, wie du denkst

Verfasst: 22.7.2018, 21:16
von Hermann Wohlgschaft
Was ich mit meinen beiden Einträgen sagen wollte, ist nur dies: Neben unsäglicher Brutalität und rücksichtsloser Gewalt gibt es in unserer (nach jüdisch-christlicher und muslimischer Auffassung von Gott ins Dasein gerufenen) Welt auch echte Humanität: Menschen, die nicht gleichgültig wegschauen, Menschen, die sich - ohne an den eigenen Vorteil zu denken - energisch einsetzen für Entrechtete und Benachteiligte, für Gedemütigte und Unterdrückte.

Beides - die Humanität und die Brutalität - hat Karl May in seinen Büchern sehr eindrucksvoll beschrieben.