"Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

XVIII

Der Bericht Pfuels über den in Sachen Penthesilea Tränen vergießenden Kleist (S. 232) erinnert beträchtlich an Karl Mays überlieferte Aufgewühltheit über das drohende Ableben des Hadschi Halef, und hier kann sich geneigter Leser des Verdachts nicht erwehren, ob vielleicht auch hier im Hause May 'abgekupfert' wurde ?! Es fiel ihm ja offenbar schwer das zu lassen …

Wenn man auf S. 240 unten vom "Sinnbild für das unendliche Wunder des Lebens: inmitten einer sterblichen, dem Tod, der Verwesung preisgegebenen Welt" liest und sich des "eigenartigen Widerspruchs" erinnert, den der Autor auf S. 236 oben bezüglich des gleichen Bildes anmerkte ("Das Gesicht wirkt auf mich eher abweisend, der Körper freilich umso reizvoller"), wird’s interessant … ("Droben am Himmel stehen Millionen von Sternen so fest, und dennoch, je näher man ihnen kommt, je besser man sie kennen lernt, desto mehr bemerkt man, daß sie alle, alle diese scheinbare Festigkeit nie besessen haben und nie besitzen werden. Sind nicht alle unsere Ideale geistige oder verkörperte Lichtgebilde, welche aufgehen, kulminiren und - verschwinden?" schrieb Karl May in "Scepter und Hammer" in Sachen Ideale und Illusionen …)

Friedrich Schlegel erscheint als pragmatischer Freund des Islam, "die sinnlichen Freuden der Mohammedaner vom Himmel sind die rechten", schrieb er (S. 242).

"Es gibt […] höchst unterschiedliche Einstellungen zum Tod" (S. 246) In der Tat. An Matthias Claudius sei hier noch einmal erinnert (siehe ein paar Kapitel zuvor). Wir westlichen Menschen sind halt in der Regel "falsch gepolt" oder auch im Kopf "falsch programmiert", wenn wir ihn so ausschließlich negativ "besetzen" …

Interessante kritische Worte Hannelore Schlaffers über Karoline von Günderrode (S. 250).

"In den Augen Gottes steht sie vielleicht ganz anders da als in den Augen der Moralisten und Besserwisser." (S. 252) Jenun, vielleicht … Vielleicht auch nicht. (Borcherts Elbe, die einen Selbstmörder wieder ausspuckt, fiel mir hier ein … Will sagen, Suizide können aus nackter Verzweiflung geschehen, als wohlüberlegte bewußte nüchterne Entscheidung, aber auch mit pathetisch-theatralischem "Gschmäckle" …)
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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

XIX

Einiges in der Romantik und an Clemens Brentano, einem ihrer schillerndsten Vertreter, erscheint in der Tat "wunderlich fragwürdig" (S. 267).

"Aber er konnte nicht erreichen, dass es zwischen ihm und den beiden Frauen zu größeren Intimitäten, zu einer mystisch-erotischen 'Ménage-á-trois' kam. Sowohl Anna Katharina als auch Luise haben sich diesem Ansinnen entzogen." (S. 270) Herrlich trocken formuliert.

Beethoven vielleicht "ein erstrangiges Beispiel für die Möglichkeit, dass gerade die auf Erden unerfüllte Liebe das Verlangen nach dem Ewigen lebendig hält" (S. 278).

Sehr reizvoll wird es in Sachen E.T.A. Hoffmann, diese Abschnitte gehören zu den interessantesten und gelungensten der Bände.

Das Zitat aus Hoffmanns 'Don Juan' (S. 282) und das aus Kleßmanns Biographie (S. 284) machen Lust, beides zu lesen.

Etwas "Vorläufiges, Vorübergehendes, im Grunde noch Unerlöstes" (S. 282), "in dieser Welt unerreichbar", überzeugend vorgetragen.

Nach alledem in den Hoffmann gewidmeten Abschnitten zur Sprache gekommenen: "Ist das, so mag man sich fragen, nicht stark übertrieben?" Schlicht und einfach: Nein … Und auch der Autor meint "Ich glaube nicht." (S. 286)

Die Liebeserfüllung hat "auch in den glücklichsten Fällen einen nur vorläufigen, das Himmlische gewissermaßen antizipierenden Charakter." (S. 288)

Und dann geht unser Autor so richtig aus sich heraus, bzw., mit einem May-Zitat wohl besser ausgedrückt, schreibt "so recht aus dem tiefsten Herzensgrunde", und zwar in Sachen Musiktheater: "Etwas annähernd 'Himmlisches' ist für mich in einprägender, unvergesslicher Weise die musikalische Rezeption E.T.A. Hoffmanns" (S. 288), "Dank der göttlichen Kunst des Salzburger Musikgenies, dank der wahrhaft himmlischen Arien und Liebesduette und dank begnadeter Interpreten gehören Mozarts Opern zum absolut Schönsten, das ich mir überhaupt vorstellen kann" (S. 293), "die Romanze 'Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen' verleiht, zärtlichst melodisch, der Liebe und Treue von Braut und Bräutigam einen innigen Ausdruck – einen Ausdruck, der mein Herz und meine Seele zum Schwingen bringt" … (S. 295)

Von einigen zeitgenössischen Inszenierungen ist Hermann Wohlgschaft indes eher abzuraten. :D
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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

XX

Interessantes zu Johann Peter Hebel. ("Unverhofftes Wiedersehen")

"Die diesseitige, die sichtbare und greifbare Sinnenwelt ist, wie Mörike zeigen will, nicht das Ganze der Wirklichkeit!" (S. 314)

Aufhorchen lassende Worte: "Ein solches Alleinsein ist im Prinzip ja nichts Ungewöhnliches in dieser leidenden Welt […] Nicht nur fiktive Romanfiguren, auch real existierende Frauen und Männer kann das Schicksal einer letzten Einsamkeit, eines wirklichen oder gefühlten Isoliertseins treffen." (S. 319)

Interessanter Brief Liszts (S. 337), interessante Antwort darauf …

Der Liszt dieser Phase war, so Hermann Wohlgschaft, "noch kein liebesfähiger Mann" (S. 338), das hat man bei den Egomanen häufiger …

Später sah Liszt das Erdendasein als "eine Vorstufe zur Ewigkeit, eine Station auf dem Weg zur Erlösung, zur Befreiung von Sünde und Tod." (S. 340)

Hübsches Zitat aus "Madame Bovary", was Charles Bovary "redete, war platt wie das Straßenpflaster" (S. 344), zuvor (S. 343) war zu lesen, das Buch werde "immer aktuell bleiben", in der Tat, da sehen wir’s schon …

Unser Autor verkennt oder ignoriert bei allem Idealismus keineswegs die Schattenseiten, die Beziehungen so haben können, "Der Zerfall einer Geschlechterbeziehung kann […] ein langsamer, zermürbender Erosionsprozess sein, der in tödliche Langeweile und lieblose Gleichgültigkeit mündet." (S. 347)

Zuletzt lesen wir, die Geschlechterliebe mit ihren ganz verschiedenen Facetten werde uns auch im dritten Band "noch sehr überraschen".
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Besten Dank, rodger, für die Kommentare, die Zitate, die Zusammenfassungen!

Eine Besprechung des 1. Bandes der "Unsterblichen Paare" findet sich auch in Nr. 187 (März 2016, S. 25f.) der KMG-Nachrichten, eine Besprechung des 2. Bandes in Nr. 188 (Juni 2016, S. 26) der KMG-Nachrichten. Beide Rezensionen sind von Christoph F. Lorenz verfasst. Weitere Rezensionen gibt es bei Amazon.
mugwort
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von mugwort »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Besten Dank, rodger, für die Kommentare, die Zitate, die Zusammenfassungen!

Eine Besprechung des 1. Bandes der "Unsterblichen Paare" findet sich auch in Nr. 187 (März 2016, S. 25f.) der KMG-Nachrichten, eine Besprechung des 2. Bandes in Nr. 188 (Juni 2016, S. 26) der KMG-Nachrichten. Beide Rezensionen sind von Christoph F. Lorenz verfasst. Weitere Rezensionen gibt es bei Amazon.
.... und ich bin so neugierig geworden, dass ich mir zumindest den dritten Band vorbestellt habe (alle drei schaffe ich doch zeitlich nicht...) ;-)

Viele Grüße
mugwort
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Von den Bänden 1 und 2 besitze ich noch ein paar Exemplare. An wirklich interessierte May-Freunde würde ich sie gratis abgeben. :wink:
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

In rodgers Besprechung findet sich sehr viel Positives, was mich natürlich erfreut. Eine etwas längere Anmerkung möchte ich aber zum Hauptpunkt in rodgers eher KRITISCHEN Passagen formulieren.

rodger widerspricht, wenn ich auf einer „Unsterblichkeit“ der individuellen PERSON insistiere. Die Herzmitte aller 3 Bände der „Unsterblichen Paare“ ist in der Tat die Hoffnung auf eine „ewige“ Liebe, die durch den Tod nicht zerstört, sondern erfüllt und vollendet wird. Nach meinem persönlichen Hoffnungsentwurf (der allerdings in den biblischen Schriften und in wichtigen Denktraditionen der europäischen Geistesgeschichte ein gutes Fundament hat und außerdem mit interessanten Ergebnissen der modernen Hirnforschung kompatibel ist) kommt die Person des Einzelnen im Wandlungsprozess des Sterbens zu ihrer vollen Identität, zur Erfüllung ihres bisher unerfüllten Wesens: in unvergänglicher Gemeinschaft mit Gott und der ganzen Schöpfung. Wie aber ist diese letzte Erfüllung zu denken? Meines Erachtens NICHT so, „dass wir mit einem differenzlosen All-Einen verschmelzen, in dem zuletzt alles Konkrete und Personale verschwinden und spurlos sich auflösen müsste, sondern derart, dass wir einer alle umgebenden Liebe begegnen, die das konkrete Einzelne in seiner Differenz und seinem Zusammenspiel mit anderem bejaht“ (so der Theologe Hans Kessler im Widerspruch zu manchen Strömungen in manchen fernöstlichen Religionen und zu esoterischen Tendenzen im Westen, aber in völliger Übereinstimmung mit nahezu allen namhaften katholischen und evangelischen Theologen der Gegenwart – im vollen Konsens übrigens auch mit Karl May).

HIERIN bin ich ganz bei rodger: WIE ein postmortales Weiterleben aussehen wird, davon habe ich keine konkrete Vorstellung. Aber ich habe eine Vorstellung davon, wie es NICHT aussehen wird. Ich glaube nicht – und hierin liegt wohl die Differenz zu rodger – an eine Auflösung der individuellen Person in irgendeinem Einheitsbrei. Ich glaube zwar NICHT (hierin stimme ich rodger wieder zu), dass wir im „Jenseits“ einen materiellen „Körper“ haben. Aber ich glaube und hoffe, dass unser „armseliges Erden-Ich“ (rodger) verwandelt wird in ein neues, von aller Erdenschwere befreites Ich. Diese Hoffnung schließt zugleich die Vorstellung bzw. den Wunsch, die tiefe Sehnsucht mit ein, dass unser neues Ich ein kommunikatives Ich sein wird, das in dynamischer Beziehung steht mit Gott und der Kreatur.

Zuletzt noch eine sehr persönliche Bemerkung: WARUM ist mir eine Ewigkeitsperspektive für die individuelle Person so wichtig? Es sind im Wesentlichen drei Gründe.

Erstens: Wenn der Tod das absolute Ende der Person wäre, dann wäre am Ende alles vergeblich und das Leben wäre – aus meiner Sicht – sinnlos, weil der Tod dann „eine rückwirkend entwertende Kraft“ (Ernst Bloch) hätte. Auch das „Weiterleben“ in meinen Werken und in meinen (in meinem speziellen Fall nicht vorhandenen) Nachkommen ist für mich kein wirklicher Trost, weil früher oder später auch alle meine Werke und alle meine Nachkommen (selbst wenn es sie gäbe) vergessen sein werden.

Zweitens: Die Hoffnung auf ein personal verstandenes „ewiges Leben“ in der ganz anderen (für uns Irdische nur höchst unzureichend vorstellbaren) Seinsdimension Gottes entspricht dem Wesen der LIEBE. „Einen Menschen lieben heißt ihm sagen: Du wirst nicht sterben.“ (Gabriel Marcel) Wer liebt, möchte, dass das geliebte Du (durch Wandlungen, durch Läuterungs- und Reifungsprozesse hindurch) für immer Bestand hat. Ja, es gibt mehrere Menschen, die ich so sehr liebe, dass ich sie im „Himmel“ (in der Ewigkeit Gottes) in einer neuen Weise (die ich mir jetzt noch nicht vorstellen kann) wiederfinden möchte.

Drittens: Wenn es keine individuelle „Unsterblichkeit“ (bzw. keine „Auferstehung der Toten“) gibt, dann werden die Opfer der Weltgeschichte (die grausam Ermordeten, die brutal Gefolterten, die elend Verreckten, die rücksichtslos Ausgebeuteten, die schon im Mutterleib oder im Alter von nur wenigen Jahren Verstorbenen) nie wirklich getröstet und nie wirklich aufgerichtet werden. Und die Täter werden sich nie verantworten müssen, weder vor Gott noch vor ihren Opfern. Gegen eine solche Vorstellung wehrt sich alles in mir.

Im 3. Band der „Unsterblichen Paare“ werde ich diese Dinge ausführlicher erörtern: im Kontext der fundamentalen Religionskritik Ludwig Feuerbachs, Friedrich Nietzsches u.a., im Kontext nicht zuletzt auch der Poesie und der Religionsphilosophie Karl Mays. Zu meinen „Gewährsleuten“ zählen – neben Karl May – auch Dichter/innen wie Fjodor M. Dostojewski, Henrik Ibsen, Marie von Ebner-Eschenbach, Antoine de Saint-Exupéry, Hermann Hesse, Carl Zuckmayer, Marie Luise Kaschnitz, Elias Canetti oder Silja Walter. Dabei suche ich stets auch den Dialog mit Skeptikern und Agnostikern.

Viele Grüße
Hermann
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

(Zunächst einmal: dieser (meinerseits) alberne "rodger", den ich mir vor 13 Jahren mal ausgedacht habe, geht mir mittlerweile nur noch auf den Keks bzw. ist mir ein wenig peinlich … Du weißt ja wie ich heiße … :D )

Den "Einheitsbrei" haben wir ja schon hier auf Erden, nur sind wir uns dessen mehrschtenteels nicht so bewußt … Der Tropfen im Meer und das Meer im Tropfen, hatten wir schon mal hier,
rodger schreibt: »… ist doch auch das Meer der Tropfen und der Tropfen das Meer …«

Doro schreibt: »… Alles ist Eins!«

Wird ja immer schöner!!! Noch weitere Beiträge dieser Art, und ich werde Buddhist!
jenun, warum nicht, wobei man nicht Buddhist sein muß, um diese Anschauung mit ihnen zu teilen …

Bloch sieht das zu diesseitig …

Die individuelle Unsterblichkeit muß halt nichts mehr mit irdischen Personen zu tun haben, die eh sozusagen nur Abstrakta sind … (auch hier schon …)
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

[quote="Hermann Hesse ("Der Steppenwolf")"]Jede Geburt bedeutet Trennung vom All, bedeutet Umgrenzung, Absonderung von Gott, leidvolle Neuwerdung. Rückkehr ins All, Aufhebung der leidvollen Individuation, Gottwerden bedeutet: seine Seele so erweitert zu haben, daß sie das All wieder zu umfassen vermag.[/quote]
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Zwar zähle ich Hermann Hesse in UP 3 zu meinen "Gewährsleuten", aber nicht im Blick auf die von Rüdiger zitierte "Steppenwolf"-Stelle, sondern im Blick auf andere Stellen in anderen Hesse-Werken. :wink: Das Steppenwolf-Zitat verstehe ich nicht. Bedeutet jede Geburt eine "Absonderung von Gott"? Ist das "Gottwerden" das letzte Ziel unseres Erdendaseins?
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

Hesse ist neben Karl May der zweite Autor, dessen Gesamtwerk ich gelesen habe, teilweise mehrmals ... und immer wieder lesen kann ... derzeit gerade einmal wieder den "Steppenwolf". Wohltuend. (Und, na klar, zeitlos ... so 1927, so 2016 ...)

Ja, jede Geburt bedeutet (laut des Zitats) Absonderung von Gott. Die Formulierung "Gottwerden" klingt in der Tat vielleicht ein wenig, sagen wir, hoch gegriffen, aber ansonsten finde ich das Zitat bestens nachvollziehbar, "Aufhebung der leidvollen Individuation", genau so sollten wir den Tod sehen, nicht anders ...
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Dass die Geburt eine Trennung von Gott sein könnte, würde sich mir allenfalls dann erschließen, wenn ich an eine „Präexistenz“ der menschlichen Seele glauben würde. Allerdings muss ich zugeben, dass die „Individuation“ immer auch mit LEID verknüpft ist. Nur die unbelebte Materie ist frei vom Erdenleid. Andererseits ist die „Individuation“ die Voraussetzung für Kommunikation und LIEBE. Im Roman „Sophia oder der Anfang aller Geschichten“ (2015) von Rafik Schami meint Karim zu seiner Freundin Aida: »Schau dir all diese leblosen Dinge an, die keinen Verstand haben und keinen Kummer um ihr Dasein, sie werden noch auf Erden sein, lange nachdem wir verschwunden sind.« (S. 295) Doch Aida erwidert: »Ja, aber sie kennen die Liebe nicht, und deshalb ist ihr ewiges Leben nur eine Reihe von toten Stunden.« (S. 296)

Wäre nun der Tod bzw. das „ewige Leben“ die „Aufhebung der leidvollen Individuation“ (Hermann Hesse), so wäre dies ein fataler Rückschritt, ja die Aufhebung der Evolution. Die – von Karl May übernommene – biblische HOFFNUNG aber weist in eine ganz andere Richtung: Mit dem Tod endet zwar das LEID (wenn wir die schwierigen Themen „Hölle“ und „Fegefeuer“ einmal ausklammern), nicht aber die LIEBE. Im Gegenteil, überhaupt erst im Tod (bzw. jenseits des Todes) können wir zur eigentlichen Liebe befreit werden. Liebe aber setzt – wie gesagt – echte BEGEGNUNG und somit Personalität und Individualität voraus. (Wobei ich nicht ausschließen will, dass auch Tieren, analog und gestuft, eine Art „Personalität“ und somit „Unsterblichkeit“ zukommen könnte.)

PS: Zu Karl May und Hermann Hesse gibt es neuerdings eine Monographie von Hartmut Wörner.
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Andererseits ist die „Individuation“ die Voraussetzung für Kommunikation und LIEBE.
Nö ... stell Dir z.B. vor, zwei schwimmen später da oben als Wolken herum, oder sind als Zweige am Baum ... da können sie auch fein kommunizieren und sich lieben, sich dessen bewußt, daß sie als Wolken kurzlebige, vergängliche Erscheinungen sind, oder als Äste halt teil eines Baumes, der wiederum Teil eines Waldes ist, usw. ... :D
Zu Karl May und Hermann Hesse gibt es neuerdings eine Monographie von Hartmut Wörner.
Ich weiß, ich las sie schon. ("Soll ein Buch seinen Zweck erreichen ..." :D )
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rodger
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von rodger »

Hermann Wohlgschaft hat geschrieben:Doch Aida erwidert: »Ja, aber sie kennen die Liebe nicht, und deshalb ist ihr ewiges Leben nur eine Reihe von toten Stunden.«
Was weiß denn Aida ...
Wäre nun der Tod bzw. das „ewige Leben“ die „Aufhebung der leidvollen Individuation“ (Hermann Hesse), so wäre dies ein fataler Rückschritt
Nö ... wir sind im Jammertal, und dann sind wir es nicht mehr.
Hermann Wohlgschaft
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Re: "Unsterbliche Paare" von Hermann Wohlgschaft

Beitrag von Hermann Wohlgschaft »

Ein Hund, der weiß, dass er ein Hund ist, ist ein Mensch. :wink: Eine Wolke, die sich dessen "bewusst" (Rüdiger) ist, dass sie eine Wolke ist, ist folglich eine individuelle Person. Wenn die zwei Wolken bloß Wolken wären, würde ich ihr Herumschweben nicht als Liebe bezeichnen. :wink:

Ich will aber nicht bestreiten, dass der Ast ein Teil des Baumes ist und der Baum ein Teil des Waldes usw. Dass auch der endgültig erlöste, in Gott vollendete Mensch ein Teil des Universums bleibt, nehme ich durchaus an. :wink:
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