Der mysteriöse Pass...

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Tobias K.
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Der mysteriöse Pass...

Beitrag von Tobias K. »

Hallo! - Ich habs sehr ähnlich grade privatgebloggt, aber ich nehme an, hier habe ich eine bessere Chance auf eine Antwort... ;)

Ich reite zur Zeit wiedereinmal 'durch die Wüste', will sagen: Durch sechs Bände Orientzyklus (in der HKA).
Und erstaunt stellte ich beim (wievielten? Ich habe aufgehört zu zählen...) Lesen fest, dass da eine Lücke in Kara Ben Nemsis Reiseerzählung klafft. Ausgrechnet bei der Frage der Legitimation. Jeder Karl May-Leser kennt den beinahe schon magischen Pass des Ich-Erzählers, den Ausweis, den er vom Großherrn besitzt, das Budjerduldu des Padischa, mit dem er selbst feindseligste Richter und Polizisten tatsächlich zu seinen Verbündeten machen kann. Nur stellte ich nun erstaunt fest: Den besitzt er nicht von Anfang an - und zugleich bleibt gänzlich unklar, woher er ihn hat...

Verkürzt dargestellt:
Beim Wekil von Kbili muß sich Kara Ben Nemsi zum ersten Mal ausweisen. Er besitzt einen einfachen Paß, jedoch nur vom französischen Gouverneur in Algier.
»Wer bist du?«
»Hier ist mein Paß.«
Ich gab ihm das Dokument in die Hand. Er warf einen Blick darauf, faltete es zusammen und steckte es in die Tasche seiner weiten Pumphosen. [...]
»Er ist mit den Zeichen der Ungläubigen geschrieben. Von wem hast du ihn?«
»Von dem französischen Gouvernement in Algier.«
»Das französische Gouvernement in Algier gilt hier nichts. Dein Paß hat den Wert eines leeren Papieres. Also, wer bist du?«
Ich beschloß, den Namen zu behalten, welchen mir Halef gegeben hatte.
»Ich heiße Kara Ben Nemsi.«
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41526f.
(vgl. KMW-IV.1, S. 54f.)]
Und nachdem die orientalische Variante der Pantoffelherrschaft die rettende Wendung herbeiführt, jubelt Halef:
»Sie ist der Wekil und er die Wekila, und wir stehen uns hier besser im Giölgeda wekilanün, im Schatten der Statthalterin, als wenn wir ein Bu-Djeruldu hätten und der Giölgeda padischahnün, der Schatten des Großherrn, uns beschützte. Hamdulillah, Preis sei Allah, daß ich nicht so glücklich bin, der Wekil dieser Statthalterin zu sein!« – – –
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41560f.
(vgl. KMW-IV.1, S. 77)]
Später -nach der Rettung der geraubten Senitza und einer spektakulären Verfolgungsjagd auf dem Nil - gerät Kara Ben Nemsi vor Gericht. Als er sich ausweisen soll, verweist er auf seinen Paß und einen Reiseschein, betont zudem das Budjeruldu seines Begleiters Isla Ben Maflei.
»Wie meinst du das, Giaur?«
»Ich warne dich, mich mit diesem Worte zu beschimpfen! Ich habe einen Paß bei mir und auch einen Jzin-gitisch [Reiseschein] des Vizekönigs von Aegypten; dieser aber, mein Gefährte, ist aus Istambul; er hat ein Bu- djeruldu des Großherrn und ist also ein Giölgeda padischahnün.«
»Zeigt die Scheine her!«
Ich gab ihm den meinigen, und Isla legte ihm den seinigen vor. Er las sie und gab sie uns dann mit verlegener Miene zurück.
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41665f.
(vgl. KMW-IV.1, S. 146)]
Ein weiteres Kapitel befindet er sich am roten Meer, ein Teil Wegstrecke ist in der Erzählung übersprungen - und es kommt plötzlich die überraschende Wendung, als er sich von einem Schiffsbesitzer nicht herunterputzen lassen will:
Ich ließ mein Kamel niederknieen, stieg ab und zog meinen Paß hervor.
»Muhrad Ibrahim, du siehst, daß wir uns noch weniger vor euch fürchten, als ihr vor uns; du hast einen sehr großen Fehler begangen, denn du hast einen Effendi beleidigt, der im Giölgeda padischahnün steht!«
[Karl Mays Werke: Durch die Wüste. Karl Mays Werke, S. 41685
(vgl. KMW-IV.1, S. 158)]
Bleibt also die Frage: Woher hat Kara Ben Nemsi plötzlich den Reisepass, der ihn unter den Schutz des Großherrn stellt? Ich bin mir ziemlich sicher, darüber bereits eine Episode gelesen zu haben, in der er auf recht trickreiche Weise an denselben kommt, allerdings ohne jedoch wirklich mit dem Großherrn aufeinanderzutreffen. Ganz im Gegenteil zu der filmischen Darstellung desselben im Film ('Durchs wilde Kurdistan / Im Reiche des Löwen') ist es kein imposanter Empfang wegen seinen Heldentaten - sondern ein Schwindel deluxe... Klassischer Karl May eben...

Nur: Wo hab ich das nur gelesen?

Erstes Fundstück:
»Habe keine Angst, Halef! Ich trage in meiner Tasche einen Firman des Schah-in-Schah, welcher in eigener Gegenwart des Herrschers untersiegelt worden ist. Dagegen kann kein Särtix aufkommen.«
»Woher hast Du diesen Firman? Kennt Dich der Schah?«
»Nein, und ich kenne ihn auch nicht; wir stehen uns also in dieser Beziehung vollständig gleich. Du hast doch meine türkischen Legitimationen gesehen; bessere, als ich hatte und noch habe, gibt es nicht, und doch war ich dem Sultan unbekannt. Aber ich habe einen sehr guten und sehr einflußreichen Freund in Stambul; das ist Mustapha Moharram Agha, der Kapudschi38 der hohen Pforte; der hat mir die Papiere besorgt; kein Fürst kann wirkungsvollere bekommen. Solche einflußreiche Personen gibt es auch anderswo; man muß die Schliche nur kennen. Persische Firmans sind nicht nur in Persien zu bekommen.«
[Karl Mays Werke: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen. Karl Mays Werke, S. 63209
(vgl. KMW-IV.27-304, S. 193-194)]
Nur: Da reisen Kara und Halef bereits seit langer Zeit gemeinsam, Halef ist schon lange mit Hanneh verheiratet - und somit liegt die Geschichte Jahre nach den oben erwähnten zu verorten. Und also auch ein anderer Paß gemeint. Sollte ich tatsächlich zwei Fälle durcheinanderwerfen? Dann bleibt aber die Frage: Woher hat er die erste Legitimation des Großherrn?
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markus
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von markus »

Das wurde meines Wissens von den Bearbeitern der gesammelten Werke in Band 1 der selben Reihe kurz eingeschoben, die Erklärung dafür, daß er am roten Meer auf einmal den Bujuruldu des Großherrn besitzt. Die Erklärung beginnt mit: "Wie kam ich zu dem Bujuruldu? Der Leser wird sich erinnern, daß ich weder in Tunesien noch in Ägypten einen solchen Ausweiß besaß. Aber in Kairo war es mir nach dem im vorigen Kapitel Erzählten gelungen..." usw. Also es wird drauf hingewiesen, daß er in Kairo einem hohen Beamten einen Dienst erwiesen hat und dafür den Pass bekam (im Original kommt es nicht vor).

In Band 60 der GW wird sogar ausführlich über diese Zeit berichtet (nicht von Karl May selber, aber von den Bearbeitern).

Die Einleitung von Ihnen "Ich reite zur Zeit wiedereinmal 'durch die Wüste'..." gefällt mir schonmal. Man liest es eben nicht, man reitet mit.

:D
Zuletzt geändert von markus am 16.6.2010, 22:02, insgesamt 1-mal geändert.
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Tobias K.
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von Tobias K. »

Huch - bedankt für den schnellen Hinweis und die freundliche Aufnahme eines Forengreenhorns...

Ich frage mich dennoch, ob May selber tatsächlich so flüchtig war (Hach - was ein ungeplantes Wortspiel...) - oder sich die Geschichte irgendwo anders noch vorbehielt. Immerhin sind Ausweise für ihn eines der Schlüsselmotive. Andererseits hat er ja vor allem zu Beginn ganz schön geflickwerkt und beispielsweise die Senitza-Episode mal elegant dazwischengebügelt...

Und ich glaube die Bearbeitung war auch in der WDR-Fassung mit Paul Klinger drin... ich erinnere mich düster... War das nicht die Heilung eines Kindes oder so? (Es wirkte wie eine Kopie einer Szene aus dem ersten Mahdi-Band, wenn ich mich recht entsinne...)

Was das Mitreisen angeht: Oh ja. Ironischerweise brach es bei mir beim letzten Durchgang (also letztes Jahr) mitten in der Todeskarawane ab. (Und die halte ich -wie Roxin- für eine der düstersten und dichtesten Episoden...). Allerdings habe ich seit dem letzten Mal Ihlmers Beobachtungen gelesen - und somit beginnt die altbekannte Strecke neu zu schillern. Quasi Karl May auf sich selber angewendet: Spurensuche halt...
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rodger
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von rodger »

Nur der Vollständigkeit halber und um Mißverständnisse zu vermeiden: das obige Zitat („Habe keine Angst, Halef!“ usw.) ist aus „Die Umm ed Dschamahl“.

Diese Stelle wiederum könnte den Bearbeiter von Band 1 der GW zu
Wie kam ich zu dem Bujrultu ? Der Leser wird sich erinnern, daß ich weder in Tunesien noch in Ägypten einen solchen Ausweis besaß. Aber in Kairo war es mir gelungen, einem einflussreichen Beamten einen kleinen Dienst zu erweisen. Er wollte sich mir erkenntlich zeigen und bat mich, einen Wunsch auszusprechen, dessen Erfüllung in seiner Macht läge. Und da ich bisher auf meiner Reise genug Gelegenheit gehabt hatte, die Wirkung eines Bujrultu zu beobachten, sprach ich eine diesbezügliche Bitte aus. Bereits am nächsten Tag besaß ich den wertvollen Pass.
inspiriert haben. (Ist dort in der Episode am Roten Meer eingefügt.)
Da reisen Kara und Halef bereits seit langer Zeit gemeinsam, Halef ist schon lange mit Hanneh verheiratet - und somit liegt die Geschichte Jahre nach den oben erwähnten zu verorten. Und also auch ein anderer Paß gemeint.
Das ist eben bei Karl May NICHT zwangsläufig so ... Es kommt bei ihm sozusagen vorne und hinten nicht hin mit zu vernachlässigenden Dingen wie genaue zeitliche Abfolge usw. ... Er hat sich um so etwas nie großartig gekümmert, weil es ihm eben um andere Dinge ging. Wir müssen ja auch innerhalb des Gesamtwerkes z.B. mit wenn ich mich recht erinnere vier Versionen des Kennenlernens zwischen Winnetou und Old Shatterhand leben, mit EINEM Turnerstick, der einmal ein Amerikaner und einmal ein Friese ist, mit einem Kind Old Firehands, das einmal eine Ellen und einmal ein Harry ist, mit von verschiedenen Personen in ganz gleicher Form erlebten Eisenbahnüberfällen usw. Warum also nicht auch mehrere Pässe mit verschiedenen oder auch weggelassenen Herkunftsgeschichten.
Ich habs sehr ähnlich grade privatgebloggt
Wo ? (wenn ich fragen darf ...)
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rodger
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von rodger »

tragophil hat geschrieben:somit beginnt die altbekannte Strecke neu zu schillern.
Hübsch gesagt. Ich lese einige May-Texte zum zehnten oder zwanzigsten Mal ... und es geht mir des öfteren ganz ähnlich ...
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Tobias K.
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von Tobias K. »

rodger hat geschrieben:Das ist eben bei Karl May NICHT zwangsläufig so ... Es kommt bei ihm sozusagen vorne und hinten nicht hin mit zu vernachlässigenden Dingen wie genaue zeitliche Abfolge usw. ... Er hat sich um so etwas nie großartig gekümmert, weil es ihm eben um andere Dinge ging. Wir müssen ja auch innerhalb des Gesamtwerkes z.B. mit wenn ich mich recht erinnere vier Versionen des Kennenlernens zwischen Winnetou und Old Shatterhand leben, mit EINEM Turnerstick, der einmal ein Amerikaner und einmal ein Friese ist, mit einem Kind Old Firehands, das einmal eine Ellen und einmal ein Harry ist, mit von verschiedenen Personen in ganz gleicher Form erlebten Eisenbahnüberfällen usw. Warum also nicht auch mehrere Pässe mit verschiedenen oder auch weggelassenen Herkunftsgeschichten.
An sich kenn ich das auch schon. Mir bleibt trotzdem (Kandolfisch-mesphistolisch quasi) die Hoffnung auf eine gewisse Sortierbarkeit, wenn man erstmal den richtigen "Schlüssel" hat. Und ich hoffe immer noch, dass May sich wenigstens für die Buchveröffentlichung eine grobe Chronologie gedacht hätte, auch wenn er in Details dagegen verstößt. (Das würde Ellen und Harry schon mal erklären...)
Wo ? (wenn ich fragen darf ...)
Fragen immer, ich wußte bloß nicht, ob das nicht als aufdringliches Gepose mißverstanden werden könnte Die Navigation ist ein wenig überladen (ich suche noch nach einer besseren Plattform, die all meinen Wünschen nachkäme), aber weiter unten links findet sich auch der Klick für die Kategorie "Karl May" ;)

http://tragophil.myblog.de/
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Doro
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von Doro »

Schön!
Ich mag Ihre Gedichte :wink:
People may hate you for being different and not living by society’s standards, but deep down they wish they had the courage to do the same. (Kevin Hart)
markus
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von markus »

tragophil hat geschrieben:Huch - bedankt für den schnellen Hinweis und die freundliche Aufnahme eines Forengreenhorns...
Forengreenhorn vielleicht, aber nicht Greenhorn in Sachen Karl May. Ich war beides als ich mich hier anmeldete (und bin es bei letzterem eigentlich immer noch (bin wie Karl May es war, immer noch ein werdender)).
Andererseits hat er ja vor allem zu Beginn ganz schön geflickwerkt und beispielsweise die Senitza-Episode mal elegant dazwischengebügelt...
Sein ganzes Werk ist ein Flickenteppich, wie das wahre Leben.
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rodger
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Re: Der mysteriöse Pass...

Beitrag von rodger »

tragophil hat geschrieben: Kandolfisch-mesphistolisch
Also wenn ich Kandolf im 'Faust' besetzen würde, dann eher als Wagner ... Ich bitt' Euch Freund, es ist tief in der Nacht.

:mrgreen:
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