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Karl Mays religiöse Ansichten

Verfasst: 25.7.2009, 20:40
von Rene Grießbach
Zu seinen religiösen Ansichten ist zwar schon sehr oft und sehr viel und in verschiedensten Zusammenhängen - auch hier im Forum - diskutiert worden, aber dennoch will ich´s mal wieder zur Sprache bringen.

Mir ist nämlich heute beim Lesen von "Die Liebe des Ulanen" eine Passage aufgefallen, die mir bei früherer Lektüre so nicht aufgefallen ist (ich weiß, blöde Formulierung mit dem zweimal "aufgefallen" :-) ).
Da spricht der Marabut (eigentlich ein französischer Baron, der in Algerien Buße tun will) zu seinem Sohn kurz vor seinem Tode:
"... Ich habe dich den Glauben der Christen und auch den Glauben der Mohammedaner kennen gelehrt. Du betest die Suren des Korans; du absolvierst die vorgeschriebenen Werke und Waschungen; aber du betest auch die Gebote der Christen und ihre Lieder. Der Taufe nach bist du ein Christ; dem Leben und der Gesinnung nach bist du weder Moslem, noch Christ, sondern ein frommer Mensch, welcher seinem Schöpfer dient, ohne zu fragen, ob er denselben Gott oder Allah nennen müsse." (zitiert aus der Weltbildausgabe "Napoleons letzte Liebe", Seite 292)

Unter Berücksichtigung dessen, dass für Karl May nach meinem Verständnis nie wirklich wichtig war, ob er nun als Protestant oder als Katholik galt, scheint mir diese um 1884/85 niedergeschriebene Aussage doch sehr interessant zu sein, nimmt sie hier ja deutlichst einen der wesentlichen Gedanken des Spätwerkes (religiöse Toleranz) vorweg.

Re: Karl Mays religiöse Ansichten

Verfasst: 25.7.2009, 21:37
von sven.becker.kiel
Wobei diese 'religöse Toleranz' — ähnlich wie zunächst Lessing in seiner Ringparabel ("Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen für den erträglicheren zu halten.") — auf halbem Wege stecken bleibt: May schafft es (für mich: leider) nicht, den Rahmen der Toleranz größer abzustecken; etwa in einer Formulierung wie "Der Taufe nach bist du ein Heide; dem Leben und der Gesinnung nach bist du weder gläubig, noch ungläubig, sondern ein guter Mensch, welcher seinem Gewissen folgt, ohne zu fragen, ob er einem Gott folgen müsse oder nicht."

Ich finde es bedauerlich, dass ein Autor von der sonstigen Begabung und Bedeutung Karl Mays, gleichgültig, ob aufgrund eigener Engstirnigkeit oder Angst vor Repression, im Jahre 1885 solch eine halbgare Position einnimmt. Man bedenke: Das Essay Kant's, 'Was ist Aufklärung?', erschien bereits 1784. Lessing war dann doch konsequenter: "An die Stelle der Religion muss die Überzeugung treten."

Re: Karl Mays religiöse Ansichten

Verfasst: 25.7.2009, 22:37
von rodger
Da ist nichts halbgar. Man muß nicht jeden Essay gelesen haben, um überkonfessionell religiös oder spirituell zu sein, oder einfach: seine Überzeugung 'in dieser Richtung' zu haben.

Re: Karl Mays religiöse Ansichten

Verfasst: 27.7.2009, 8:53
von sven.becker.kiel
Aber eben das ist ja das Halbgare: "überkonfessionell religiös oder spirituell" ist eben (noch) nicht 'überweltanschaulich', sodass auch a-religiöse oder a-spirituelle Anschauungen als gleichwertig toleriert oder gar akzeptiert würden. — Religionen haben leider zu oft den Hang zum Absolutismus und sehen daher relativistische Ansätze naturgemäß als Angriff auf ihr elitäres Selbstwertgefühl. Da fehlt (mir) einfach noch das entscheidende Quentchen Bescheidenheit, um eine Welt in Freiheit, Gleichheit und Brüder-/Schwesterlichkeit für alle zu erreichen. — May hat ja auch in diese Richtung seine Anwandlungen, aber immer ist es die Rothaut, die, obwohl sie zu Manitu betet, das Gute tut; oder der muslimische Orientale, der ausnahmsweise einmal ehrlich und gerecht handelt. Das traut er einem Gottlosen anscheinend nicht zu; ich habe allerdings den Eindruck, dass er es eher nicht aus Glaubensdünkel tut – denn so engstirnig schätze ich ihn nicht ein –, sondern, weil er schlicht vor dem Zeitgeist kuschte, um seinen ökonomischen Erfolg nicht zu gefährden: Wes Brot ich ess', des Lied ich sing.

Re: Karl Mays religiöse Ansichten

Verfasst: 27.7.2009, 10:41
von rodger
sven.becker.kiel hat geschrieben: eine Welt in Freiheit, Gleichheit und Brüder-/Schwesterlichkeit für alle zu erreichen.
Wie sagte mal ein Kollege sehr hübsch in ganz anderem Zusammenhang, "In dieser Spielzeit nicht mehr" ...
sven.becker.kiel hat geschrieben: May hat ja auch in diese Richtung seine Anwandlungen, aber immer ist es die Rothaut, die, obwohl sie zu Manitu betet, das Gute tut; oder der muslimische Orientale, der ausnahmsweise einmal ehrlich und gerecht handelt. Das traut er einem Gottlosen anscheinend nicht zu; ich habe allerdings den Eindruck, dass er es eher nicht aus Glaubensdünkel tut – denn so engstirnig schätze ich ihn nicht ein –, sondern, weil er schlicht vor dem Zeitgeist kuschte, um seinen ökonomischen Erfolg nicht zu gefährden: Wes Brot ich ess', des Lied ich sing.
Da gehen wir einigermaßen konform.