Brief Mays zu A & D

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rodger
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Brief Mays zu A & D

Beitrag von rodger »

Der umfangreiche Bestand der Briefe Karl Mays harrt weiter der Gesamtveröffentlichung, immerhin gibt es ja seit kurzem auf den Seiten der KMG ein Register. In Einzelveröffentlichungen der KMG findet man aber immer wieder mal einzelne Briefe oder mehrere derselben zu einem bestimmten Thema, und das kann hochinteressant bis verblüffend sein.

So las ich gerade einen Artikel aus den Mitteilungen der KMG Nr. 78 von 1988: „Randbemerkungen zu Therese Keiter, Otto Denk und zum Mir von Dschinnistan“ von Wilhelm Vinzenz, in dem ein Brief Mays zitiert wird, aus dem eindeutig (und von May hier geradezu penetrant wiederholend vorgetragen) hervorgeht, daß der zweite „Dschinnistan“-Band eigentlich gar nicht vorgesehen war, May den Roman in der meist heiteren, entspannten Grundhaltung des ersten Bandes belassen und mit diesem Band enden lassen wollte, und nur nach energischer Aufforderung des Redakteurs Denk den zweiten Band in seiner Ernsthaftigkeit und seinem Gedankenreichtum auf Wunsch so schrieb („Gut, machen wir den MIR möglichst gedankenhoch und gedankenvoll ! Herr Dr. Denk will es so !“).

Schon der erste Band ist ja, auf andere Art, ein Entgegenkommen an die Hausschatz-Redaktion, orientiert sich, nach dem schwerer verdaulichen SILBERLÖWEN, deutlich wieder mehr am Durchschnittsleser bzw. kommt ihm doch einigermaßen entgegen, es gibt wieder mehr Handlung, es gibt, leicht abgewandelt, die alten, komischen Szenen mit Hadschi Halef.

Das vielgelobte Alterswerk gleichsam als Auftragsarbeit bzw. weitgehend von Außenstehenden in seiner Art beeinflusst, einmal so herum und dann wieder anders herum, ein gewöhnungsbedürftiger aber wohl nicht ganz falscher Gedanke.
Thomas Schwettmann

Beitrag von Thomas Schwettmann »

Hallo Rüdiger,

Ich weiß nicht, ob man nicht den alten May ein wenig auf dem Leim geht, wenn man seiner privatim geäußerten, wohlmöglich taktischen Erklärung folgt. Natürlich hätte er die Geschichte im Land der Ussul enden lassen, nur macht dann die ganze Einleitung mit Marah Durimeh überhaupt gar keinen Sinn mehr. Was wäre etwa mit dem angedrohten Krieg, den Kara Ben Nemsi schlichten soll? Auch der Titel 'Der Mir von Dschinnistan' wäre dann absurd gewesen, da der Mir ja erst viel später in der Handlung auftritt.

Schon im Anfang der Erzählung ist ja die Reise durch das gesamte Ardistan bis hin an die Grenze Dschinnistans skizziert, und das Licht der Vulkane, welches den Weg dorthin zeigt, ist zudem bereits beim Besuch der Priesterin beschrieben.

Der Brief scheint mir doch vom gleichen Schlage zu sein wie so manch andere Rechtfertigung und Neudeutung des Alters zu schlagen. Auch wärees nützlich zu wissen, was May im Brief vor der zitierten Passage schrieb, um den Kontext zu kennen, indem er solche Angaben gemacht hat.

Wenn May etwa angibt, daß er statt den 'Mir' im 2. Jahrgang fortzusetzen eigentlich 'Winnetou IV' für den 'Hausschatz' hätte schreiben wollen, so ist dies auch so eine nachträgliche Behauptung. Die Reise nach Amerika, die Hauptinspirationsquelle für den Roman, wurde ja vor Fertigstellung des Mirs gar nicht angetreten, der Roman war zu dem besagten Zeitpunkt wohl nicht einmal skizziert.

Nein, mir scheint doch eher, daß sich May in den Brief von möglichen Vorwürfen, sein 'Mir' hätte sich als Mißerfolg für den 'Hausschatz' entpuppt, frei waschen will. Möglicherweise hat es zwischen Denk und May einen Briefwechsel in der Richtung gegeben, daß der Redakteur ein mehr von gedankenhoch und gedankenvoll eingefordert hatte, eben weil ihm das Kapitel aus dem Ussulland als zu humoristisch daher kam. Möglicherweise drohte ja umgekehrt Denk mit Abbruch, falls May seine Handlung nicht gehaltvoller fortführte.

Man müßte halt auch diesen Briefwechsel kennen, um den Sachverhalt insgesamt beurteilen zu können. Mir jedenfalls scheint die Handlung in der Einleitung und im Ussul-Kapitel eine derart geplante frühzeitige Beendigung des Romans nicht nahezulegen.

Viele Grüße
Thomas
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rodger
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Beitrag von rodger »

Hallo Thomas,

May war nicht immer so logisch wie Du, und ...
(mit einem schönen Gruß an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, und das ist auch gut so, hätte ich fast gesagt)

Innerhalb der beiden Bände gibt es eine ganz deutliche Zäsur, und zwar mit dem Ende des ersten Kapitels des zweiten Bandes (in der Bamberger Ausgabe hat man dem Rechnung getragen und dieses Kapitel mit in den ersten Band hineingenommen), und eine Art Schlußapotheose mit diesem Kapitel. Man hat dann zu Beginn des zweiten Kapitels des zweiten Bandes schon den Eindruck, als begänne geradezu ein neues Werk.

Beste Grüße

Rüdiger


(Das war jetzt auch nicht schlecht: Gibt man im GOOGLE zur Abklärung eines Begriffs SCHLUSSAPOTHEOSE ein, erscheint da tatsächlich am Anfang und Ende der Seite: Meinten Sie Schloßapotheke) :lol:
Zuletzt geändert von rodger am 7.6.2004, 21:51, insgesamt 1-mal geändert.
Werder
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Briefe Mays an Otto Denk und Karl Pustet

Beitrag von Werder »

Thomas Schwettmann hat geschrieben:
Man müßte halt auch diesen Briefwechsel kennen, um den Sachverhalt insgesamt beurteilen zu können. Mir jedenfalls scheint die Handlung in der Einleitung und im Ussul-Kapitel eine derart geplante frühzeitige Beendigung des Romans nicht nahezulegen.
Ein Teil der Briefe Mays an Otto Denk und Karl Pustet, u. a. auch der in den M-KMG 78 zitierte vom 11.01.1909, ist auf den Seiten 19 bis 62 im Jb-KMG 1985 veröffentlicht.

Gruß
Frank
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