Karl May und der Frieden

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Rene Grießbach
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Karl May und der Frieden

Beitrag von Rene Grießbach »

An anderer Stelle hier im Forum schrieb rodger unlängst
Die Schlußpassage von "Und Friede auf Erden" liest sich für mich so daß er an Frieden auf Erden letztlich nicht geglaubt hat ...
Ich denke mal, auch wenn Helmut die Diskussion nicht neu beginnen wollte :wink: :
Wenn man die Schlusspassage von "Und Friede auf Erden" und die Anfangspassage von "Ardistan und Dschinnistan" zusammenfügt, dann findet man auch die Antwort auf die Frage "Hat er daran geglaubt?"
Ich bin davon überzeugt, dass er daran geglaubt hat, ganz fest (und nicht nur er) und er (und nicht nur er) kam zur Erkenntnis bzw. hat gewusst, dass sich "Friede auf Erden" nicht von selbst einstellt. Insofern ist der Schluß von "Und Friede auf Erden" leider ein sehr realistischer Schluß, angesichts der Zeit, in der der Roman entstand.
»Wir haben Taten verrichtet, die uns unsterblich machen.«
lässt Karl May seinen Hadschi Halef Omar in einem seiner Bücher sagen.
Er hatte recht, seine Helden und seine Geschichten sind unsterblich geworden. Die abenteuerlichen Geschichten sind es, die wohl den meisten einfallen, wenn sie an Karl May denken. Das ideelle Vermächtnis Karl Mays, sein Aufruf zu Frieden, Toleranz und Völkerverständigung, ist manch einem vielleicht weniger bekannt oder zumindest bewusst. Dabei ist gerade dieses Erbe in unserer heutigen Zeit von (teilweise leider sogar buchstäblicher) brennender Aktualität.
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rodger
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von rodger »

Rene Grießbach hat geschrieben: Wenn man die Schlusspassage von "Und Friede auf Erden" und die Anfangspassage von "Ardistan und Dschinnistan" zusammenfügt
Der letzte Satz der endgültigen Fassung von "Ardistan und Dschinnistan" [deren Schlußkapitel "Nach der Grenze empor" heißt] lautet hingegen
Wir aber wendeten unsern weitern Aufstieg nun den Bergen, über deren Pässe der Weg nach Dschinnistan führte, und unsrem hohen, weiteren Ziele zu.
Und dasselbe [hohe, weitere Ziel] liegt eben nicht auf Erden.

:D

(da fällt mir wieder ein, wie der Tadzio da am Schluß vom "Tod in Venedig" den Arm hebt, "als ob er, die Hand aus der Hüfte lösend, hinausdeute, voranschwebe ins Verheißungsvoll-Ungeheure" ist's im Buch formuliert, die Filmszene unvergessen, spektakulär gebeutelt hat's mich seinerzeit vor 44 Jahren im Kino, mittlerweile sehe ich solche Sachen ganz gelassen ... :D ) (Es ist halt so ...)
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Doro
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von Doro »

Ich wage mal schüchtern einzuwerfen, dass das trotzdem nicht bedeutet, dass dieser Weg nicht über den Frieden (einer der Berge oder Päße?) führte... . Hinauf zum edlen Ziel ... 8).
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rodger
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von rodger »

Das Zitategedächtnis meldet putzigerweise spontan "Es wär' so schön gewesen, es hatt' nicht sollen sein" :D in Sachen "Frieden auf Erden" ... was zwar irgendwie einigermaßen komisch ist, aber durchaus bitter ernst gemeint ...
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rodger
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von rodger »

Das mit dem Arm kann man sich übrigens im Internet angucken, realisierte ich gerade. Z.B. in dem hübsch zusammengestellten Sechseinhalbminutenvideo von der 'Lady Aislinn'. Bringt die Angelegenheit ohne Worte einigermaßen auf den Punkt. (Ist nicht die Filmmusik, aber dennoch durchaus reizvoll. Nur daß da die ganze Zeit "Gaby" eingeblendet ist ist etwas irritierend ... :mrgreen: )

(Ich las übrigens seitens offenbar ganz großer Schlaumeier daß nach dem Erscheinen der Tagebücher ja klar sei, daß es im "Tod in Venedig" um gleichgeschlechtliche Liebe ginge. Nee, geht es nicht. Um die Unerfüllbarkeit der Liebe auf Erden geht es. So wie bei Karl May in Band 30 entspechend um die des Friedens.)

8)
Rene Grießbach
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von Rene Grießbach »

Am Ende des Romans "Und Friede auf Erden" steht die erschreckend, lähmend wirkende Nachricht:
„Meine Brüder, es gibt --- Krieg!“
Ein Gefühl der Ohnmacht ist es, der hier zum Ausdruck kommt.
Damit stellt dieser Roman eine Ausnahme in Karl Mays Gesamtwerk da. Dahingehend nämlich, dass er keinen positiven Abschluss findet. Das Buch entlässt den Leser in gedrückter Stimmung.
Eine Stimmung, die beinhaltet, dass man machtlos ist gegen den Krieg. Womit "Und Friede auf Erden" dahingehend eine Sonderstellung einnimmt, dass es als einziger der May´schen Romane keinen positiven Abschluss findet.

Und doch, in „Und Friede auf Erden!“ finden wir in den letzten, der Schreckensmeldung folgenden abschließenden Zeilen einen leisen Funken der Hoffnung als leuchtenden Schimmer am Horizont.
„... Wir feiern heut den Shen-Ta-Shi, den großen Tag der „Shen“, doch reicht er über Tag und über Nacht, geht über Monden, über Sonnen hin und wird auf Erden nie und nimmer enden!“
Da faltete der alte, ehrwürdige Reverend die Hände und sprach:
„Die allerhöchste Gnade und der allerhöchste Schutz! Im Sinne unserer „Shen“ also die
Gnade und der Schutz des Allmächtigen und Allliebenden, bei dem es ewig Frieden gibt, selbst wenn des Krieges Ruf hier bei uns Törichten sogar am „großen Tag der Menschlichkeit“ erklingt. Hinauf zu ihm, zu unserer Kapelle! Gleich ist es Mitternacht; sie soll uns betend – dankend – hoffend finden!“
Eine Hoffnung, dass sich die im Buchtitel enthaltene Forderung doch noch erfüllen werde, allen weltlichen Hindernissen zum Trotz. Dabei bleibt das Romanende dennoch sehr vage.

Die Gedanken, die sich Karl May offensichtlich um diesen wichtigen Fragenkomplex gemacht hatte, finden am beginn von "Ardistan und Dschinnistan" einen Ausdruck.
Wenn dort zu lesen ist
der stolze Krieg steigt nie zum Frieden herab, um ihm die Hand zu reichen, sondern der Friede muß zu ihm empor, um ihn, der ewig widerstreben wird, herabzuschmettern. Hat der Krieg eine eiserne Hand, so habe der Friede eine stählerne Faust! Nur die Macht imponiert, die wirkliche Macht. Will der Friede imponieren, so suche er nach Macht, so sammle er Macht, so schaffe er sich Macht. Du siehst, daß der Friede niemals wirklich Friede sein kann. Er ist es nur so lange, als er die Macht besitzt, es zu sein. Er hat stets auf Vorposten zu stehen. Sobald er sich beschleichen und überfallen läßt, tritt der Feind an seine Stelle. Alle Rüstung der Erde und alle Rüstung ihrer Völker war bisher auf den Krieg gerichtet. Als ob es unmöglich wäre, in eben derselben und noch viel nachdrücklicherer Weise auf den Frieden zu rüsten!

dann heißt das doch auch, dass Karl May die Erfüllung der Worte "Und Friede auf Erden" eben nicht eine Sache von einem Gott sein ließ, sondern dass das ein Werk ist, welches von den Menschen selbst erfüllt werden muss.
Das Romanende
Wir aber wendeten unsern weitern Aufstieg nun den Bergen, über deren Pässe der Weg nach Dschinnistan führte, und unsrem hohen, weiteren Ziele zu.
heißt in dem Zusammenhang für mich eben nicht, dass der Frieden, der Weltfrieden, das hohe, weitere Ziel, jenseits unseres irdischen Daseins liegt.
Denn dass mit dem hohen, weiteren Ziel (auch) die Erfüllung der Worte "Und Friede auf Erden" gemeint ist, steht für mich außer Zweifel.

Ganz am Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn schrieb Karl May in seinen "Geografischen predigten unter anderem
Und doch möchte das Herz gern an eine Zeit glauben, in welcher das Schwert zur Sichel wird und die Weissagung der himmlischen Heerschaaren: „Friede auf Erden“ in Erfüllung geht.
und im "Buch der Liebe":
Eines der höchsten irdischen Güter
sowohl für den Einzelnen als auch für die Völker im Großen und Ganzen ist der Friede.
was für mich nichts anderes heißt, als dass für Karl May dieses Ziel sehr wohl auf Erden errungen werden kann und muss.

Und das Thema Frieden durchzog letztendlich (sicher mehr oder weniger deutlich ausgeprägt) sein Werk von Anfang bis Ende, das zeigen die eben zitierten Worte aus Karl Mays Frühwerk und die abschließenden Worte seiner allerletzten Erzählung:
Es sei Friede! Es sei Friede!
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rodger
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von rodger »

Rene Grießbach hat geschrieben:Am Ende des Romans "Und Friede auf Erden" steht die erschreckend, lähmend wirkende Nachricht:
„Meine Brüder, es gibt --- Krieg!“
Ein Gefühl der Ohnmacht ist es, der hier zum Ausdruck kommt.
Damit stellt dieser Roman eine Ausnahme in Karl Mays Gesamtwerk da. Dahingehend nämlich, dass er keinen positiven Abschluss findet. Das Buch entlässt den Leser in gedrückter Stimmung.
Die wesentlichere Stelle [in Sachen Botschaft des Buches] als "es gibt --- Krieg!" ist "Die Leiche eines aus dem Paradies Gestürzten fiel in das Licht; da dunkelte es für einen Augenblick, und dieser Augenblick ist unser Erdenleben". Krieg geht vorüber. Die Verdunklung geht aber innerhalb dieses unseres Erdenlebens, bei dem es sich um "einen Augenblick" handelt, nicht vorüber ...

Diese Erkenntnis muß nicht unbedingt ein Gefühl der Ohnmacht auslösen, auch keine gedrückte Stimmung ...

Einen "positiven Abschluß" sehe ich, um bei zwei klassischen Beispielen zu bleiben, weder bei "Winnetou" noch im Orientzyklus ...
die Gnade und der Schutz des Allmächtigen und Allliebenden, bei dem es ewig Frieden gibt, selbst wenn des Krieges Ruf hier bei uns Törichten sogar am „großen Tag der Menschlichkeit“ erklingt.
(habe ich glaube ich schon mal genau so markiert, seinerzeit in einer Antwort auf Helmut Moritz, meldet das Langzeitgedächtnis ...)
der stolze Krieg steigt nie zum Frieden herab, um ihm die Hand zu reichen, sondern der Friede muß zu ihm empor, um ihn, der ewig widerstreben wird, herabzuschmettern. Hat der Krieg eine eiserne Hand, so habe der Friede eine stählerne Faust! Nur die Macht imponiert, die wirkliche Macht. Will der Friede imponieren, so suche er nach Macht, so sammle er Macht, so schaffe er sich Macht. Du siehst, daß der Friede niemals wirklich Friede sein kann. Er ist es nur so lange, als er die Macht besitzt, es zu sein. Er hat stets auf Vorposten zu stehen. Sobald er sich beschleichen und überfallen läßt, tritt der Feind an seine Stelle. Alle Rüstung der Erde und alle Rüstung ihrer Völker war bisher auf den Krieg gerichtet. Als ob es unmöglich wäre, in eben derselben und noch viel nachdrücklicherer Weise auf den Frieden zu rüsten!

dann heißt das doch auch, dass Karl May die Erfüllung der Worte "Und Friede auf Erden" eben nicht eine Sache von einem Gott sein ließ, sondern dass das ein Werk ist, welches von den Menschen selbst erfüllt werden muss.
Ja. Gerüstet. :D
Ganz am Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn schrieb Karl May in seinen "Geografischen predigten unter anderem
Und doch möchte das Herz gern an eine Zeit glauben, in welcher das Schwert zur Sichel wird und die Weissagung der himmlischen Heerschaaren: „Friede auf Erden“ in Erfüllung geht.
Ja, es möchte glauben, das Herz, [aber es kann nicht,] wie schon geschrieben: "Es wär' so schön gewesen, es hat nicht sollen sein ..."
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Doro
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von Doro »

Konform gehe ich mit der Aussage, dass Frieden nicht nur dort, sondern sehr wohl erst hier auf Erden sein muss.
Nämlich in den Herzen derer, die nach Dschinnistan hinauf wollen. Ohne diesen Frieden in Ihren Herzen werden sie dort nämlich nicht ankommen, sondern auf dem Weg bleiben müssen. Der Weg ist das Ziel hat schon was damit zu tun.
Deshalb könnte einer dieser Berggipfel durchaus das Ereignis, die Prüfung, sein, die den Frieden in den Menschen, in den Herzen, entstehen lässt und von dort hinaus nicht nur auf den Weg, sondern auch das Ziel in hellem Licht erstrahlen lässt.
Meiner Meinung wieder mal ein 'Sowohl als auch ... ' anstatt ein 'Entweder oder ... '
:mrgreen:
Letztendlich die Macht zu erstreben, hmmm, damit kann ich nicht wirklich etwas anfangen, aber gut, wenn er es schrob, wird er schon gewusst haben warum, weshalb, wieso und, wozu ... klingt allerdings sehr nach Glaubenssatz anstatt Überzeugung. Die Religionen versuchen schon seit Gedenken den Frieden durch Macht zu erzwingen, wohin es führte ist allüberall zu sehen. Glauben ist innen, Religion im außen, hat nicht wirklich viel miteinander zu tun, denk ich.
Soweit meine 5 cents dazu geworfen. 8) :wink:
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rodger
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von rodger »

Doro hat geschrieben: Ohne diesen Frieden in Ihren Herzen werden sie dort nämlich nicht ankommen, sondern auf dem Weg bleiben müssen. Der Weg ist das Ziel hat schon was damit zu tun.
Deshalb könnte einer dieser Berggipfel durchaus das Ereignis, die Prüfung, sein, die den Frieden in den Menschen, in den Herzen, entstehen lässt und von dort hinaus nicht nur auf den Weg, sondern auch das Ziel in hellem Licht erstrahlen lässt.
Meiner Meinung wieder mal ein 'Sowohl als auch ... ' anstatt ein 'Entweder oder ... '
Bedenkenswert.

In etwa in die Richtung geht auch Mays "sie soll uns betend – dankend – hoffend finden!": Das, was ist, ist nicht veränderbar, aber die Haltung zu dem, was ist.
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Doro
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von Doro »

rodger hat geschrieben: In etwa in die Richtung geht auch Mays "sie soll uns betend – dankend – hoffend finden!": Das, was ist, ist nicht veränderbar, aber die Haltung zu dem, was ist.
Mmmmhhh, nun ja, verändert mensch nicht gerade durch die Haltung zu dem was ist, das was ist? Die Zukunft ist noch nicht da, die Vergangenheit längst vorbei. Aber jetzt in diesem Moment kann sich schon was verändern ... zumindest für die Wahrnehmung desjenigen der seine Haltung verändert 8) :wink: 8)
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von Doro »

Dies wird vllt. (und hoffentlich) ein bisl was verändern, in der Haltung, oder der Wahrnehmung. Am Besten sowohl als auch! So wird sich Karl May auch heute noch mit dem Thema Frieden herumschlagen müssen :wink: . Es hätte mich interessiert, was er dazu zu sagen hätte 8)
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Re: Karl May und der Frieden

Beitrag von rodger »

Doro hat geschrieben: So wird sich Karl May auch heute noch mit dem Thema Frieden herumschlagen müssen :wink: . Es hätte mich interessiert, was er dazu zu sagen hätte
Nichts Neues. (Es gibt nichts Neues ...) Er würde vielleicht auf die letzten Seiten von "Und Friede auf Erden" verweisen. Die sind wie alle wesentliche Literatur ganz zeitlos ...
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